Klartext über Floskeln der Macht
Eine Hausfrau, zumindest eine schwäbische, ist sparsam. Mag sein, daß sie prima Spätzle machen kann und nie die Kehrwoche vergißt, eins aber ist sicher: Sie würde nie über ihre Verhältnisse leben. Letzteres sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem CDU-Parteitag im Jahr 2008, und seither geistert die Hausfrau aus Schwaben als Sinnbild für eine vermeintlich verantwortungsbewußte Politik durch die politische Landschaft.
Die Sache hat nur einen Schönheitsfehler, sagen die beiden Journalisten Daniel Baumann und Stephan Hebel: Einen Bundeshaushalt kann man nicht mit einem Kleinhaushalt vergleichen. Denn für einen Bundeshaushalt können Schulden durchaus einen Nutzen haben – wenn das Geld in die Zukunft investiert wird und so dem Gemeinwohl dient. Die schwäbische Hausfrau ist nur eines der vielen Bilder, die Baumann und Hebel in ihrem jüngst erschienenen Buch geraderücken.
Da geht es um boomende Arbeitsmärkte, die allerdings viel zu selten zu sozialversicherungspflichtigen Vollzeittätigkeiten führen, von denen man auch leben kann. Ein weiteres Beispiel ist die jüngst gesetzlich regulierte Tarifeinheit, nach der nur ein Tarifvertrag pro Betrieb gelten soll. Das mag die „Arbeitgeber“ freuen, schränkt aber die Koalitionsfreiheit der kleineren Gewerkschaften im Betrieb stark ein.
Alphabetisch sortiert von A wie alternativlos bis Z wie Zinsenteignung nehmen Baumann und Hebel sich 74 Begriffe vor und übersetzen diese „Floskeln der Macht“ in leicht verständlichen Klartext. Sie machen klar, wie mit Sprache manipuliert wird. Das ist nichts Neues, aber in dieser Klarheit interessant und spannend zu lesen. Ist von notwendigen Reformen die Rede, sind damit häufig Kürzungen bei Löhnen und Renten verbunden. Soll Bürokratie abgebaut werden, sind oft auch Schutzrechte bei Kündigungen oder der Verzicht auf Kontrollmöglichkeiten – zum Beispiel bei Arbeitszeiten – verbunden.
Und das sind nur zwei weitere Beispiele für die Manipulation durch Sprache, die leider viel zu selten hinterfragt wird. „Die Sprache der Politik beschreibt nicht nur unsere Wirklichkeit aus einer bestimmten Perspektive, sondern verändert und formt sie zugleich“, stellen die beiden Autoren in ihrem Vorwort fest.
Ihr Buch ist aufgebaut wie ein Wörterbuch, so daß es nicht in einem Rutsch gelesen werden muß – auch wenn die einzelnen Texte dazu durchaus verlocken, denn man will immer mehr erfahren. Aber es ist auch möglich, einzelne Wörter, die einem im politischen Tages- und Mediengeschehen auffallen, nachzuschlagen und mit Hilfe des Buches zu analysieren. Und vor allen Dingen kann man weiterdenken über das, was uns die Politik Tag für Tag vorsetzt. Das Buch regt dazu an, sich seine eigenen Gedanken zu machen.
Aus „ver.di news“, 6/2016
Daniel Baumann / Stephan Hebel:
Gute-Macht-Geschichten
Politische Propaganda und wie wir sie durchschauen können
Westend-Verlag, Frankfurt a. M. 2016, 247 Seiten
978-3-86489-126-7
16,00 €
Weitere Bücher zum Thema
Georg Klaus:
Sprache der Politik
Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1971, 294 S.
Dieter Faulseit / Gudrun Kühn:
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Verlag Tribüne, Berlin 1974, 152 S.
Klaus Dera / Harald Kolbe:
Das Falschwörterbuch. Begriffe richtig begreifen
IG-Metall-Bezirksleitung, Hannover, 2003, 120 S.
Kai Biermann / Martin Haase:
Sprachlügen. Unworte und Neusprech
Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt a. M. 2013, 240 S., 9,99 €
Bente Gießelmann u.a. (Hg.):
Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe
Wochenschau-Verlag, Schwalbach im Taunus 2015, 368 S., 24,80 €
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