Bei der NATO-Einmischung in Irak
geht es um das Öl der Kurdenregion
Krimineller Waffenexport
hinter humanitärer Fassade
Im strategisch wichtigen Mitteloststaat Irak gibt es derzeit Millionen Menschen – Jesiden, Christen, Sunniten, Schiiten und Atheisten –, die dringend sofortiger humanitärer Hilfe bedürfen und deren bitteres Schicksal an das Herz der Völkergemeinschaft rührt. Deshalb verdient jede ehrliche Handreichung für vom Ertrinken Bedrohte höchste Anerkennung. Doch anders als in der Ukraine, wo der von den USA, der NATO und der EU ausgehaltene Kiewer Klüngel die unverzügliche Verteilung der mit 280 Lastwagen von Moskau auf den Weg gebrachten Hilfsgüter in übelster Manier verweigerte, wurden über dem Norden Iraks sofort Wasser und Nahrungsgüter abgeworfen. Den US-Transportmaschinen folgten allerdings flugs die Bomber, und nur wenige Tage später war von nicht minder „humanitär“ begründeten Waffenlieferungen auch aus anderen NATO-Staaten die Rede. Monsieur Hollande spielte einmal mehr den Vorreiter, während sich Herr Steinmeier anfangs noch ein wenig zierte, dann aber ähnliches von sich gab. Selbst Gregor Gysi erfreute die bundesdeutschen Rüstungsriesen mit einem Ja zu Waffenlieferungen, um dann den üblichen Rückzieher folgen zu lassen.
Das neuerliche Eingreifen der angeblich „für immer“ aus Irak abgezogenen US-Aggressoren zielt nicht zufällig auf die Kurdenregion, wo ein erheblicher Teil des schwarzen Goldes eines der erdölreichsten Länder der Welt lagert. Im Visier ist auch eine weitgehend selbstbestimmte Nation innerhalb Iraks, die bisher Millionen Kurden in der Türkei und Syrien Kraft verliehen hat. Politisch links Orientierten bot sich in Erbil schon zu Zeiten Saddam Husseins mehr Spielraum als anderswo in Irak. Es geht den „humanitären Helfern“ auf seiten des Imperialismus bei deren plötzlicher Sympathie für die kurdischen Peschmerga also um ein „Erdrosseln in der Umarmung“ und die Wiederherstellung eigener Kontrolle über die rohstoffreiche Region.
Zur nur dürftig getarnten neuen US-Aggression in Irak gehört auch die sich aufgrund seines hartnäckigen Widerstandes verzögernde Vollstreckung des Washingtoner Befehls zur „Ersetzung“ des bisherigen Bagdader Regierungschefs Al-Maliki. Die unbotmäßig gewordene Marionette der USA wurde kurzerhand durch einen anderen, vermutlich gehorsameren Strohmann aus derselben Kiste ersetzt.
Der Schiit Al-Maliki hatte schon bald nach der Kabinetts-Inthronisierung seinen gleichermaßen auf die USA orientierten sunnitischen Vizepremier aus dem Kahn gestoßen und fortan eine die Anhänger dieser Glaubensrichtung scharf diskriminierende Politik betrieben. Dabei war ihm durch seine „Berater“ aus Übersee doch die Einbindung von Schiiten, Sunniten und Kurden ausdrücklich nahegelegt worden.
Als ein Alarmsignal für die an Iraks Öl maßgeblich partizipierenden US-Konzerne erwies sich die Tatsache, daß Al-Maliki immer intensiver gute Beziehungen zur Volksrepublik China anstrebte, die – wie verlautet – inzwischen etwa die Hälfte des von Irak exportierten Erdöls bezieht und selbst erhebliche Investitionen im Land zwischen Euphrat und Tigris tätigen soll. Während der chinesische Außenminister Wang Yi im Februar Bagdad einen offiziellen Besuch abstattete, hatte Al-Maliki nur drei Monate später gemeinsam mit dem iranischen Präsidenten Rouhani an einer Konferenz in Shanghai teilgenommen. Es ist anzunehmen, daß auch das erfolgreiche Operieren des fernöstlichen Riesenreiches in Irak zu der USA-Entscheidung beigetragen haben dürfte, offiziell mit militärischen Kräften in dieses Land zurückzukehren.
Als Vorwand dient einmal mehr die Behauptung, in Irak gehe es allein darum, bis an die Zähne bewaffnete Terrorbanden der radikal islamistischen IS zurückzudrängen. Die Abkürzung steht für Islamischer Staat, wobei auch die Bezeichnung ISIS (… in Irak und Syrien) international Verbreitung gefunden hat.
Um was handelt es sich bei dieser Truppe?
Als Iraks zweitgrößtes urbanes Zentrum, die Millionenstadt Mossul, zu deren Verteidigung angeblich 35 000 Regierungssoldaten bereitstanden, durch ganze 500 bis 800 sunnitische Gotteskrieger der IS per Handstreich eingenommen wurde, erfuhr die Welt erstmals von der Existenz dieser schlagkräftigen Truppe mittelalterlich-finsterer Reaktionäre. Hinter den Strukturen der IS verbergen sich die mit den USA eng verbündeten mittelöstlichen Staaten Saudi-Arabien und Katar. Angestrebt wird ein vom islamistischen Scharia-Rechtssystem bestimmtes Kalifat in Irak und Syrien. Die Gruppierung besitzt eine äußerst zentralisierte Führung aus saudischen Militärs.
Nach dem Fall von Mossul, dessen Bevölkerung überwiegend in die nordirakische Kurdenregion floh, nahmen die IS-Eindringlinge auch die dortige Niederlassung der Zentralbank des Landes in Besitz, wobei ihnen etwa zwei Milliarden Dollar in die Hände fielen. Dadurch konnten sie ihre zuvor „nur“ 875 Millionen Dollar betragenden Reserven wesentlich aufstocken und ihre Operationsmöglichkeiten ausweiten.
Die Al-Maliki-Regierung reagierte auf den Vormarsch der nur etwa 17 000 Mann starken, aber äußerst schlagkräftigen IS-Verbände wie im Schockzustand. Anfangs ging sie sogar davon aus, daß Bagdad fallen würde. Überdies traten auch andere Formationen gegen die Schiiten auf den Plan. Dazu zählen die numerisch keineswegs unbedeutenden und militärisch erfahrenen Offiziere der alten irakischen Armee Saddam Husseins, aber auch etliche Stammesmilizen. Da diese mit den IS-Verbänden de facto gemeinsame Sache machten, verschärfte sich die Situation dramatisch.
Politische Beobachter fragen sich, warum die USA angesichts der bedrohlichen innenpolitischen Krise und der militärischen Zuspitzung in Irak nicht viel früher Maßnahmen zur Aufrechterhaltung ihrer Dominanz ergriffen haben. Der belgische Journalist Tony Busselen vertritt hierzu die Meinung, das strategische Ziel der Vereinigten Staaten bestehe nicht in der Verteidigung des irakischen Staates, sondern in der Aufrechterhaltung der Kontrolle über ihn. Deshalb habe das Pentagon erst jetzt zugeschlagen.
Man sollte sich indes über das derzeitige Geschehen in Irak nicht täuschen lassen. Während die hinter der israelischen Netanjahu-Regierung stehenden und den Aggressorstaat im Nahen Osten mit immer moderneren Waffen ausrüstenden USA keinen Finger zur Verhinderung oder gar Ahndung der Greueltaten in Gaza bewegten und dem Wüten der von Faschisten durchsetzten Kiewer Putschregierung ungerührt zuschauen, spielen sie sich jetzt als Retter bedrohter Kurden und Araber auf. Dabei dürfte kaum ein Zweifel daran bestehen, daß die von den reaktionärsten Staaten der Region geschaffenen, instruierten und befehligten IS-Mordbanden ein mit Washington abgekartetes Spiel betreiben. Es ermöglichte dem Pentagon ein „moralisch gerechtfertigtes“ abermaliges Eingreifen und verschaffte diesem obendrein noch den Anstrich einer humanitären Aktion.
K. S., gestützt auf „Solidaire“, Brüssel
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