RotFuchs 196 – Mai 2014

Maxie Wanders eindringliche Protokolle über Frauen in der DDR

Lust und Mut, von sich zu erzählen

Marianne Walz

„Konflikte werden uns erst bewußt, wenn wir es uns leisten können, sie zu bewältigen. Unsere Lage als Frau sehen wir differenziert, seitdem wir die Gelegenheit haben, sie zu verändern.“ Diesen Gedanken stellte die Schriftstellerin Maxie Wander ihrer Sammlung von Selbstzeugnissen unterschiedlicher Frauen aus der DDR voran. Als die Protokolle unter dem Titel „Guten Morgen, du Schöne“ 1976 in der DDR und dann auch in der BRD erschienen, lösten sie zahllose Wortmeldungen aus. Christa Wolf schrieb in ihrem Vorwort: „Der Geist, der in diesem Buch (…) am Werke ist, ist der Geist der realen Utopie. (…) Fast jedes der Gespräche weist durch Sehnsucht, Forderung, Lebensanspruch über sich hinaus.“

Siebzehn Frauen unterschiedlicher Jahrgänge, Lebensumstände, Berufe und Herkünfte geben freimütig Auskunft über sich. Gemeinsam ist ihnen das Zuhausesein in der DDR und das Bemühen, sich selbst und den Mitmenschen gerecht zu werden. Die Autorin Maxie Wander stammte aus Österreich und war 1958 zusammen mit ihrem Mann Fred Wander in die DDR gekommen. Sie erkannte die Größe der historisch einzigartigen Veränderung, die sich vor ihren Augen im Leben der Frauen vollzogen hatte – als „neue Schwesterlichkeit“. Um 1975 waren gesetzliche Gleichstellung und das Recht auf Arbeit im damals gerade 25 Jahre bestehenden jungen deutschen Staat zur selbstverständlichen Lebenspraxis geworden. Eine Grundlage war entstanden, um neue, frauengemäße Weisen des Menschseins zu erfragen, zu erkunden und einzufordern. Maxie Wander fand in der protokollarischen Form ein eindringliches Gestaltungsmittel. Sie ermutigt Rosi, Doris, Christl, Susanne und weitere Dialogpartnerinnen zum Sprechen, unterstützt und begleitet ihr Ringen um Ausdruck, läßt ihrer Alltagsrede und der Heimatmundart die Klangfarben, dringt in das innere Befinden jeder einzelnen Gesprächspartnerin vor. Die Befragten formulieren ihre Träume und Ängste in der Arbeit und in der Liebe. Politik kommt kaum darin vor, und doch ist das Gesellschaftliche in jedem Satz gegenwärtig.

Tastendes Suchen nach dem wirklichen Frausein manifestiert sich darin und immer wieder die Zuversicht, daß es gelingen kann. Christa Wolf erklärt dazu in ihrem Vorwort: „Die Verhältnisse in unserem Land haben es Frauen ermöglicht, ein Selbstbewußtsein zu entwickeln, das nicht zugleich Wille zum Herrschen, zum Dominieren, zum Unterwerfen bedeutet, sondern Fähigkeit zur Kooperation. Zum erstenmal in ihrer Geschichte definieren Frauen (…) ihr Anderssein; zum erstenmal entfalten sie nicht nur schöpferische Phantasie: Sie haben auch jenen nüchternen Blick entwickelt, den Männer für eine typisch männliche Eigenschaft hielten.“

In der DDR waren die vielen Gespräche über „Guten Morgen, du Schöne“ in den Betriebskollektiven oder Hausgemeinschaften begleitet von Fernseh- und Rundfunkproduktionen sowie zahlreichen Bühnen-Inszenierungen.

Und in der Bundesrepublik fühlten sich die Streiterinnen für die Gleichberechtigung von der selbstbewußten, eher unideologischen Art fasziniert, mit der die DDR-Frauen ihren Emanzipationsanspruch vortragen. Sie sprechen ihn deutlich aus, aber in einer Weise, die ohne die Gegnerschaft der Männer auskommt. Hinter dieser Erscheinung steht die einfache, im Westen jedoch bestaunte Wahrheit: Die Herrschaft des Kapitals, nicht die der Männer ist es, die der Selbstwerdung von Frau und Mann den Weg verstellt.

Das Buch erreichte in der BRD Hunderttausender-Auflagen. Zwei Wortmeldungen zu „Guten Morgen du Schöne“ aus voneinander weit entfernten politischen Positionen markieren das breite Echo auch von westlich der Elbe, wo jene unerhörte „reale Utopie“ bis heute Bewunderung hervorruft:

Der Kölner Romanautor Erasmus Schöfer, mit seiner 2008 erschienenen Tetralogie „Die Kinder des Sisyfos“ bekannt als Chronist der fortschrittlichen Linken in der BRD, läßt die Protokolle von Maxie Wander in die Hand der Theaterfrau Lena Bliss geraten. Lena ist eine der Hauptfiguren in Schöfers Romanhandlung zu „Winterdämmerung“, und ihr werden jene Selbstzeugnisse der DDR-Frauen zum Auslöser für einen ehrgeizigen Lebensentwurf. Lena fordert konsequent ihr Recht auf Selbstverwirklichung ein, qualifiziert sich von der Kostümschneiderin zur Schauspielerin. In der Hauptrolle zur Theater-Inszenierung „Guten Morgen, du Schöne“ feiert sie schließlich beglückende Erfolge, aber sie hat für den Triumph Ehe und Mutterschaft preisgeben müssen.

Und im Feuilleton der erzkonservativen FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) schrieb Maria Frisé am 31. 3. 1978: „Die Emanzipation der Frau hat sich im anderen Teil Deutschlands (…) ohne die kämpferisch schrillen Töne (vollzogen), die hierzulande zuweilen zu hören sind. Der Beruf und die damit verbundene Unabhängigkeit ist die Norm, nichts, was man sich erst erstreiten muß. (…) Im Vordergrund steht (…) Allerpersönlichstes (…). Keine der siebzehn Frauen, von der sechzehnjährigen Schülerin bis zur vierundsiebzigjährigen Großmutter, fühlt sich ausgeliefert. Sie sehen durchweg ihre Chancen, sich selbst zu verwirklichen, und nehmen sie wahr.“

Könnte die 1977 verstorbene Maxie Wander ihre Arbeit unter den jetzt veränderten Bedingungen wiederholen, vielleicht die Jüngeren unter den 17 Frauen nochmals aufsuchen, die Auskünfte klängen gewiß anders. Mag sein, daß sich diese oder jene mit dem Dasein als Bundesbürgerin arrangiert hat. Doch zukunftsgreifend mitmenschliche Erwartungen wie 1977 würden sie wohl kaum wieder artikulieren.

Die abgehobenen Dispute über Quotenfrauen in den Konzern-Kommandozentralen oder über die Vorschrift auf dem Arbeitsmarkt, die feminine Sprachform zu benutzen – sie tragen eher wenig zur Frauengleichstellung bei. Hingegen lohnt es sich, das Buch von Maxie Wander wieder aufzuschlagen. Es vermag jenem „Geist der realen Utopie“ gedanklichen Raum zu schaffen.