Zur Haltung des Reformators
gegenüber „Aufrührern“ und der Obrigkeit
Martin Luther war kein Pazifist
„Wir Deutschen sind Deutsche und bleiben Deutsche, das heißt Säue und unvernünftige Bestien.“
Dieser Satz stammt von Martin Luther. Ich fand ihn im „Spiegel“ (13/2014), der über eine Tagung zur Militärseelsorge berichtete. Es handelt sich um starken Tobak auch für jene, die manche derben Sprüche des Reformators bereits kennen. Die Worte Luthers reizten mich zu weiteren Recherchen, wofür ich durchaus persönliche Gründe habe. Mich konfirmierte nämlich 1942 ein Pastor Treu in der Görlitzer Peterskirche. Er tat es unter Berufung auf die Bibel und Luther, wobei er seine Aufgabe darin sah, uns auf den Heldentod für Gott, Führer und Vaterland vorzubereiten. Die heutige politische Situation stellt Geistliche vor eine ähnliche Frage wie einst deren Amtsvorgänger: Wie hältst du es mit Krieg und Kriegsdienst? Soll ich mich an den Text der Bergpredigt halten oder für den Sieg der Bundeswehr bei deren Militäreinsätzen beten?
Als Joachim Gauck US-Präsident Bush im Bundestag begrüßte, behauptete er, „wir hier im Osten“ hätten 1989 vom Reformator Luther gelernt, „ohne Gewalt mächtig zu werden“.
Der Exaktheit halber sei aus Luthers am 4. Mai 1525 veröffentlichter Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“ zitiert: „Drumb soll hie zuschmeißen, wurgen und stechen, heimlich oder offenlich, wer da kann, und gedenken, daß nicht Giftigers, Schädlichers und Teufelichers sein kann, denn ein aufrührischer Mensch. Gleich als wenn man einen tollen Hund todtschlahen muß; schlägst du nicht, so schlägt er dich, und ein ganz Land mit dir.“
Luthers Gebot lautete: Ein „Aufrührer“ ist totzuschlagen wie ein toller Hund. Das empfahl er den Fürsten auch im Falle seines Amtsbruders Thomas Müntzer, der die Bauern bis zur Selbstaufopferung unterstützt hatte.
Im vergangenen Jahr geschah etwas nicht nur für Gauck Bemerkenswertes, das indes in der Berichterstattung der Medien nahezu unterging: Am 30. Juni 2014 schrieben die im Osten angesiedelten Pfarrer Klaus Galley und Siegfried Menthal, denen sich weitere Amtsbrüder anschlossen, dem Bundespräsidenten einen Brief. Sie erinnerten ihn daran, daß die Kirchen 1989 militärischer Gewalt abgeschworen hätten. Die Geistlichen protestierten gegen Gaucks „Rechtfertigung“ von Bundeswehreinsätzen. Der aber überließ dem Chef seines Präsidialamtes Davis Gill die Antwort. Und was tat der? Er berief sich darauf, daß Gauck ja nur Luthers Spuren folge und verwies zugleich auf die Barmer Erklärung der protestantischen Kirche von 1934, die Hitlers Politik als „Wohltat“ gewürdigt hatte. Als Gaucks und Gills Motto könnte Luthers Satz gelten: „Ein Mensch, sonderlich ein Christ, muß ein Kriegsmann sein und mit den Feinden in Haaren liegen.“ Immerhin scheint Luther Gewissensbisse gehabt zu haben, als er gestand: „Prediger sind die größten Totschläger … Ich, Martin Luther, hab im Aufruhr alle Bauern erschlagen, denn ich hab sie heißen totschlagen – all ihr Blut ist auf meinem Hals.“
Kommen wir zum eingangs angeführten Zitat. Es stammt aus einer etwa 20 Seiten umfassenden Schrift des Reformators aus dem Jahre 1526 mit dem Titel „Ob Kriegsleute in seligem Stande sein können“. Anlaß für deren Entstehung war die Sorge des Ritters Assa von Kram, daß sein Kriegshandwerk mit seinem christlichen Gewissen kollidiere. Als Luther sich der Gewissensqualen des Mannes annahm, lagen der Bauernkrieg sowie der Massenmord an den Aufständischen und die Hinrichtung Thomas Müntzers bereits ein Jahr zurück.
Ein promovierter Kirchenhistoriker warnte mich in einem Brief mit Recht davor, Luthers Aussagen im Verhältnis 1 : 1 auf unsere Gegenwart zu übertragen. Daran will ich mich natürlich halten. Man wird seine Position nur verstehen können, wenn man sich vor Augen führt, was damals geschah. Luther betrachtete den Aufstand der Bauern als Anarchie und Verletzung der göttlichen Ordnung. Für ihn war der Stand der „Kriegsleute“ notwendig, um Bosheit und Gewalt der Welt zu begegnen und das Chaos „in Schach zu halten“. Aufgrund der „Bosheit der Menschen“ hielt Luther den Pazifismus der Täuferbewegung für eine Utopie mit anarchischen Folgen.
„Den Kriegsleuten“ wollte der Reformator ein gutes Gewissen verschaffen, damit sie besser für Siege kämpfen, die Gott ihnen gebe. Luthers Rechtfertigung lautete: „Was ist Krieg anders, denn Unrecht und Böses strafen? Warum kriegt man, denn daß man Friede und Gehorsam haben will?“
Das „Amt des Soldaten“ sei so nötig und nützlich wie „Essen oder Trinken oder sonst ein anderes Tun“.
Noch ganz unter dem Eindruck des Bauernkrieges von 1525 schrieb Luther: „Aufruhr ist des Todes schuldig … als eine Sünde gegen die Obrigkeit.“ Er kannte Leute, die „rechte Bösewichte“ als „Oberherrn“ nicht ertragen wollten, überzog sie jedoch mit Spott und Häme: „Den anderen, die sich gern ihr gutes Gewissen bewahren wollen, sagen wir folgendes: Gott hat uns in der Welt der Herrschaft des Teufels unterworfen. Wir haben hier also kein Paradies, sondern müssen zu jeder Stunde auf alles Unglück gefaßt sein an Leib, Weib, Kind, Gut und Ehre.“
Aufschlußreich sind auch die Äußerungen des Reformators zu „Kriegsleuten“, die als Söldner, für „Dienst- oder Manngeld“, als Lehnsherren oder auf andere Weise die Truppen für Kriege stellten. Er teilte das Volk in zwei große Gruppen ein – die Ackerbauern und die Kriegsleute: „Der Ackerbau soll ernähren, und der Kriegsdienst soll wehren.“ Die Kaiser und Fürsten sollten für die Balance sorgen, daß die Krieger ernährt, die Bauern geschützt werden … „Unnütze Leute sollte man aus dem Lande jagen.“
Luther beschäftigte auch die Frage, wie ein Soldat bezahlt werden solle. Er fand: „Weil ein Soldat von Gott das Geschick zum Kämpfen bekommen hat, kann er damit wie mit seiner Kunst und seinem Handwerk jedem dienen, der ihn haben will, und dafür seinen Lohn wie für eine Arbeit annehmen.“ Söldner, die in den Ländern umherirren und Krieg in einem wilden Leben suchen, könnten allerdings vor Gott nicht gut bestehen, es sei denn, ihr Landesherr „erlaubt oder wünscht, daß sie für einen anderen in den Krieg ziehen“.
Am Ende seiner Darlegungen riet Martin Luther dem „ehrenfesten Ritter Assa von Kram“, wie er sich bei einer Schlacht verhalten müsse. Nach einem speziellen Kriegsgebot sollte er das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser sprechen: „Und dann ziehe vom Leder und schlage dazwischen in Gottes Namen.“
Zweifellos ist der Brief Luthers an Assa von Kram ein Dokument seiner Zeit, und der Leser könnte ihn daher mit einiger Verwunderung zur Seite legen. Doch die Grundstruktur der Argumentation des Reformators ist mit seinem Tod nicht aus der Welt verschwunden. Wer wie ich – und damit komme ich zum Ausgangspunkt zurück – unter dem Faschismus Religions- und Konfirmandenunterricht erhielt, erfuhr dort eine „modernisierte“ Neuauflage so mancher Ratschläge aus dem 16. Jahrhundert.
Wer die Entstehung der Bundeswehr mit ihren Militärbischöfen, die aggressive Ausrichtung der NATO-Politik und die Begründung von Auslandseinsätzen der Truppe durch die Bundesregierung kennt, darf kein ruhiges Gewissen haben, solange Christentum, Bibel und Reformation derart mißbraucht werden.
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