Konfrontation oder
Kooperation mit Rußland?
Alexander Rahr – Osteuropa-Historiker, Unternehmensberater, Politologe und Publizist – hat sich am 21. April in Dresden bei einer Veranstaltung des Deutsch-Russischen Instituts e.V. zum Thema „Rußland und der Westen: Konfrontation oder Kooperation?“ geäußert. Einige Aussagen scheinen mir wichtig, um Unterlassungen und Verzerrungen der bürgerlichen Medien zum Verhältnis Deutschland–Rußland nachweisen bzw. korrigieren zu können. Rahr faßte zunächst die April-Aussagen der Kanzlerin zur Ostpolitik zusammen. Sie warne EU-Staaten vor einer einseitigen Aufhebung der Sanktionen gegen Rußland, trete für die weitere „Bestrafung“ des Landes wegen der angeblichen Nichterfüllung des Minsker Abkommens ein und erweise sich als zahnloser Tiger gegenüber Poroschenko, der alles, auch militärische Aktionen im eigenen Land, gegen die Erfüllung dieses Abkommens einsetze. Merkel wolle Rußland mittels westlicher Wertepolitik isolieren und einen politischen Interessenausgleich mit dem für die europäische Sicherheit so wichtigen Land blockieren. Der schnelle Sieg des Westens im kalten Krieg, die Auflösung der Sowjetunion in 15 selbständige Staaten, der Anschluß der DDR an die BRD, der Abzug der russischen Truppen aus Osteuropa, die Ostausdehnung der NATO (trotz vorheriger anderslautender Versprechen) – das alles sei den US-Eliten und auch Angela Merkel zu Kopf gestiegen. Kein Marshallplan habe den wirtschaftlich notleidenden Ex-Sowjetrepubliken und deren verarmter Bevölkerung geholfen. Vom Westen habe es lediglich Schnell-Schulungen in westlicher Demokratie, Marktwirtschaft, Recht und Militärwesen gegeben. Nach 25 Jahren habe keine der Ex-Unionsrepubliken die westliche Demokratie angenommen, auch die Ukraine nicht. Rußland habe sich vom Freund und strategischen Partner zum Gegner gewandelt und sich zu einem Nationalstaat entwickelt. Der Westen habe es in diesen Jahren (trotz mehrerer russischer Initiativen) nicht vermocht, in Europa am Aufbau einer Friedensordnung mitzuwirken.
Früher hätten die Welt-Atom-Mächte, trotz Gegnerschaft, Wege zu Entspannungsmaßnahmen gefunden. Heute hingegen glaube der Westen, obwohl Rußland waffentechnisch mehr als aufgeholt habe, an einen planbaren Sieg über die „Regionalmacht“ Rußland. Was ist in den Beziehungen zwischen beiden Seiten schiefgelaufen, und sind diese Beziehungen irreparabel zerstört? Die Konflikte seien von Jahr zu Jahr gefährlicher geworden. Der Westen habe den Krieg Rußlands gegen die Separatisten in Tschetschenien mißbilligt, im Gasstreit ungerechtfertigt die Position der Ukraine eingenommen, und nur mit großer Mühe sei es gelungen, die 2008 von den USA angestrebte Aufnahme von Ukraine und Georgien in die NATO zu verhindern. Die USA seien aus dem ABM-Vertrag, der die Anzahl der Raketenabwehrsysteme auf beiden Seiten begrenzte, ausgetreten. Jetzt installierten sie in Mitteleuropa ein Antiraketensystem, welches angeblich gegen den Iran gerichtet ist und doch nur die Zweitschlagfähigkeit Rußlands zerstören soll, und würden sich mit der Verstärkung der „Ostfront“ befassen sowie mit Kriegsplanungen gegen Rußand. Dazu komme, daß die gemeinsamen Institutionen des Westens und Rußlands auf Eis gelegt wurden – so der NATO-Rußland-Rat, das Partnerschaftsabkommen zwischen EU und Moskau, der KSE-Abrüstungsvertrag (Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa) und die deutsch-französisch-russische Troika. Die EU- und NATO-Staaten in Osteuropa seien Opfer ihrer eigenen Russophobie und fühlten sich von Rußland bedroht. Hitler und Stalin würden gleichermaßen für den zweiten Weltkrieg verantwortlich gemacht, die „Befreiungsfunktion“ der Sowjetarmee werde durch den Begriff „Besatzung“ ersetzt. Der Westen verfälsche die Geschichte. Diese Positionen dürften nicht nur für Rußland ein Affront sein.
Heute sei die Russische Föderation, so Rahr weiter, kein Teil der europäischen Sicherheitsarchitektur. Rußland baue mit der „Eurasischen Wirtschaftsunion“ an einem anderen Europa, welches aber nicht zu einem neuen russischen Imperium werden soll. Rußland nehme sich möglicherweise den „Wiener Kongreß“ zum Vorbild, wobei die Großmächte über Europa entschieden hätten, und es fordere für sich die Wiederherstellung des Mitspracherechts in Europa. Letzteres lehne der Westen zur Zeit kategorisch ab. Rußland sei aber stärker und einflußreicher geworden und habe Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Darauf sollte der Westen konstruktiv reagieren. Gegenwärtig verfolge der Westen gegenüber Rußland eine aggressive „Bedrohungs- und Abschreckungspolitik“ mit schwacher Dialogbereitschaft. Auch Rußland schrecke den Westen ab, betreibe aber gleichzeitig eine aktive Sicherheits- und Konfliktlösungspolitik auf der Grundlage des internationalen Rechts (Syrien). Das Land sehe, daß der Westen sein Wertesystem über „farbige Revolutionen“ und „Regime Changes“ auch auf Rußland ausdehnen wolle. Der Westen bezichtige Rußland des Neoimperialismus und der Absicht, die alten Einflußsphären wieder herstellen zu wollen (Abchasien, Südossetien, Krim, Ostukraine). Diese geopolitische Auseinandersetzung sei brandgefährlich, denn sie könne in einem militärischen Konflikt enden. Eine Kooperation des Westens mit Rußland könnte einen Ausweg aus der jetzigen Konfrontation bringen. Er böte die Chance eines friedlichen Übergangs der Welt von einer unipolaren (westlichen) zu einer polyzentrischen Weltordnung. Wer überleben wolle, sollte bereit sein, sich auf einen solchen Weg zu begeben.
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