Kein NATO-Gipfel ohne Proteste
Der polnische Präsident Andrzej Duda, Gastgeber des am 8. und 9. Juli in Warschau durchgeführten NATO-Gipfels, nannte die dort getroffenen Entscheidungen „historisch“. Und BRD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier meinte, daß von dem Treffen die „richtigen Signale ausgehen – nach innen wie nach außen, nach Osten wie nach Westen“. Was die NATO-Staats- und Regierungschefs freut, muß uns, muß alle friedliebenden Menschen in höchstem Maße beunruhigen: ungehemmte Aufrüstung, Intensivierung der Konfrontation mit Rußland, Forcierung der europäischen Militarisierung sind nur einige Stichpunkte.
Doch auch diesmal stieß das Treffen, wie alle seit 2009 abgehaltenen NATO-Gipfel, auf Proteste. Das ist in Polen – einem Land fast ohne Friedensbewegung – bemerkenswert. Unter dem Motto „Nein zum Krieg – Nein zur NATO“ haben sechs polnische Organisationen aus der Friedens- und sozialen Bewegung sowie das internationale Friedensnetzwerk einen Gegengipfel und eine Demonstration in der Warschauer Metropole durchgeführt. Nach mehreren Monaten der Vorbereitungszeit und dem Vertrautwerden mit der schwierigen Situation sozialer Bewegungen in unserem Nachbarland war die Größe der Aktionen durchaus überraschend.
An der Demonstration, die unter dem Motto „Money for the hungry, not for tanks!“ (Geld für die Hungernden, nicht für Panzer!) stand, nahmen über 300 Menschen teil. Das muß in diesem Land angesichts der Repressionen der polnischen Reaktion gegen NATO-Gegner und „Rußland-Versteher“ und der öffentlich zustimmenden Haltung gegenüber dem Militärbündnis positiv bilanziert werden. Bunt und friedlich in Begleitung eines großen Polizeikontingents zogen sie vom Charles-de-Gaulle-Platz an der US-Botschaft vorbei zum linken Weichselufer in die Sichtweite des Nationalstadions, dem Ort des NATO-Gipfels. Nur nebenbei sei vermerkt: Über 10 000 Polizisten und Sicherheitskräfte verwandelten die Stadt in eine Hochsicherheitszone. Stundenlang gesperrte Hauptverkehrsstraßen ließen die Stadt erlahmen.
Auf dem Gegengipfel diskutierten mehr als 150 Teilnehmer aus 18 Ländern, unter anderem aus Rußland, den USA, Tschechien, Polen, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Belgien und Spanien über die aktuellen Kriege und Konflikte, über den Kampf für den Frieden, für soziale Gerechtigkeit und gemeinsame Sicherheit in Europa. Die Konferenzteilnehmer einte die Forderung nach Auflösung der NATO. Besorgnis riefen die aktuellen Gefahren des erstarkenden Militarismus, besonders die verstärkte Militarisierung osteuropäischer Staaten hervor, die sich insbesondere in permanenter Truppenpräsenz (deutsche Truppen stehen wieder vor St. Petersburg), aggressiven Manövern, der geplanten Modernisierung der Atomwaffen und dem sogenannten Raketenabwehrschirm der NATO zeigt. Szenarien bis hin zu einem „großen Krieg in Europa“ sind nicht mehr auszuschließen, resümierten viele Diskutanten.
Die Teilnehmer des Gegengipfels waren sich darin einig, daß die internationale Friedensbewegung vor den größten Herausforderungen der letzten Jahre steht. Von entscheidender Bedeutung ist, daß die von der NATO herbeigeführte Konfrontation mit Rußland beendet wird. Es gehe darum, daß ein Prozeß der Kooperation in Europa wieder eine Chance bekommt, ein gemeinsames kooperatives Sicherheitssystem, welches sich an den Bedürfnissen der Menschen ausrichtet, geschaffen wird. Es wurden die Stärkung der OSZE und die Neuauflage des Helsinki-Prozesses gefordert sowie die Stärkung und Demokratisierung der UN.
Am zweiten Tag des Treffens stand die Verständigung über Fragen der Vernetzung und künftige Aktionen der Friedensbewegung auf der Tagesordnung. In Anbetracht der Ausweitung von NATO-Militärstützpunkten nach Osten ist der Austausch mit Menschen aus Zentral- und Osteuropa unabdingbar. Die Veranstalter beschlossen, ihre Zusammenarbeit in einem Polnisch-Deutschen Friedensnetzwerk fortzusetzen. Gemeinsame Protestaktivitäten zu den Basen des „Raketenabwehrschirms“ sind angedacht. In Polen ist man gerade dabei, eine Militärbasis für „Aegis Ashore“ in Redzikowo zu bauen.
Der nächste NATO-Gipfel wird 2017 im neuen Hauptquartier der NATO in Brüssel stattfinden – eine weitere Bewährungsprobe für die deutsche und die internationale Friedensbewegung.
Reiner Braun ist Geschäftsführer der IALANA und Mitglied des Koordinierungskomitees »No to war – No to NATO«
Nachricht 439 von 2043