Kritisch-solidarische Wortmeldung
einer Weggefährtin aus Frankreich
Jeden Monat warte ich voller Ungeduld auf den „RotFuchs“ und lese die Zeitschrift mit großem Interesse. Der Beitrag Siegfried Schuberts in der Juli-Ausgabe zu den Ursachen des Untergangs der DDR löste bei mir besondere Zustimmung aus. Was er sagt, entspricht auch meiner Überzeugung, die ich bei zahlreichen Besuchen in der DDR als Gast der Akademie der Künste sowie bei Verlagen und Schriftstellern gewonnen habe. Zunehmend bewegt mich, daß den eigenen führenden Leuten der DDR immer mehr die Überzeugung abhanden gekommen war, zu den Siegern der Geschichte zu gehören – nicht an einem St.-Nimmerleins-Tag, sondern nach Maßgabe eigener Möglichkeiten und Anstrengungen noch zu Lebzeiten ihrer Enkel. Warum gelang es ihnen nicht mehr, diese Überzeugung ihrem Volk zu vermitteln?
So kam es aus meiner Sicht dazu, daß sie vom Volk immer weniger ernst genommen wurden, obwohl sie doch selbst aus diesem hervorgegangen waren. Warum zogen sie keine Konsequenzen aus dem spürbar wachsenden Abstand zwischen Volk und Regierung, der eines sozialistischen Staates unwürdig ist?
Und: Warum ging man an verantwortlicher Stelle zunehmend von einer Unterlegenheitsperspektive gegenüber dem Westen aus? Wieso wurde ich, bloß weil ich von dort kam, ohne besondere eigene Verdienste um vieles respektvoller behandelt als die eigenen Leute? Wie sollten in der Bevölkerung Ehrlichkeit und furchtloses Hinterfragen entstehen, wenn das „da oben“ gar nicht mehr existierte? Warum gab es statt echter Bemühungen „von oben“ nun einen erhöhten propagandistischen Aufwand und zunehmende Überwachung, so daß „unten“ jegliches Bemühen um einen besseren Sozialismus erstarrte? Zunehmend bekam ich auf meine Fragen zu hören: Die da „oben“ interessiert das nicht. Die glauben doch selber kaum noch an ihre Sache. Warum war der so wichtige Unterricht in Marxismus-Leninismus in Schulen und an Universitäten in nicht geringem Maße so wenig überzeugend? Hätte man da nicht überall und auf allen Ebenen die besten Lehrer einsetzen müssen?
Ich will an einem konkreten Beispiel schildern, um was es mir geht: Mein Bruder, ein in der BRD vom Berufsverbot betroffener Arzt, organisierte einst ein Treffen junger Kölner DKP-Genossen mit Genossen der SED in Magdeburg. Als er nach den obligatorischen Begrüßungszeremonien zu einer inhaltlichen Diskussion zwischen den Beteiligten kommen wollte, lag den SED-Gastgebern vor allem daran, von ihren jüngsten Jagderlebnissen zu berichten und mit der Schilderung ähnlicher Vergnügungen den jungen Wessis zu imponieren, so daß sich mein Bruder dafür vor seinen Kölner Genossen schämte.
Daß ich bei vielen Schriftstellern und in Büros von Kultureinrichtungen der DDR am Ende kaum noch Informationen erhielt, die mir wichtig erschienen, war recht erstaunlich. Der Grund lag weniger in Angst vor der „Stasi“ und wohl mehr in ihrem Bestreben, auf die Besucherin aus Frankreich Eindruck zu machen. Da fällt mir eine Ausnahme ein: Peter Hacks. Der hatte als überzeugter Sozialist keine Unterlegenheitsperspektive nötig. Zum eventuellen „Auftrumpfen“ besaß er ja sein Werk. Spätestens seit 1975 war ihm klar, wohin sein Land trieb. Dazu genügte ihm die tägliche Lektüre des ND und der Umgang mit gewissen Kulturfunktionären. Warum ist diese Ausnahme so wenig bekannt, sei es als Ärgernis in den bürgerlichen Medien, sei es in der dünngesäten linken Presse?
Möge die Debatte über die Gründe des Untergangs der DDR und des sozialistischen Ostens Europas weitergeführt und vertieft werden. Wir, die wir von neuerlichen Kolonialkriegen betroffen sind, auf deren bourgeoise Begründung leider auch manche angeblich Linke hereinfallen, benötigen das sehr.
Als einzige Erklärung für den Niedergang des Sozialismus in der DDR und anderswo ist mir das psychologistische „Macht verdirbt den Charakter“ zu wenig und zu unmarxistisch.
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