RotFuchs 230 – März 2017

Konrad Wolf – Ein deutscher Lebenslauf

Klaus Eder

Konrad Wolf

Stichworte einer Biographie: Konrad Wolf wurde 1925 im württembergischen Hechingen geboren; sein Vater: der Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf. 1933 emigrierte die Familie aus Deutschland, ab 1934 lebte sie in der Sowjetunion. Konrad Wolf trat 17jährig in die Rote Armee ein; 1945 kam er, sowjetischer Leutnant inzwischen, nach Deutschland zurück, nahm an der Schlacht um Berlin teil. Nach dem Krieg wurde er Kulturreferent der Sowjetischen Militärverwaltung. 1949 begann er ein Regiestudium an der Moskauer Filmhochschule. 1954/55 entstand seine Diplomarbeit (der DEFA-Spielfilm „Einmal ist keinmal“). Seitdem arbeitete er als Regisseur im DEFA-Studio für Spielfilme. Konrad Wolf war Mitglied des ZK der SED, seit 1965 war er außerdem Präsident der Akademie der Künste der DDR. 56jährig ist Konrad Wolf am 7. März 1982 gestorben.

Auch ein deutscher Lebenslauf: in der Emigration aufzuwachsen und dann, 1945, mit der Roten Armee in Deutschland einzumarschieren, ein Fremder im eigenen Land. Konrad Wolf, 1966: „Ich habe sehr lange Zeit gebraucht, um wieder ein Verhältnis zur Heimat zu finden. Vielleicht lag die Schwierigkeit für mich auch darin, daß ich einerseits einen gewissen Abstand zu Deutschland hatte, daß ich nicht persönlich, durch eigene bittere Erfahrungen der Zeit so belastet war, daß ich andererseits aber den Anschluß finden mußte, den man nicht durch Erkenntnis allein finden kann. Ich glaube, daß jeder auf seine Art in seinem Beruf diesen Prozeß durchmachen muß. Es war auf jeden Fall nicht so, daß ich aus der Emigration kam, ungeheuer klug, erhaben, über den Dingen stehend; sondern meine ersten drei, vier Filme bedeuteten für mich gewissermaßen den Versuch, einen Weg zu finden.“

Wie wenig das Deutschland, das er 1945 als deutscher Sowjetoffizier vorfand, dem Bild entsprach, das er sich gemacht hatte, beschrieb Konrad Wolf 1968 in seinem Film „Ich war 19“. Ein junger deutscher Leutnant der Roten Armee, der 1945 in einem kleinen Städtchen vor Berlin als Kommandant eingesetzt wird, erlebt die Wirklichkeit der unmittelbaren Nachkriegszeit, die Begegnung zwischen Deutschen und Sowjets, und natürlich war dies die eigene Geschichte und Erfahrung, die Konrad Wolf beschrieb. „Mama, ich lebe“ heißt einer seiner späteren, nicht minder autobio­graphisch gefärbten Filme. Während des Kriegs wechseln vier deutsche Kriegs­gefangene auf die andere Seite, als Rotarmisten wollen sie noch einmal in den Krieg ziehen, und ein sowjetischer Offizier fragt sie auf dem Weg zur Front, ob sie das wohl fertigbrächten: auf Deutsche zu schießen, auf die eigenen Landsleute. Die Antwort, die politisch leicht fiele, emotional jedoch kaum zu geben ist, ließ Konrad Wolf seine Protagonisten schuldig bleiben.

Nachdenkend, aber nie es besser wissend als die Menschen vor der Leinwand, analysierte er die jüngste Geschichte, die er ja nurmehr in ihrer letzten Phase als halbwegs Erwachsener erlebt hatte. „Professor Mamlock“ (1961), nach dem Schauspiel entstanden, das Friedrich Wolf, sein Vater, 1933 unter dem Eindruck der Judenverfolgung geschrieben hatte: Das war die Geschichte eines bürgerlichen Intellektuellen, der zu lange in eminent politischen Zeiten auf einen unpolitischen Status, auf den Status des Unpolitischen sich beruft. „Sterne“, 1959 in deutsch-bulgarischer Koproduktion entstanden: ein Film über eine verschämt aufkeimende Liebe zwischen einem deutschen Soldaten und einer griechischen Jüdin; ein Film auch und vor allem über ein System, das faschistische, das diese Liebe unmöglich, zur Tragödie macht.

Als dieser Film 1959 beim Festival in Cannes vorgeführt (und ausgezeichnet) wurde, protestierte die westdeutsche Regierung lauthals, aber erfolglos: weil da an etwas erinnert wurde, an das man hierzulande (in der ehemaligen BRD) lieber nicht erinnert werden wollte und gegen das man sich – mittels Aufbau-Ideologie und kaltem Krieg – heftigst abschottete. Und das ist nun wichtig: daß da einer mit der ganzen Kraft seiner Erfahrung, seiner Überzeugung, seines künstlerischen Talents Erinnerungs­arbeit leistete. Konrad Wolf hat auf der Leinwand ein Stück deutscher Geschichte nachgeschrieben, das (in Westdeutschland) die Kunst – von anderer Öffentlichkeit erst gar nicht zu reden – weitestgehend ignorierte. Seine Filme waren bei uns (im Westen) damit zur Erfolglosigkeit verdammt, sie widersprachen dem herrschenden Geist der Verdrängung.

Mit derselben Gründlichkeit, Beharrlichkeit, manchmal auch: Schwergewichtigkeit, mit der Konrad Wolf immer wieder auf seine – also unsere – Geschichte kam, ließ er sich auch auf die Gegenwart ein: auf die DDR. Schon zu einer Zeit, den späten 50er-Jahren, als der Kunst in der DDR nicht selten noch die Aufgabe zugewiesen wurde, das Leben zu beschönigen, dachte Konrad Wolf nicht daran, simplifizierende Weltbilder herzustellen. Sein 1957/58 entstandener Film „Sonnensucher“, die realistische Schilderung der Zustände, Probleme, Schwierigkeiten in einem Uran-Bergwerk, konnte rund fünfzehn Jahre lang nicht  aufgeführt werden. Andere Gegenwartsfilme brachten Konrad Wolf internationale Anerkennung ein, „Der geteilte Himmel“ (1963/64) darunter, nach dem Roman von Christa Wolf; oder zuletzt „Solo Sunny“ (1980), von einer mittelmäßigen Schlagersängerin wurde da erzählt, die keine große Karriere macht, am Ende aber begriffen hat, daß sie Verantwortung zu übernehmen hat für ihr Leben.

Verantwortung, das schreibt sich leicht hin; für Konrad Wolfs Werk ist das ein zentraler Begriff. Er zeigte Menschen, die keine Verantwortung übernehmen wollen, oder es zu spät tun (seine Analysen des Faschismus); und er zeigte Menschen, die, unter Schmerzen oft, Verantwortlichkeit erlernen (seine Gegenwartsfilme). Zweimal stehen Künstler im Mittelpunkt: der Maler Goya, 1971 in einer Verfilmung des Romans von Lion Feuchtwanger; und ein Bildhauer, 1973 in dem Film „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“. Nicht zu diesem Film, aber zu diesem Thema sagte Konrad Wolf 1966: „Ich akzeptiere gern, daß der Staat, der bei uns ja eine so kostspielige Angele­genheit wie den Film finanziert, sich auch das Recht nimmt, die Filme, die mit seinem Geld gemacht sind, zu beurteilen und abzunehmen.“

Nein, ein bequemer Mann war Konrad Wolf gewiß nicht – für die anderen nicht, und sich selbst gegenüber sicher erst recht nicht. Seine Beharrlichkeit, seine Gründ­lichkeit, seine absolute moralische Integrität haben der Kinematografie der DDR in der DDR und international Ansehen und Anerkennung verschafft.

Redaktionell gekürzt aus „DVZ“, 18. März 1982

Buchtips

Hans-Dieter Tok:
Konrad Wolf
in: Regiestühle, Henschelverlag
Berlin 1972, Seiten 111–128

Ludmilla Kasjanowa / Anatoli Karawaschkin:
Konrad Wolf
in: Begegnungen mit Regisseuren, Henschelverlag
Berlin 1974, Seiten 129–186

Konrad Wolf:
Sag dein Wort!
DEFA, Berlin 1982, 348 Seiten

Film und Fernsehen, Nr. 10/1982
Sonderheft für Konrad Wolf
Henschel-Verlag, Berlin, 80 Seiten

Rolf Richter:
Konrad Wolf – Geschichte und Gegenwart
in: DEFA-Spielfilme und ihre Kritiker
Henschelverlag, Berlin 1983, Seiten 250–287 und 323–326

Konrad Wolf im Dialog
Künste und Politik
Dietz-Verlag, Berlin 1985

Konrad Wolf:
Direkt in Kopf und Herz
Aufzeichnungen, Reden, Interviews
Henschelverlag, Berlin 1989, 400 Seiten

Konrad Wolf:
Aber ich sah ja selbst, das war der Krieg
Kriegstagebuch und Briefe 1943–1945
Edition Die Möwe, Berlin 2015, 360 Seiten