Warum ein einstiger DDR-Athlet dem Sportbetrieb der BRD
nichts abzugewinnen vermag
Keine Sympathie für Plattmacher
Wir leben im Jahr vieler Erinnerungsdaten – erfreulicher und weniger erfreulicherer Art. Im Oktober werden uns anläßlich des 25. Jahrestages der vermeintlichen Wiedervereinigung viele Jubelchöre in die Ohren geblasen werden. Als sich ein jahrhundertelang zu Rußland gehörender Gebietsteil auf der Grundlage des Willens einer überwältigenden Mehrheit seiner Bürger wieder mit Rußland vereinte, wurde dieser Vorgang von Frau Merkel als „verbrecherische und völkerrechtswidrige Annexion“ bezeichnet. Mit welchen Attributen sollte man nach diesem Muster die Vereinnahmung eines souveränen Mitgliedsstaates der Vereinten Nationen durch einen anderen, ebenfalls souveränen Staat mit Zugehörigkeit zur UNO, eigentlich versehen? Wir werden es erleben. Aber schon vor dem Oktober-„Jubiläum“ gibt es Anlässe zum Nachdenken.
Vor 25 Jahren, am 7. Juni 1990, hatte die nur noch formelle letzte DDR-Regierung unter Lothar de Maizière die Verordnung des Ministerrates der DDR vom 30. November 1972 über die „Verantwortung der Betriebe und staatlichen Einrichtungen auf dem Gebiet von Körperkultur und Sport“ annulliert. Damit beseitigte sie eines der besten deutschen Sportentwicklungsgesetze, auf dem in nicht geringem Maße das Geheimnis sportlicher Erfolge der DDR beruhte. Nur 14 Tage später beschlagnahmte diese Regierung das Gesamtvermögen des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) im Werte von 2,5 Milliarden DM.
Schon unter den Fittichen der BRD wurden die Kinder- und Jugendsportschulen (KJS), die seit 1965 Spezialschulen für den sportlichen Nachwuchs waren, ebenso aufgelöst wie die Deutsche Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig oder der Sportmedizinische Dienst der DDR mit seinen 185 Kreisberatungsstellen. Sämtliche Sportärzte und Mitarbeiter wurden beruflich in die Wüste geschickt. Man liquidierte zugleich die Sportklubs. Viele dort tätig gewesene Trainer wurden dann freudigen Herzens in anderen Ländern aufgenommen.
Aus Sporterfolgen der DDR machte man plötzlich wieder oder erstmals deutsche Erfolge. Athleten, die bereit waren, auf das Grundgesetz als oktroyierten Verfassungsersatz Hosianna zu singen, wurden eingekauft und sollten nun unter den Klängen des von den Nazis als Hymne pervertierten Deutschland-Liedes Erfolge für die BRD erringen.
Ob sich Katharina Witt eigentlich dessen bewußt ist, daß sie auf dem Höhepunkt ihrer sportlichen Karriere, als sie sportliche Triumphe feierte, gar keine Deutsche war? Über die Olympischen Winterspiele 1988 in Calgary berichtete damals die „Tagesschau: „Am Abend gab es die Entscheidung im Eiskunstläufen der Damen. Es gewann Katarina Witt (DDR) vor Elizabeth Manley (Kanada) und Debby Thoms (USA). Beste Deutsche auf Platz 6 war Claudia Leistner.“ Ähnliche Meldungen gab es damals zuhauf.
Ich ernte immer wieder Mißfallensäußerungen, daß ich mich bei Sportveranstaltungen nicht den Jubeltönen anderer anschließe, wenn deutsche Sportler, auf deren Trikots der Bundesadler prangt, einen Sieg oder einen der drei ersten Plätze erringen. Dabei wird mir dann stets die Frage gestellt, ob ich denn überhaupt keinen Funken Patriotismus in mir verspürte. Klare Antwort: Nein – im Sport nicht mehr!
Als Patriot wird umgangssprachlich jemand bezeichnet, der sich für das Land und das Volk einsetzt, dem er durch Geburt angehört. Teil dessen ist aber auch das Bewußtsein, sich mit diesem Vaterland identifizieren zu können. Das kann nur dann der Fall sein, wenn man im jeweiligen Staat als vollwertiger Bürger betrachtet und behandelt wird. In der BRD bin ich das nicht. Wie Millionen andere werde ich diskriminiert und degradiert. 40 Jahre meines Lebens werden einem Unrechtsphantom zugeordnet, meine Lebensleistung betrachtet man als minderwertig und sogar strafwürdig. Gerade und besonders die seit 1990 geltenden gesamtdeutschen Sportverhältnisse haben mir „den Patriotismus“ gründlich ausgetrieben. Dies, weil Verunglimpfung, Verleumdung und Ignoranz gegenüber allem, was auf sportlichem Gebiet in der DDR geleistet worden ist, nun zum bestimmendem Ton im Konzert des DDR-„Delegitimierungsorchesters“ geworden ist.
Wer mich kennt, wird sich hüten, mir unterstellen zu wollen, ich wäre dem Sport abhold oder stünde ihm sogar feindselig gegenüber, weil er mit Mühen, Plagen und Anstrengungen verbunden wäre. Nun ist ja Sport wirklich nicht jedermanns Sache: Hin- und Hergerenne, Hoch- und Weitgehopse, Hin- und Hergeschwimme, einem Ball nachlaufen, ihn über oder in Netze schlagen, werfen, auf Scheiben oder Tontauben schießen und vieles mehr. Dies alles würde doch nur die Auffassung des einstigen britischen Premiers Winston Churchill bestätigen: „No sports!“ (Sport kommt nicht infrage.) Für mich trifft dies nicht zu, wobei ich mit Sport nicht den Vergnügungs- oder Freizeitsport meine, sondern jenen, welcher eben mit Mühen, Plagen, Anstrengungen, aber auch mit unvergeßlichen Erlebnissen und Freuden verbunden ist.
Meine „sportliche Laufbahn“ begann 1941 beim Königsberger Ruderklub (KRC) im „Riemenvierer mit“. Damals war ich zwölf. Tennisspieler oder Turner beginnen meist schon als Fünf- bis Achtjährige. In diesem Alter betätigte ich mich noch als Balljunge auf Tennisplätzen. Als der Krieg dem Sportrudern ein Ende setzte, dauerte es sechs Jahre, bis ich wieder Tritt faßte: Diesmal war es Volleyball, und ich gelangte dabei bis in das DDR-Spitzentrio. In den 50er Jahren war das gleichbedeutend mit der Spitze in beiden deutschen Staaten, da Volleyball in der BRD damals nicht ernst genommen wurde, weil man der Meinung war, diese Disziplin sei „zu östlich geprägt“. Ich gehörte also einer der drei DDR-Spitzenmannschaften an. Überdies war ich Schiedsrichter der Oberliga und führte nach einer Sportverletzung eine andere Mannschaft als Trainer von der Bezirksklasse über die Bezirksliga in die DDR-Liga, also in die zweithöchste Spielklasse der DDR.
Ohne selbst aktiv zu sein, schlägt mein Herz noch immer für den Sport, wenn auch nicht gerade für den der BRD. Ich habe nichts gegen deren Athleten und ziehe den Hut vor ihren Leistungen, sofern sie nicht ausschließlich dem Kommerz untergeordnet werden. Allerdings gebührt mein Respekt nicht dem Sportsystem und dem Staat, für den sich die Aktiven abrackern. Dessen Intoleranz gegenüber den „Brüdern und Schwestern“ im Osten, seine Verachtung für deren Erfolge, sind eigentlich kulturell hochstehender Menschen unwürdig und einmalig in der Geschichte des Sports.
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