Betreibt Jarosław Kaczynski die
faschistoide Gleichschaltung Polens?
„Machtergreifung“ in Warschau?
An der Weichsel hält inzwischen der sich als Nationalkonservativer ausgebende prononcierte Reaktionär und Zwillingsbruder des am 10. April 2010 bei einem Flugzeugunglück in Smolensk ums Leben gekommenen früheren polnischen Präsidenten Lech Kaczyński alle Fäden in der Hand. Bei den Parlamentswahlen am 25. Oktober 2015 errang seine Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) bei einem Stimmenanteil von nur 37,6 % die absolute Mehrheit der Sejm-Mandate. Diese Situation ergab sich daraus, daß 16 % des Votums auf mehrere kleine Parteien entfielen, die nicht über die festgesetzte Prozenthürde für den Einzug ins Parlament hinauskamen.
Regierungschefin Beata Szydło und Strippenzieher Jarosław Kaczynski
In der Vergangenheit war die polnische Reaktion wiederholt daran gescheitert, daß sich kein in ihren Augen geeigneter Koalitionspartner fand. Zuvor – in den Jahren 2006/07 – hatten die Kaczyńskis ihre kleineren „Mitregierer“ so geschickt an die Wand gespielt, daß sie anschließend völlig aus dem politischen Rennen geworfen wurden. So galt ein Zusammengehen mit PiS in den Augen der noch im Sejm verbliebenen anderen Parteien keineswegs als wünschenswert. Sie wollten nicht ähnliche Erfahrungen sammeln wie ihre Vorgänger. Jetzt hat Kaczyńskis scharf rechtsgerichtete Partei sowohl das höchste Staatsamt – die Präsidentschaft – als auch die Spitze der Exekutive unter ihre Kontrolle gebracht.
Die Proteste gegen die PiS-Regierung nehmen kein Ende.
Vor den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2015 war Amtsinhaber Bronisław Komorowski von nahezu sämtlichen Beobachtern der Warschauer Politszene als sicherer Favorit ausgemacht worden, während der für den reaktionären PiS-Klüngel ins Rennen geschickte Andrzej Duda bis zuletzt als Außenseiter gehandelt wurde. Doch er gewann sowohl im ersten Wahlgang als auch bei der Stichwahl. 2015 schlug die PiS dann auch auf Regierungsebene zu und hob die Kaczyński-Vertraute Beata Szydło als neue Ministerpräsidentin auf den Schild. Warschaus innenpolitischer Kurs ist extrem reaktionär, seine Außenpolitik folgt prononciert nationalistischen Kriterien. Vorbei sind die Zeiten des in die Reihe der EU-Spitzenpolitiker aufgerückten Donald Tusk, der als Ministerpräsident im Interesse eines gewissen Wirtschaftswachstums alles unternommen hatte, um Polens vollständige Eingliederung in das Europa der Monopole vorzubereiten. Doch bis heute gilt im östlichen Nachbarland der BRD nach wie vor der Złoty als Landeswährung, während der Euro zwar die dominierende Rolle spielt, aber noch immer kein offizielles Zahlungsmittel ist. Vieles spricht inzwischen dafür, daß die distanzierte Haltung gegenüber Brüssel durch das sich eng an Ungarns faschistoide Orbán-Regierung anlehnende Warschauer PiS-Regime wohl kaum aufgegeben werden dürfte.
Die Position des Lagers von Kaczyński erscheint zumindest vorerst relativ stabil zu sein, zumal es in Polen schon seit Jahrzehnten keine einflußreiche linke oder auch nur halblinke Kraft mehr gibt, die den Regierenden in die Tasten greifen könnte.
Parteien, die sich als Nachfolger der einstigen PVAP/PZPR ausgaben und von anfangs sozialdemokratischen Positionen immer weiter abdrifteten, spielen im heutigen Polen eher eine untergeordnete Rolle. Die SLD, wie die derzeit letzte Variante in diesem Auflösungsprozeß heißt, war immerhin ein zu beachtendes Hindernis auf dem Vormarschweg der extremen Reaktion, zumal sie sich für die strikte Trennung von Staat und Kirche einsetzte, was in einem klerikalen Land wie Polen schon etwas heißen will. Doch seit 2015 ist die SLD nicht mehr im Warschauer Sejm vertreten.
Die mutige KP Polens ist bis jetzt leider eine günstigstenfalls regionale Partei geblieben, die im nationalen Rahmen noch keinen Boden erobern konnte.
Obwohl die etliche Staaten in Süd-, West- und Nordeuropa überflutenden Flüchtlingsströme das osteuropäische Land aus geographischen und anderen Gründen fast nicht tangierten, zeigen sich tonangebende Kreise der EU-Bürokratie durch die jüngste Entwicklung in Warschau aus anderen Gründen äußerst beunruhigt. Auch BRD-Politiker teilen solches Mißbehagen. Als Polens Außenminister Witold Waszczykowski nach den Anschlägen in Paris am 19. November in einem Rundfunkinterview zur EU von „Vasallen Deutschlands“ sprach, zu denen sein Land niemals gehören wolle, löste das in Berlin Empörung aus. Im Umfeld Kaczyńskis vertritt man nicht nur unterschwellig die Auffassung, eine weitergehende Integration Polens in die Europäische Union liege ausschließlich im Interesse der Bundesrepublik Deutschland. Bisweilen findet auch ein blindes Huhn ein Korn.
Alles in allem: Aus Polen bläst nun ein weitaus schärferer Wind als zuvor. Rabiate Russophobie und aggressives Gebaren gegenüber Moskau gehören dort natürlich weiterhin zum Menü. Doch auf den neuen Politikstil müssen sich alle linken und demokratischen Kräfte inner- wie außerhalb der polnischen Grenzen einstellen. Die Gefahr geht weit darüber hinaus, wie die Aktionen gegen das Verfassungsgericht und der Schlag gegen die öffentlich-rechtlichen Medien zeigten. Strebt Kaczyński eine „Machtergreifung“ in Warschau an?
Der sich vielerorts in Polen nicht zuletzt von Gewerkschaften, Bauernverbänden und neu formierten Zusammenschlüssen bereits aufbäumende Widerstand signalisiert die antifaschistische Kampfentschlossenheit erheblicher Teile der Bevölkerung. Noch ist Polen nicht verloren!
RF, gestützt auf „Solidaire“, Brüssel, und „Sozialismus“, Hamburg
Nachricht 781 von 2043
- « Anfang
- Zurück
- ...
- J. Fučik: Menschen, ich hatte euch lieb – seid wachsam!
- Afghanistan:
Krieg und Okkupation gehen weiter - Der syrische Leidensweg
- „Machtergreifung“ in Warschau?
- Zum Ausgang der Wahlen in Venezuela
- Belgien: Zu einer neuen Symbolik der PTB
- Irland: Erbitterte Schlacht für das Menschenrecht auf Wasser
- ...
- Vorwärts
- Ende »