Wie Präsident Gauck auf besorgte Fragen
von Prof Schneider reagieren ließ
Läppische Antwort
auf ein seriöses Schreiben
Ich bin 88, gehöre also zur Werner-Holt-Generation, die Krieg und Gefangenschaft noch erlebt hat. Aus meiner Klasse gab es nur zwei Überlebende. Die Erfahrungen von damals zwingen mich heute dazu, aus Sorge um meine Kinder, Enkel und Urenkel zur Politik der Bundesregierung Stellung zu nehmen. Deutschland taumelt von einem Krieg zum anderen, und die Regierung erfindet immer abenteuerlichere Begründungen. Ich möchte feststellen:
Erstens: Deutschland ist wie kein anderer Staat zum Frieden verpflichtet. Die unbedingte Friedenspflicht ergibt sich aus dem Vermächtnis der Antifaschisten „Nie wieder Krieg!“, aus den Nachkriegsbestimmungen über Deutschland, den Artikeln 107 und 111 der UNO-Charta und den Versprechen Bundeskanzler Kohls „von deutschem Boden wird kein neuer Krieg ausgehen“. Das waren Bedingungen für die „Wiedervereinigung“.
Zweitens: Das (provisorische) Grundgesetz legt im Artikel 25 den Vorrang des Völkerrechts für jeden Deutschen fest. Die Völkerrechtsprinzipien verbieten Intervention und Aggression und verlangen eine friedliche Streitbeilegung. Für Sanktionen ist allein der Sicherheitsrat zuständig. Entscheidungen der deutschen Regierung oder Absprachen mit den USA oder Frankreich schaffen kein Völkerrecht. Exkanzler Gerhard Schröder hat öffentlich zugegeben, daß der Krieg gegen Jugoslawien Völkerrechtsbruch war. 1999 wurde nicht ein „neues Auschwitz“ (Außenminister Fischer) verhindert, sondern ein Staat zertrümmert, dessen Existenz und sichere Grenzen in Helsinki – auch durch die BRD – garantiert worden waren. Auch für den Einsatz der Bundeswehr in Syrien gibt es keine völkerrechtliche Grundlage. …
Drittens: Die Bundeswehr wird permanent grundgesetz- und völkerrechtswidrig eingesetzt. Das Grundgesetz sieht ihren Einsatz nur zum Zwecke der Verteidigung vor. Der Verteidigungsfall liegt vor, wenn „das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht“. Dabei muß es sich um einen bewaffneten militärischen Angriff von außen handeln. Daß die deutsche Grenze am Hindukusch liegt, konnte nur ein deutscher Verteidigungsminister entdecken. …
Viertens: Das Rüstungsgeschäft und die Rüstungsexporte sind unvernünftig und unmoralisch. Zum Kriegführen wird „Geld, Geld und Geld“ gebraucht (Montecuculi in Schillers Wallenstein). Ohne Geld gibt es keine Soldaten und keine Waffen. Für den Waffenexport gelten Bestimmungen des Grundgesetzes. Die bisherige Praxis zeigt, daß die Rüstungshaie begeistert frohlocken, während Unschuldige, manchmal auch eigene Soldaten, Opfer der Waffen werden. Der Verzicht auf die Rüstung würde ungeheure Mittel für andere nützliche Zwecke freisetzen und manchen Krieg „austrocknen.“
Grafik: Gertrud Zucker
Die Abschaffung der Atomwaffen hat wegen ihrer Gefährlichkeit Vorrang. Sie müssen von deutschem Boden verschwinden. Deutschland muß aufhören, der NATO-Vasall der USA zu sein.
Fünftens: Es muß gesetzlich unterbunden werden, daß Medien Kriege rechtfertigen.
Die Erfahrungen beweisen, daß regierungshörige Medien eine entscheidende Rolle bei der Entfesselung von Kriegen spielen. Das geschieht, indem sie mißliebige Politiker wie Milosevic, Hussein, Gaddafi und Assad als Schurken verteufeln und erfundene Kriegsanlässe propagieren. Zur Erfahrung gehört, daß die Völker der überfallenen Länder nach ihrer „Befreiung“ unter schlechteren Bedingungen leben als unter den gestürzten Machthabern. Afghanistan, Irak und Libyen sind Beispiele dafür.
Sechstens: Die feindselige Politik gegenüber Rußland muß schnellstens beendet werden.
Kein anderes Land hat so stark unter der deutschen Herrschaft gelitten wie die UdSSR. Kein Volk hat bei der Befreiung Europas vom Faschismus so große Opfer gebracht wie die Völker der Sowjetunion. Allein diese Tatsachen wirken sich auf die Beziehungen Deutschlands zu Rußland bis heute aus und verlangen eine besondere Sensibilität. Die Embargo-Politik ist ein zweischneidiges Schwert. Sechzig namhafte Politiker und Künstler, darunter Expräsident Roman Herzog und der Schauspieler Mario Adorf, haben unter dem Motto „Nicht in unserem Namen“ gegen die Rußland-Politik der Merkel-Regierung protestiert. Deutschland hat mit seiner Einmischung in Sachen Ukraine und Krim die Krise verursacht. Wenn der russische Bär nur brummt, sollte das nicht so gedeutet werden, daß er seine Tatzen nicht zu nutzen versteht. ln Syrien wird sich das zeigen. Sowjetische Truppen befinden sich auf Wunsch Präsident Assads dort. Ihr Einsatz ist daher legitim. Das ist bei der Bundeswehr keineswegs der Fall.
Aus den Fakten ergeben sich Fragen, deren Beantwortung die Zukunft Deutschlands berührt: Welche Ziele verfolgt die deutsche Außenpolitik? Wessen und welche Interessen sind mit „deutschen Interessen“ gemeint? Welche Prinzipien werden in der Außenpolitik eingehalten? Kehrt die Bundesregierung zu den gültigen Völkerrechtsnormen zurück? Betreibt sie das Finis Germaniae, das Rolf Hochhuth am 5. November 2015 unter Berufung auf Brechts Karthago-Vergleich befürchtete, oder garantiert sie allen Bürgern eine friedliche Zukunft? Herr Präsident, ist Ihnen eine Antwort möglich?
Mit freundlichen Grüßen
Die Antwort des Bundespräsidialamtes vom 23. Dezember 2015 lautete:
Sehr geehrter Herr Professor Schneider,
haben Sie vielen Dank für Ihren Brief vom 2. Dezember 2015 an Bundespräsident Joachim Gauck. Der Bundespräsident erhält täglich eine große Anzahl an Schreiben, die er leider nicht alle persönlich beantworten kann.
In Ihrem Brief sprechen Sie viele aktuelle sicherheits- und außenpolitische Fragestellungen an, zu denen es keine leichten Antworten gibt und die alle für sich einer vertieften Betrachtung wert wären. Bitte haben Sie Verständnis dafür, daß dies an dieser Stelle nicht möglich ist. Sie können aber versichert sein, daß der Bundespräsident an den Gedanken der Bürgerinnen und Bürger interessiert ist. Insofern trägt auch Ihr Schreiben dazu bei, sich ein Bild von den Meinungen im Lande zu machen.
Peter Zingraf / Referatsleiter 20
Grundsatzfragen der Außenpolitik, Beziehungen zu Amerika und zum Nahen und Mittleren Osten und Nordafrika sowie zu internationalen und multilateralen Organisationen sowie Nichtregierungsorganisationen
Beide Texte wurden redaktionell geringfügig gekürzt.
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