Werke des Holzschnittkünstlers HAP Grieshaber
in der KZ-Gedenkstätte Osthofen
„Malgré tout – Trotz allem!“
Der Titel der bis zum 1. Dezember geöffneten Exposition, erklärte Maxime des Künstlers, erinnert an Liebknechts „Trotz alledem“. Die Würdigung der Widerständigen zu Zeiten des Rückschritts – ob geschlagene aufständische Bauern im ausgehenden Mittelalter, KZ-Häftlinge in Buchenwald, Auschwitz und Neuengamme oder chilenische Anhänger Allendes nach dem Pinochet-Putsch 1973 – bestimmte maßgeblich das Schaffen Hans Andreas Paul (HAP) Grieshabers. Der 1908 geborene und 1981 verstorbene Künstler war Schriftsetzer, Typograph, Drucker, Holzschneider und Maler. Er gehörte zu jenen, welche unter Hitler mit Ausstellungsverbot belegt wurden. In der BRD stellte er sich bild- und wortgewaltig gegen die Kräfte der Reaktion. Mehrere seiner Projekte verwirklichte er gemeinsam mit namhaften Kunstschaffenden der DDR.
Die HAP-Grieshaber-Ausstellung zeigt Ausschnitte des Werkes eines der bedeutendsten deutschen Holzschnittmeister des 20. Jahrhunderts. Im ehemaligen KZ Osthofen gewinnen seine Bilder gesteigerte Aussagekraft und Eindringlichkeit: Hier, an der Stätte faschistischen Terrors, fügen die sprechenden Wände ihre Botschaft den Blättern und Druckstöcken hinzu: „Trotz allem!“
Das Konzentrationslager bei Worms regte einst Anna Seghers zu ihrem später weltberühmten Roman „Das siebte Kreuz“ an. Zwischen März 1933 und Juli 1934 diente das ehemalige Fabrikgelände im Hessischen vor allem zur Einschüchterung von Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern. Durchgesetzt nach beharrlichen Mühen, wurde die Anlage 1976 zur Gedenkstätte KZ Osthofen.
Beim Eintritt in die Räume, die einst der Unterbringung von SS-Wachmannschaften dienten, erblickt der Besucher zuerst das fast fünf Meter lange Triptychon „Weltgericht“. Grieshaber – Akademiemitglied, Hochschulprofessor und Träger vieler internationaler Kunstpreise – schuf das dreiteilige Bild 1970 als Auftragsarbeit für den Sitzungssaal eines Bundestagsausschusses. Markant und überlebensgroß ragen die Figuren der Eva und des Adam auf den originalen Reliefs der Holzdruckstöcke empor. Schwarz von Druckfarbe und seitenverkehrt stehen sie wie ratlos links und rechts neben dem als Kopie eingefügten Mittelteil. Hier beherrschen ein Atompilz und die Menschengestalt des Weltenrichters das Großformat. Im Augenblick der Vernichtung sind die Schöpfungen der Erde, der Luft und des Wassers noch gegenwärtig und füllen die Bildfläche dicht gedrängt. Die gemaserte Spur des organischen Werkstoffes auf dem rauhen Papier scheint von Wäldern und von menschlichem Fleiß zu sprechen. Unverkennbar in der Formsprache ist der starke Einfluß Pablo Picassos.
Ein weiteres dreigeteiltes großformatiges Bildwerk widmete Grieshaber 1973 dem Deutschen Bauernkrieg: „Die Vierteilung Jerg Ratgebs, 1526“. Diese Arbeit schuf der Holzschneider für den Rathaussaal in Pforzheim. Der Geburtsstadt des hingerichteten Kriegsrates der Aufständischen, des großen Renaissance-Malers Jerg Ratgeb – Schwabe wie Grieshaber – „wollte (… der nachgeborene Künstler) die Erinnerung daran, daß in ihrer Stadt Jerg Ratgeb so brutal umgebracht wurde, (…) nicht ersparen“, erfährt man im Ausstellungskatalog. Grieshabers Holzschnitt-Technik nimmt die Druckkunst-Tradition der Jerg-Ratgeb- und Albrecht-Dürer-Zeit auf und verjüngt sie. Im Zentrum befindet sich die Darstellung der Richtstätte mit Pferdekörpern, Wagenstangen und verrenkten Menschengliedern. Die Gesichter aller – ob Henkersknecht, Zugpferd oder Opfer – ähneln sich in grauenhafter Verzerrung. Links und rechts stehen Tafeln mit je einem Männerkopf vor schwarzen Flammen: Der Ritter, der 1525 wider das Bauernheer zog, und der Weltkriegssoldat des 20. Jahrhunderts – auch sie ähneln einander mit eisernem Helm, der den Mund verschließt und vom Antlitz nur ein starres Augenpaar erkennen läßt. Die „Revolution des gemeinen Mannes“ gegen Entrechtung und soziale Verelendung sah Grieshaber als den Beginn der europäischen Freiheitsbewegungen – und war damit in der Bundesrepublik einer der wenigen, die diese Klassenkämpfe 450 Jahre später würdigten und deren Bedeutung bewußtmachten.
Holzschnitt ist eine Technik, die zur äußersten Konzentration in der Form zwingt: Das Werkzeug dringt dabei in den einst lebendigen Stoff, der seine Eigengesetzlichkeit der Druckfläche überträgt. Grieshaber hat seinen liniendurchfurchten Bildzeichen in Holz große, oft saalwandfüllende Formate und starke Farben gegeben. Daß seine vier Triptychen in Osthofen versammelt sind, sei eine Weltpremiere, sagen die Veranstalter. „Afrikanische Passion“ (1960) und „Kongo-Triptychon (1961) sind Kommentare des Künstlers zu den Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt. Starke Rot- und Orange-Töne hinter dem Druckschwarz der lebensfroh tanzenden Gestalten. Fast ist der Rhythmus der Trommel zu hören! Doch sein „Raketenmensch“ in ihrer Mitte kündet mit maskenhaften Zügen von bedrohlicher Aufrüstung.
Von den insgesamt 23 in Osthofen ausgestellten Werken Grieshabers und acht weiteren, in Vitrinen zu betrachtenden Arbeiten gemahnen insbesondere vier äußerst formkonzentrierte Blätter aus der Mappe „56 000 Buchenwald“ (1977) an den besonderen Ort. Darunter eines mit dem Titel „Vasso auf Jaros“. Wieder holt der Künstler die Geschichte, hier die des KZ Buchenwald, in seine damalige Gegenwart. Er verweist auf die KZ-Insel in der Ägäis, wo die griechischen Obristen politische Gegner wie Vassos, einen Freund des Künstlers, inhaftierten und folterten.
Die Buchenwald-Mappe ließ Grieshaber bewußt in Leipzig herausgeben. Auch Fritz Cremer und Herbert Sandberg waren darin mit Grafiken vertreten; Franz Fühmann und Stephan Hermlin schrieben Texte.
Ein schlichtes, plakatives Blatt in Blau auf holzfaserhaltigem Werkdruckpapier rüttelt an Verstand und Sinnen: „Gefesselte Taube“, geschnitten 1950, ist wieder kriegsbrandaktuell. Das Plakat aus demselben Entstehungsjahr mit dem Porträt einer koreanischen Mutter, Mund und Augen in Trauer verengt, ist das Motiv der Ausstellung: „Malgré tout – Trotz allem!“
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