Mahnende Stimmen
Brecht: Abgestumpftheit bekämpfen!
Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer. Die Beschreibungen, die der New Yorker von den Greueln der Atombombe erhielt, schreckten ihn anscheinend nur wenig. Der Hamburger ist noch umringt von Ruinen, und doch zögert er, die Hand gegen einen neuen Krieg zu erheben. Die weltweiten Schrecken der vierziger Jahre scheinen vergessen. Der Regen von gestern macht uns nicht naß, sagen viele.
Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben, ihr äußerster Grad ist der Tod. Allzu viele kommen uns schon heute vor wie Tote, wie Leute, die schon hinter sich haben, was sie vor sich haben, so wenig tun sie dagegen. – Und doch wird nichts mich davon überzeugen, daß es aussichtslos ist, der Vernunft gegen ihre Feinde beizustehen. Laßt uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Laßt uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind! Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.
(Zum Völkerkongreß für den Frieden, Wien, Dezember 1952)
Grass: Putin verstehen!
In einem Interview kurz vor seinem Tod zeigte sich Günter Grass äußerst besorgt um die Zukunft der Menschheit. Er warnte vor einem dritten Weltkrieg, sozialem Elend und den Folgen des Klimawandels.
„Wir steuern auf den dritten großen Krieg zu“, sagte der Literaturnobelpreisträger in einem Interview der spanischen Zeitung „El País“, das am 21. März in Lübeck geführt und am 14. April erstmals veröffentlicht wurde. „Es gibt überall Krieg. Wir laufen Gefahr, dieselben Fehler wie früher zu machen. Ohne es zu merken, als wären wir Schlafwandler, können wir in einen neuen Weltkrieg gehen“, warnte er. Der Autor des Romans „Die Blechtrommel“ war am 13. April im Alter von 87 Jahren gestorben.
Grass rief die Europäer dazu auf, den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu verstehen und sich nicht so sehr von den Interessen der USA leiten zu lassen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion seien „keine ernsthaften Versuche“ unternommen worden, unter Einbeziehung Rußlands eine neue Sicherheitsallianz zu gründen. Das sei ein Riesenfehler gewesen. „Der Ukraine wird ein Beitritt in die EU und danach in die NATO versprochen. Da ist es nur logisch, daß ein Land wie Rußland nervös reagiert.“
Lafontaine: Rußland gehört ins Europäische Haus
Der frühere Vorsitzende der Partei Die Linke und heutige Chef ihrer Fraktion im Saarländischen Landtag, Oskar Lafontaine, wirbt für eine Entspannungspolitik gegenüber Rußland. Die Politik der USA mache den russischen Präsidenten Wladimir Putin zum Verursacher der Ukraine-Krise, sagte er in seiner Rede auf der Gedenkveranstaltung der Fraktion zum 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus. „Sicherheit in Europa, auch das ist die Lehre des Zweiten Weltkrieges, ist nicht gegen, sondern nur mit Rußland zu erreichen.“
„Aufgabe der Linken gerade an dem heutigen Tag ist es, auch in Erinnerung an die weit über 27 Millionen Kriegstoten der Völker der ehemaligen Sowjetunion, darunter fünf bis sieben Millionen Ukrainer, dafür zu werben, die Politik der Entspannung und der guten Nachbarschaft mit Rußland und der Ukraine, für die Willy Brandt den Friedensnobelpreis erhielt, wieder aufzunehmen“, forderte Lafontaine.
Seine Partei habe den Beitrag der USA zum Sieg über Nazi-Deutschland nicht vergessen. „Aber wenn der aggressive US-Imperialismus nach dem Zusammenbruch der UdSSR jede Selbstbeschränkung aufgegeben hat und in fahrlässiger Weise seine Expansionspolitik weiterverfolgt, dann reklamieren auch wir Linke eine neue Verantwortung Deutschlands in der Welt.“ Allerdings begreife die Partei Die Linke diese Verantwortung anders als die herrschenden Parteien. Lafontaine fügte hinzu: „Wir brauchen endlich eine eigenständige europäische Außenpolitik, die den Werten Europas, der Freiheit, der Demokratie, der sozialen Gerechtigkeit und der Menschenwürde verpflichtet ist und auf Interventionskriege und neokoloniale Abenteuer verzichtet.
Unsere Verantwortung besteht darin, einer verhängnisvollen US-Politik in den Arm zu fallen und darauf zu bestehen, daß Rußland seinen Platz im gemeinsamen europäischen Haus hat. Wir wollen mit Rußland in Frieden leben, weil wir gemäß dem Schwur der Überlebenden von Buchenwald eine Welt des Friedens und der Freiheit bauen wollen.“
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