Ländliche Szene – Anfang 21. Jahrhundert
Meine Annäherungen an Menschen stehen, soweit es um Politik geht, unter keinem guten Stern, und ich denke manchmal, daß ich den Affront provoziere, so wie manche Bäume den Blitz auf sich ziehen. Denn oft gerate ich in Gesellschaften, die mir zuwider und von Herzen verhaßt sind.
So erinnere ich mich, daß ich im vergangenen Sommer nach einer nachmittaglangen Wanderung durch die Eifel in einen kleinen Weiler kam, dessen Namen ich vergessen habe. Es gab dort eine Gaststätte, ich trat ein, erschöpft, ruhebedürftig und arglos und ließ mir an der Theke ein Glas Wein geben. Am Stammtisch, unter Vereinsfahnen und wirrem Gehörn, saßen vier oder fünf Bauern, von denen einer, geröteten Gesichts und schlaganfallgefährdet, soeben kundtat, das Zigeunerlager auf dem Schlehenkopf sei ihm schon lange ein Dorn im Auge, und wenn es nach ihm ginge, würde er die Raupe ansetzen und die ganze Bagage den Hang hinunterkippen in die Sülz.
„Du sagst es! So ist’s!“ tönte der Beifall der Runde. Und also mischte ich mich ein und fragte den Demagogen, was denn die Zigeuner ihm getan, daß er so über sie denke.
Sie arbeiten nicht, wurde ich belehrt, und kassieren Wiedergutmachungsgelder für irgendeinen alten Opa oder eine alte Oma, die angeblich im KZ umgekommen sind.
„Das ist unser Ortsvorsteher!“ flüsterte die junge Frau an der Theke mir zu, und folglich erklärte ich dem Ortsvorsteher, was er da mache, sei Volksverhetzung, ein strafbarer Tatbestand, und er solle sich nicht wundern, wenn er eine Strafanzeige erhalte. Und schon entstand Unruhe, die sich, wie ich’s eigentlich hätte voraussehen müssen, nicht gegen den Mann des Volkes, sondern natürlich gegen mich, seinen Kritiker, richtete. Es gab lautes Gebölk, Schimpfworte fielen, nein, es waren wohl eher unartikulierte Laute – wie auch immer, ich fühlte mich bedroht, zahlte auf der Stelle und ging.
Ich habe keine Anzeige erstattet. Kein Zeuge hätte mir beigestanden, und so überließ ich dem Gegner das Feld, reicher um die Erfahrung, daß es nicht nur des Gesetzes, sondern auch der Gewalt bedarf, das Recht zu erzwingen, wo es an Einsicht gebricht.
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