Kooperation im Interesse Portugals
An düsteren Prophezeiungen hat es nicht gefehlt. Von einer Unregierbarkeit des Landes war die Rede, von Investorenflucht und finsteren Zukunftsaussichten, sollten „antieuropäische Kräfte“ und Parteien, die in Gegnerschaft zum Militärpakt NATO stehen, an entscheidenden Stellen mitzureden haben. Mit Haken und Ösen versuchte Portugals konservativer Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva im Herbst des vergangenen Jahres zu verhindern, daß der Sozialist António Costa eine Minderheitsregierung bildet, die von Parteien links seiner Partido Socialista (PS) gestützt wird. Auch der US-Botschafter in Lissabon, Robert Sherman, hatte sich in die innenpolitische Debatte eingemischt und vor einer Linksentwicklung gewarnt. Eine Abkehr von der strikten Sparpolitik, mahnten politische Kommentatoren, werde Portugal in einen ähnlich dramatischen Konflikt stürzen wie Griechenland. Nach einem deutlichen Nein der Bevölkerung im Referendum zum Spardiktat der EU war die dortige Syriza-Regierung mit Alexis Tsipras an der Spitze von Berlin und Brüssel gerade kräftig durch die Mangel gedreht worden.
Aller Angstmache zum Trotz ließ das portugiesische Parlament, die Assembleia da República, das Regierungsprogramm von Premier Pedro Passos Coelho mit deutlicher Mehrheit durchfallen. Cavaco hatte diesen trotz einer Wahlniederlage seiner Mitte-rechts-Koalition aus der Sozialdemokratischen Partei (PSD) und der rechtskonservativen Portugiesischen Volkspartei (CDS-PP) am 4. Oktober 2015 erneut mit der Führung des Landes beauftragt. Damit war der Weg frei für Costa, der am 26. November 2015 schließlich ins Amt gelangte. Gestützt wird seine Regierung vom Linksblock (BE) sowie der Kommunistischen Partei (PCP) und den mit dieser seit Jahrzehnten verbündeten Grünen (PEV). Vorausgegangen war eine sensationelle Annäherung zwischen den Parteien der Linken, insbesondere zwischen der sozialdemokratisch orientierten PS und der PCP. Das Verhältnis beider Parteien war seit der Nelkenrevolution 1974 historisch belastet. Die Kommunisten machen die Sozialisten dafür mitverantwortlich, daß Errungenschaften dieser antifaschistisch-demokratischen Umwälzung demontiert wurden. In dem etablierten Wechselspiel, in dem sich die PS und die Konservativen stets die Macht geteilt oder sich gegenseitig gestützt hatten, wirkten die Sozialisten nur als eine Seite derselben Medaille.
Der vormalige Bürgermeister der portugiesischen Hauptstadt António Costa hat die Karten neu gemischt. Die Regeln, nach denen nun gespielt werden soll, wurden in Abkommen der PS mit den kleineren Linksparteien fixiert. Soziale und wirtschaftliche Fragen – Mindestlöhne, Renten, eine Abkehr von Privatisierungen, die Stärkung des produktiven Sektors – sind darin bestimmend. Das Bündnis wurde aus der Not heraus geboren: Portugal hatte schwer unter der Brüssel hörigen Austeritätspolitik der Rechten gelitten. Statt eines Lichts am Ende des Tunnels stellten sich nur noch mehr Armut und Arbeitslosigkeit ein. Hunderttausende verließen das Land auf der Suche nach Perspektiven. Es war die größte Auswanderungswelle in Portugals Geschichte. Mit Streiks und Protesten bekam die Regierung die wachsende Unzufriedenheit der Menschen zu spüren. Bei einer Fortsetzung dieses Kurses hätte auch die PS eher früher als später die Quittung bekommen. Costa versprach eine klare Abkehr davon und zugleich, daß Portugal den Regeln der Euro-Zone folgen und seinen internationalen Verpflichtungen nachkommen werde. Die großen Gewerkschaften begrüßten den Wechsel an der Spitze des Landes, ohne der neuen Regierung einen Blankoscheck für ihre Politik ausstellen zu wollen.
Nach den ersten Monaten dieser neuen politischen Ära läßt sich festhalten, daß der Kurswechsel relativ geräuschlos vollzogen wurde. Die Konstruktion aus PS und Linksparteien wirkt weiter stabil. Bereits Ende Februar hatte sie die Probe aufs Exempel bestanden, als die vier Parteien gemeinsam den Haushaltsentwurf des neuen Kabinetts im Parlament durchbrachten. Um dessen Details war mit der EU-Kommission zäh gerungen worden, die auch nach dem Verlassen des Troika-Rettungsschirms 2014 ein Wörtchen mitreden möchte. 2011 hatten Bürgerliche und PS mit EU, Europäischer Zentralbank und IWF ein Abkommen getroffen, das „Memorandum“. Zur Abwendung eines Staatsbankrotts erhielt Portugal, das unter dem Druck der Finanzmärkte stand, 78 Milliarden Euro. Als Brüsseler Musterschüler machte die Regierung Passos ihre Hausaufgaben: sanieren, reformieren, deregulieren. Steuern und Tarife stiegen, Renten und Gehälter wurden beschnitten, bei Bildung und Gesundheit wurde gekürzt. Dennoch verfehlte Portugal auch im Wahljahr 2015 ein weiteres Mal seine Defizit-Ziele. Und auch die neue Regierung hat mit diesen zu kämpfen.
Nicht zuletzt verschlingen Maßnahmen im Zusammenhang mit den gescheiterten Banken Espírito Santo und Banif an anderer Stelle dringend benötigte Milliarden. Zwar profitiert die Wirtschaft von Niedrigzinsen, dem Ölpreisverfall und einem schwachen Euro, der den Export stimuliert. Doch das Land kommt ökonomisch nur langsam aus der Talsohle. Und Strafandrohungen nach den EU-Regularien stehen im Raum. Solange das britische Brexit-Votum und die politische Hängepartie in Spanien, ebenfalls ein Defizitsünder, die öffentliche Debatte bestimmen, kommt Costa mit seiner Argumentation, daß allein die gute Absicht zähle, vielleicht noch durch. Zumal auch der neue Staatspräsident, der moderate und intelligente Konservative Marcelo Rebelo de Sousa, der am 9. März sein Amt antrat, in Brüssel und Berlin um Verständnis wirbt und sich bislang um ein kooperatives Verhältnis zur Costa-Regierung bemüht.
Doch an dieser Lunte ließe sich zündeln. Catarina Martins, Sprecherin des Linksblocks, warnt: Etwaige Sanktionen Brüssels gegen Portugal wären eine „Kriegserklärung“. Ihr Land müsse solche entschieden zurückweisen, gegebenenfalls per Referendum. Die Politikerin fordert, die Prioritäten klar bei den Ausgaben für soziale Aufgaben zu setzen. Der Richtungswechsel in Lissabon macht sich im Land bemerkbar: Mindestlöhne und Renten steigen wieder, zum 1. Juli kehrte im öffentlichen Dienst die 35-Stunden-Woche zurück. Diese andere Politik ist nicht zuletzt ein Ergebnis der Kämpfe, an deren Spitze die PCP-nahe größte Gewerkschaftszentrale CGTP-Intersindical steht. Die Kommunisten rücken auch als Stützpartei der PS um kein Haarbreit von ihren Positionen ab. Die EU stellen sie als einen „Prozeß der kapitalistischen Integration“ von Grund auf infrage. Um seine Souveränität zu behaupten, die Rechte der Arbeitenden zu verteidigen und die Wirtschaft zu entwickeln, sei es notwendig, daß sich Portugal auf eine Befreiung von der „Unterwerfung durch den Euro“ vorbereite.
Für scharfe innenpolitische Auseinandersetzungen sorgt die veränderte Bildungspolitik. Unter der Ägide von PSD und CDS-PP waren viele staatliche Schulen geschlossen und eine Privatisierung des Bildungssystems vorangetrieben worden. Öffentliche Schulen sollen nun an Stelle der privaten mehr Geld erhalten. Dies führt zum Aufschrei einer elitären Lobby, Expremier Passos Coelho wirft dem Sozialisten vor, Handlanger der Linksparteien zu sein. Costa weist solche Vorwürfe zurück und stellt sich vor seinen Minister. Eine veränderte Lage und neue Herausforderungen werden auch die Debatten auf der 40. „Festa do Avante!“ am ersten Septemberwochenende bestimmen. Das PCP-Volksfest ist mit Abstand das größte politisch-kulturelle Event des Landes.
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