Volkspolen darf nicht in Vergessenheit geraten,
trotz der Wojtylas und Wałęsas
Leszeks Brief
Im Sommer 1952 wurde ich Mitglied der Deutsch-Polnischen Gesellschaft für Frieden und gute Nachbarschaft, die später in der Liga für Völkerfreundschaft aufging. Dieser Zusammenschluß setzte sich für eine Friedensgrenze an Oder und Neiße ein. Die Gegenposition zu den revanchistischen Regierenden und den sie stützenden politischen Kräften im Westen war damals ein klares Bekenntnis deutscher Antifaschisten.
1954 berief mich die in Polen sehr verbreitete und im Unterschied zu später eher dubiosen Positionen damals konsequent sozialistische Studentenzeitung „Poprostu“ (Ganz einfach) als ihren ständigen Berliner Korrespondenten. Ich unterbrach meine regelmäßige Berichterstattung für das Blatt übrigens auch nicht, als ich mich – wie damals nicht wenige von uns – nach einer Flugblattaktion vor den Westberliner Siemens-Werken zeitweilig im Gefängnis Moabit aufzuhalten gezwungen war. Mein Anwalt Friedrich Karl Kaul brachte die in der Zelle geschriebene Reportage auf den Weg, und „Poprostu“ druckte den Text dann auf seiner Titelseite.
Als ich 1955 in die zu den V. Weltfestspielen nach Warschau reisende FDJ-Delegation aufgenommen wurde, erwarteten mich dort gute Freunde. Die „Poprostu“-Redaktion, von der ich in dem als inoffizielles Festival-Hauptquartier dienenden neuen Hochhaus-Hotel „Warszawa“ einquartiert wurde, stellte mir ihren journalistischen Mitarbeiter Jerzy Urban als persönlichen Betreuer zur Seite. Natürlich konnte ich nicht ahnen, daß mein ständiger Begleiter später einmal Sprecher der letzten Regierung Volkspolens und danach Chefredakteur der als beherzt geltenden Zeitschrift „Nie“ sein würde.
Ein anderer früherer „Poprostu“-Redakteur – Stanisław Albinowski – arbeitete inzwischen bei der Warschauer Tageszeitung „Tribuna Mazowiecka“, die von der Wojewodschaftsleitung der PZPR, wie man die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei abkürzte, herausgegeben wurde. Er hieß mich mit der Kolumne „Mój przyjaciel Klaus“ (Mein Freund Klaus) willkommen, in der er neben ernsten Episoden aus unserer politisch-journalistischen Zusammenarbeit auch eine Groteske zum besten gab. So hatte der des Deutschen durchaus kundige Albinowski bei Redewendungen einmal in die falsche Kiste gegriffen. In einem seiner zahlreichen Briefe an mich wählte mein „Poprostu“-Partner statt der Worte „Bedürfnisse befriedigen“ die nicht ganz identische Formulierung „Notdurft verrichten“ und das obendrein noch mit Blick auf harmonische Beziehungen zu Frauen. In dem erwähnten Artikel bekannte sich Stanisław vor den Lesern der „TM“ zu seiner sprachlichen Fehlleistung.
Übrigens gibt es zu Albinowski, der Jahre später Bonner Korrespondent des PZPR-Zentralorgans „Tribuna Ludu“ wurde, noch andere Anekdoten. Als Stotterer hatte er Schwierigkeiten, seine Worte zügig und zusammenhängend an den Mann zu bringen. Auf einer Pressekonferenz mit Willy Brandt begann der Bundeskanzler, nachdem er den Sinn erfaßt hatte, bereits mit der Antwort, bevor Stanisław zum Schluß gekommen war. Als Brandt das Seine gesagt hatte, meldete sich der polnische Korrespondent noch einmal, um seine längst beantwortete Frage zu Ende zu bringen.
Phantastische Freunde besaß ich jahrzehntelang in Ela und Dr. Norbert Kołomejczyk. Beide, mit denen ich zunächst korrespondiert hatte und deren Gast ich dann wiederholt in Warschau sein durfte, waren Absolventen der Universität Kasan in der Tatarischen Autonomen Sowjetrepublik. Während Ela später im polnischen Innenministerium mit der Verfolgung von Kriegs- und Naziverbrechen befaßt war, arbeitete der leider früh verstorbene Norbert im Zentralen Archiv der PZPR als dessen stellvertretender Direktor. Nach jahrzehntelangem Briefwechsel konnte ich mit Ela einen Gedankenaustausch über ihre „RotFuchs“-Lektüre beginnen.
Natürlich bin ich besonders froh darüber, daß zu den engen Freunden, welche die besten Traditionen der polnischen Arbeiterbewegung und Volkspolens verkörpern, auch der bekannte Wrocławer Historiker Prof. Zbigniew Wiktor – ein dem „RotFuchs“ von Beginn an verbundener ideologischer Kopf der polnischen Kommunisten unserer Tage – gehört.
Diesen Bericht will ich nicht abschließen, ohne das mich wohl am meisten bewegende Erlebnis in der Chronik meiner Beziehungen zu Menschen im einstigen Nachbar- und Freundesland der DDR zu schildern: In der bereits erwähnten „Tribuna Mazowiecka“ hatte ich – gewissermaßen als Erwiderung auf die Grußworte Stanisław Albinowskis – nach der Rückkehr von der Fahrt einer Festivalabordnung in das Vernichtungslager den Artikel „Die Blumen von Auschwitz“ veröffentlicht. Darin schilderte ich meine Gefühle als junger deutscher Antifaschist, den polnische Mädchen und Jungen am Ort des Grauens umarmt und mit dem schönsten Blumenstrauß seines Lebens bedacht hatten. Nur Tage später erreichte mich der Brief des „TM“-Lesers Lech Opiełínski. Er schilderte mir, was er als ehemaliger Häftling von Oświęcim gegenüber einem Deutschen Thälmannscher Gesinnung empfinde, der ihm in meinem Beitrag begegnet sei. Die letzten Worte lauteten: „Ich, Pole und Überlebender von Auschwitz, glaube und vertraue Dir.“
Es war wohl kein Fehler, daß ich Leszeks Brief – seinen Verfasser hatte ich noch kurz vor dessen frühem Tod in einem Sanatorium der polnischen Sicherheitskräfte bei Warschau umarmen können – jahrzehntelang in meinem SED-Parteibuch aufbewahrt habe.
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