RotFuchs 205 – Februar 2015

Keinen Fußbreit den Faschisten!

Klaus Steiniger

Im Dezember vergangenen Jahres bot sich in Dresden ein bizarres Bild: Menschen, die eben noch ausländerfeindliche Parolen skandiert hatten, stimmten auf einmal vertraute Weihnachtslieder an. Es handelte sich um ein Spiel mit verteilten Rollen: Während die einen ihre zum Draufschlagen bereiten Pranken zeigten, bereiteten andere eine Lockspeise vor, um möglichst viele Unbedarfte, Unwissende oder ihnen Vertrauende damit einzufangen. Schlagringe und Glacéhandschuhe gehören gleichermaßen zu den Requisiten. Wer sich am geschicktesten tarnt, kann in der neuen Konjunktur scharf rechts gerichteter Ideologie mit der größten Gefolgschaft rechnen. Von den Regisseuren der organisierten Ausländerfeindlichkeit werden vor allem „Wutbürger“ als Massenkulisse gebraucht.

Während die Schlägertrupps von HOGESA („Hooligans gegen Salafisten“) auf eine pseudodemokratische Maskerade verzichten und nach alten Straßennazi-Mustern verfahren, übernehmen die „Patrioten Europas gegen Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA) das Herrenrassen-Konzept des im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß zum Tode verurteilten hitlerschen Chefideologen Alfred Rosenberg, dessen „Mythos des 20. Jahrhunderts“ den Genozid geistig mit vorbereitete.

Zum „Ensemble“ der BRD-Faschisierer, die europaweit vernetzt sind, gehören auch die für „gehobene Ansprüche“ bereitgehaltene Allianz für Deutschland (AfD), die sich überwiegend aus vormals rechten Flügelleuten von CDU und FDP rekrutiert, aber auch Teile der CSU. NPD und Republikaner hingegen sind nur noch als Wurmfortsatz der heute tonangebenden Macher zu betrachten.

Die Skala reicht von Totschlägern im Stil von SA und SS bis zu Nadelstreifen-Nazis in Konzernzentralen, Amtsstuben höherer Ebenen und Regierungskanzleien.

Die von ihnen und den dafür nutzbaren Medien erzeugte Haßkampagne dient der Abwehr der vom Magnetismus der reichsten kapitalistischen Staaten angezogenen Opfer der eigenen Raubstrategie: Kriegs- und Hungerflüchtlingen, gegen deren Zuwanderung man die „Festung Europa“ gnadenlos abschotten will.

Das Spiel der neuen Nazis aller Schattierungen ist das alte, wobei sich das Feindbild inzwischen erweitert hat. Während die Hitlerfaschisten an Juden, Sinti und Roma sowie zu Untermenschen erklärten Angehörigen slawischer Völker historisch beispiellose Genozid-Verbrechen begingen, werden jetzt auch generell zu „Islamisten“ gestempelte Moslems sowie weniger qualifizierte Zuwanderer aus Südosteuropa als neue Hauptfeinde ins Visier genommen.

Die innenpolitische Entwicklung im wieder Weltmachtambitionen verfolgenden Staat des deutschen Kapitals nähert sich – legt man das Zeitmaß der Weimarer Republik an – in bedrohlichem Maße der Ära von Brüning und Papen. Mit anderen Worten: Es ist nahezu fünf vor zwölf.

Während sich die Regisseure von HOGESA und PEGIDA unter Benutzung braunen Vokabulars auf „gesundes Volksempfinden“ berufen, mit dem Vernunft und Augenmaß ersetzt werden sollen, schwenkt auch die offizielle Politik der BRD weiter nach rechts. Im Unterschied zu den späten 20er und frühen 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stehen heute aber nicht jene antifaschistischen Gegenkräfte mit Masseneinfluß bereit, die Hitler hätten Paroli bieten können, wäre die Aktionseinheit der Arbeiterparteien nicht vor allem am Widerstand rechter sozialdemokratischer Führer gescheitert.

Mit dem schockierenden Vormarsch der ihre Tarnkleidung wechselnden oder auch gänzlich abwerfenden Faschisierer konfrontiert, kommen mir unwillkürlich Geschehnisse in den Sinn, die bereits nahezu sechs Jahrzehnte zurückliegen.

Im August 1955 nahm ich an den V. Weltfestspielen der Jugend und Studenten in Warschau teil. Zu den Höhepunkten meines Aufenthalts in der Weichselmetropole gehörte ein durch dortige Freunde ermöglichter gemeinsamer Kinobesuch mit der Witwe Paweł Finders, des 1944 von den Hitlerfaschisten ermordeten ersten Generalsekretärs der Polnischen Arbeiterpartei (PPR). Im Lichtspielhaus an der Marszałkowska sahen wir das antifaschistische DDR-Epos „Stärker als die Nacht“.

Tags darauf wurde in Warschau ein Sonderzug bereitgestellt. Er brachte Abgesandte aller am Festival teilnehmenden Delegationen nach Auschwitz. Im Abteil waren wir zu dritt: der Grafiker und Schriftsteller Peter Edel, der das Vernichtungslager selbst überlebt hatte, während Esther, seine junge Frau, grausamen Experimenten der dortigen KZ-Ärzte zum Opfer gefallen war; die namhafte britische Grafikerin Elizabeth Shaw; und ich als Nachkomme einer Familie mit vielen Auschwitz-Toten. Im größten Menschenschlachthaus Europas erschütterten uns die Berge von ermordeten Kindern zurückgelassener Stofftiere ebenso wie das meterhoch aufgeschichtete Haar ins Gas getriebener Frauen. Neben unbeschreiblichem Horror erlebten wir aber auch eine Sternstunde menschlichen Glücks: Die internationalistische Verbrüderung schwarzer, brauner, gelber und weißer Kämpfer für eine bessere Welt.

Mit dem Ungeist nationalistischen oder rassistischen Größenwahns wurde in beiden deutschen Staaten konträr umgegangen. Während Auschwitzüberlebende wie Kurt Goldstein in der DDR hohes Ansehen genossen und politischen Einfluß besaßen, stand Dr. Hans Globke, Kommentator der Nürnberger Rassegesetze und damit ein ideologischer Wegbereiter zu den Gaskammern von Auschwitz, als graue Eminenz an der Seite Konrad Adenauers. Der Kanzler der deutschen Spaltung stützte sich nicht nur auf seinen schwerstens belasteten Staatssekretär, sondern beließ auch Zehntausende Offiziere, Geheimdienstler, Juristen und Staatsbeamte aus Nazitagen auf ihren Posten. Während Hitlers Generale Heusinger und Speidel die Bundeswehr aufbauten, brachte Reinhard Gehlen, Geheimdienst-General des „Führers“, den BND „in die Gänge“.

Aus einer diametral entgegengesetzten Tradition erwuchs im Osten der anfangs staatlich verordnete, von den meisten aber im Laufe der Zeit auch verinnerlichte Antifaschismus, während im Westen die alten Denkmuster das Ende des Dritten Reiches überdauerten. Mit gutem Grund bezeichnet sich die BRD als dessen Rechtsnachfolgerin. Ist es da ein Wunder, daß sie neue Nazis samt ihres Parteienfächers hervorbrachte, deren Ideologie und Organisation nach dem „Anschluß“ der DDR landesweit ins Kraut schossen?

Noch lassen die Wölfe im Schafspelz in ihre Fänge Geratene auch fromme Weihnachtslieder singen. Sie tarnen sich wie einst Hitlers „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ mit scheinbar unverfänglichen Attributen. Um Christenmenschen gezielt zu erreichen, stimmen die PEGIDA-Drahtzieher das alte Lied von der „Verteidigung des Abendlandes“ an.

Für ein „Wehret den Anfängen!“ ist es bereits zu spät. So übernehmen wir die Losung jener, welche einst als Interbrigadisten in der großen Abwehrschlacht gegen Franco, Hitler und Mussolini auf Spaniens Erde verkündeten: Keinen Fußbreit Boden den Faschisten!