Kunst auf Posten
Am nächsten Morgen fahren wir wieder im Bus in das Manövergebiet, diesmal in ein Übungsgelände, wo ich selbst vor vierzehn Jahren einen Unteroffizierslehrgang der Nationalen Volksarmee absolviert habe. Wieder ist es neblig und trübe, nur im nächsten Umkreis erkenne ich ein sandiges Plateau, ein Dickicht, einen Waldstreifen, die mich an Taktikübungen im damaligen heißen August, ans Eingraben, Tarnen, Gefechtsschießen und an strapazenreiche Gepäckmärsche erinnern, bei denen mancher Schweißtropfen hier zurückgeblieben ist. Auch der Bildhauer Hans Eickworth, der zwölf Jahre die Uniform der NVA getragen hat, steht nicht als Fremdling oder Zaungast hier, auch nicht Gerd Eggers, bis vor kurzem Angehöriger der Grenztruppen der DDR. Und Gerhard Bondzin, Präsident des Verbandes Bildender Künstler, der sich hier eine Staffelei aus Feldhocker und Zeichenbrett aufgebaut hat, mag zwar noch nie eine Waffe in der Hand gehalten haben, doch er hat sofort herzlichen Kontakt zu den Soldaten gefunden, die er ganz selbstverständlich „Waffenbrüder“ nennt. Er malt ein Aquarell, einen sowjetischen Oberleutnant, der mit zwei Soldaten seiner Kompanie auf den Beginn des großen Manövers wartet. Das Bild, dessen Entstehung ich an diesem nebligen Morgen erlebe, Gesichter, die auf dem Blatt des Malers wie in Wirklichkeit Symbol der Freundschaft und Kampfgemeinschaft sind, erinnern mich an das Wandbild dieses Malers am Dresdner Kulturpalast, an den „Weg der roten Fahne“. Denn dieser Weg hat auch hier eine entscheidende Station, beim Manöver „Waffenbrüderschaft“, im tosenden Lärm der Geschütze, Panzer und der mit ihren Handfeuerwaffen vorwärtsstürmenden Soldaten der verbündeten Armeen, an diesem diesigen, wolkenverhangenen Oktobertag 1970, der jedoch Freunden und Feinden klar und deutlich gezeigt hat: Vereint, um die rote Fahne der Arbeiterklasse geschart, sind wir unbesiegbar!
Aus „Seid euch bewußt der Macht“, Militärverlag der DDR, Berlin 1974
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