Südafrika nach den fünften freien Wahlen
seit dem Ende der Apartheid
Licht und Schatten in der Republik am Kap
Die jüngsten Wahlen in Südafrika vermittelten vordergründig den Eindruck, als ob alles beim alten geblieben sei. Einmal mehr hat der seit dem Ende der rassistischen Apartheid in der Republik am Kap regierende African National Congress (ANC) die Abstimmung für sich entscheiden können. Doch es gibt zwei Unterschiede zu früher: Erstens ist der ANC, auf dessen Listen auch die beiden anderen Partner der historischen Dreierallianz – die einflußreiche Südafrikanische Kommunistische Partei (SACP) und die Gewerkschaftszentrale COSATU – ihre Kandidaten plaziert hatten, nicht mehr mit der Befreiungsorganisation, die das weiße Rassistenregime ablöste, 1 : 1 gleichzusetzen. Zweitens sind Kontroversen innerhalb des ANC ebenso unverkennbar wie ideologische Flügelkämpfe in SACP und COSATU, von der sich starke und klassenkämpferische Verbände inzwischen getrennt haben.
Dennoch sollte man den fünften ANC-Sieg in Folge nicht kleinreden, obwohl eine gewisse Rückläufigkeit in Einfluß und Wählerunterstützung bei der führenden Kraft im südafrikanischen Regierungslager nicht zu verkennen ist. Hatte der ANC vor 20 Jahren auf Anhieb 62,2 % des Votums eingefahren und seinen Anteil später auf 65,9 %, 66,3 % und 66,7 % zu steigern vermocht, so stimmten diesmal nur 62,2 % für die nationaldemokratische und antirassistische Sammlungsbewegung, der vor allem Nelson Mandela zu Glanz und Ruhm verholfen hatte. Andere Kräfte vermochten dem ANC Wasser abzugraben.
Hier ist an erster Stelle die Demokratische Allianz (DA) als offizielle Opposition zu nennen, die im Lager der politischen Gegenspieler des ANC die erste Geige spielt. Hinter ihr steht die große und mittlere, inzwischen keineswegs nur weiße Bourgeoisie, der die von Politikern des rechten ANC-Flügels durchsetzte Regierung zu keiner Zeit gefährlich geworden ist. Die DA hat in den letzten Jahren ständig an Einfluß gewonnen und bei Wählerstimmen erheblich zugelegt: Votierten 2004 erst 12,4 % der Abstimmenden für ihre Liste, so waren es 2009 bereits 16,7 %. Diesmal errang die Hauptkraft des Anti-ANC-Lagers 22,2 % – mehr als jede fünfte Stimme.
Demgegenüber büßten Formationen rechts von der DA weiter an Boden ein. Die Inkatha Freedom Party des einstigen Bantustanchefs Buthelezi mit Hochburgen in KwaZulu Natal, für die sich 1994 nicht weniger als 10,5 % und 1994 immerhin noch 4,5 % entschieden hatten, kam diesmal nur auf 2,4 %. Noch weiter abgeschlagen war die Freedom Front Plus des rassistisch-faschistoiden harten Kerns der burischen Afrikaner-Bewegung, die von 2,1 % (1994) auf 0,9 % absackte.
Für Wirbel sorgte eine neue politische Kraft: Die sich als Economic Freedom Fighters (EFF) präsentierende militante Gruppierung des 2012 aus dem ANC ausgeschlossenen früheren Chefs seiner Jugendliga (ANCYL) Julius Malema eroberte mit ihrer Korruption und Vetternwirtschaft attackierenden radikalen Rhetorik auf Anhieb einen Stimmenanteil von 6,2 % und 30 Mandate in der südafrikanischen Nationalversammlung. Die Medien interpretierten Malemas Erfolg und den Aufstieg seiner Partei als Debakel des in innere Widersprüche verstrickten ANC und seiner Bündnispartner.
Zweifellos weist die Bilanz des neuen Südafrika Licht und Schatten auf. Die Staatsmacht liegt trotz der Regierungsbeteiligung von Kommunisten und Gewerkschaftern, die auch im Parlament über etliche Sitze verfügen, keineswegs in den Händen der Arbeiter und Bauern. Auf der Habenliste des ANC-Kabinetts stehen Erfolge in der Bekämpfung von AIDS und Tuberkulose – den beiden größten Todesverursachern in Südafrika –, und eine Erhöhung der Lebenserwartung seit 1994 um 5 %. Verbesserungen der Infrastruktur durch Straßen- und Bahnbau sowie die Schaffung neuer Hafenanlagen sind zu vermerken, aber auch die Eröffnung weiterer Universitäten und Schulen. In den vergangenen fünf Jahren wurde eine Million Haushalte an das Stromnetz angeschlossen. Seit 1994 erhielten drei Millionen Menschen stabile Unterkünfte. Größere Teile der schwarzen Bevölkerung konnten sanitär versorgt werden.
Andererseits gibt es gerade auch in infrastruktureller Hinsicht weiterhin enorme Defizite. Dagegen richteten sich 2013 nicht weniger als 13 000 Protestaktionen. Viele hingen auch mit der nach wie vor grassierenden Arbeitslosigkeit zusammen. Zu den ernstesten Problemen gehört die immer mehr ausufernde Korruption.
Die hier nur angedeuteten Mißstände erklären die Tatsache, daß die EFF Julius Malemas eine solche Durchschlagskraft zu erreichen vermochte. Dessen militante Anhänger treten mit roten Baretten und oftmals auch in militärischen Tarnanzügen oder roten Lederjacken mit dem Logo der Partei auf. Malema bezeichnet sich als Oberkommandierender. Die vom ANC nicht vertretenen Forderungen seiner Partei nach Verstaatlichung der Bergwerke und Enteignung der weißen Plantagenbesitzer stoßen bei großen Teilen der Arbeiterschaft und der Jugend verständlicherweise auf Resonanz. Dabei hat die EFF auf alte Losungen der SACP und der von Kommunisten geführten Gewerkschaftszentrale COSATU zurückgegriffen und diese sprachlich radikalisiert.
In Südafrika dürfte es fortan vor allem darauf ankommen, dem weiteren Vordringen der rechtsgerichteten DA entgegenzuwirken. Übrigens hat diese Partei bei den Mai-Wahlen auch in traditionellen ANC-Hochburgen wie der dichtbesiedelten Provinz Gauteng, in der sich die Metropolen Pretoria und Johannesburg befinden, die Zahl ihrer Stimmen verdoppeln können. Unterstützung erhält sie von Teilen der indischen und der als „coloured“ (farbig) bezeichneten Bevölkerungsgruppen, deren spezielle Anliegen durch die vor allem auf Südafrikas schwarze Mehrheit abhebende ANC-Regierung ungenügend beachtet worden sind. Selbst immer mehr an den Rand gedrängte Township-Bewohner folgen den „Empfehlungen“ der DA, die auf Vokabeln aus der Befreiungssprache ebenso demagogisch zurückgreift wie auf die ungebrochene Popularität Nelson Mandelas, wobei sie verbalen Rassismus bewußt vermeidet.
In Südafrika gilt auch nach den Wahlen die Parole „Business as usual“ – Alles bleibt, wie es ist –, obwohl sich unverkennbare Gefahren am politischen Horizont abzeichnen.
RF, gestützt auf „People’s World“, New York
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