Ergänzende Bemerkungen zum
Leitartikel in der Januar-Ausgabe des RF
Marx, Lenin und Die Linke
Namhafte und leitende Funktionäre der Partei Die Linke sind von Marx’schem Denken weit abgerückt. Wie weit, das hat Klaus Steiniger im Januarheft des RF am Beispiel von Gregor Gysi überzeugend gezeigt. Diese Kritik läßt sich nach mancher Richtung hin erweitern. So hat Gysi in einem Interview im ND vom 25. Januar 2012 formuliert: „Man sollte dem bürgerlichen Staat gegenüber offen sein. Man muß ihn nicht mögen, aber man sollte daran denken, daß er ein wichtiges Instrument und der Garant der demokratischen Praxis und des politischen Einflusses der Bürgerinnen und Bürger ist.“ Diese Einschätzung eines Staates, der uns täglich sein undemokratisches Verhalten und seine Wahrung der Interessen des Großkapitals vorführt, als Garant demokratischer Praxis und des politischen Einflusses der Bürger zu verkaufen, stammt aus keiner wirklich sozialistischen Denkweise. Und daß es sich nicht um einen zufälligen Ausrutscher handelt, zeigt folgende Illusion des Interviewgebers: „Leider bestimmt Ackermann (damals Chef der Deutschen Bank – H. M.), was Merkel tut. Ich möchte es umgekehrt.“ Aber was würde sich da ändern, wo doch beide die gleichen Kapitalinteressen vertreten? So hatte Lenin das Primat der Politik wohl nicht gemeint.
Aber es geht nicht um Einzelpersonen, sondern um die Orientierung im Führungszirkel der Partei. So legten die beiden Parteivorsitzenden Ende November 2013 dem PDL-Vorstand ein 25 Seiten umfassendes Strategiepapier vor. Ohne zu übersehen, daß es durchaus einige wichtige Aufgabenstellungen enthält, sei in gebotener Kürze auf ein paar Auffälligkeiten hingewiesen.
Erstens erstaunt, daß in dem gesamten Konzept nicht ein einziges Mal das Parteiprogramm erwähnt wird. Sollten strategische Überlegungen nicht vom Parteiprogramm ausgehen und langfristig seiner Realisierung dienen? Oder zielt diese Ignoranz darauf ab, das Programm in den Hintergrund zu rücken?
Zweitens heißt es in diesem Konzept, die parlamentarische Arbeit folge „anderen Logiken als die politisch-strategische Planung der Partei“. Und: „Die innerparteiliche Demokratie hat fast ausschließlich Einfluß auf die Gremien der Partei.“ Ist das die für Bodo Ramelow gebaute Brücke, über die er mit der These balanciert, für den thüringischen Ministerpräsidenten seien weder das Parteiprogramm noch Parteibeschlüsse bindend?
Drittens fällt auf, daß in dem Papier außerordentlich häufig die Begriffe „Transformation“, „Transformation der Gesellschaft“, „Transformationspfad“ u. ä. gebraucht werden. Das trifft sich mit der These von Michael Brie und Dieter Klein (ND, 30. 12. 2013): „Die Linke braucht ein neues strategisches Fundament und als solches könnte sich das Konzept einer doppelten Transformation … erweisen.“ Daß dieses Konzept weder realistisch noch marxistisch ist, hat Konrad Hannemann in einem lesens- und unterstützenswerten Artikel gezeigt (RF, Januar 2015).
Man kann hinzufügen, daß für die Gültigkeit seiner Argumente schon in der Weimarer Zeit der konkret-historische Beweis erbracht worden ist. Nach dem Ersten Weltkrieg gab die SPD-Führung die Losung aus: Der Sozialismus marschiert! Der Hintergrund bestand in der Illusion, daß mit Wirtschaftsdemokratie, Genossenschaftsbildung, Gewerkschaftsarbeit, Kontrolle der Banken, Kartellamt usw. die Gesellschaft umgestaltet werden könne. Außer acht blieb die Erkenntnis von Marx: die Eigentumsfrage ist die Grundfrage der Bewegung! Außer acht blieb Lenins Erkenntnis: Zur sozialistischen Lösung der Eigentumsfrage ist die Ergreifung der politischen Macht erforderlich, da die herrschenden Klassen nie bereit sind, ihre Besitzstände und ihre Herrschaft widerstandslos beschneiden zu lassen oder aufzugeben. Auf der Grundlage dieser Illusion marschierte die Gesellschaft nicht zum Sozialismus, sondern in den Faschismus.
Nun ist zwar bedauerlich, wenn erfahrene und gebildete Theoretiker nicht imstande oder bereit sind, in Marx’scher Denkweise und mit Leninscher Konsequenz Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Aber noch bedauerlicher und das Wesen der Partei gefährdend ist es, wenn diese sozialreformistische Strategie die Führungskräfte der Partei erfaßt.
Und viertens ist unerklärlich, wie in einer strategischen Orientierung der Partei der Blick auf deren friedenspolitische Position fehlen kann. Es geht nicht darum, diese im Programm deutlich festgeschriebene Position einfach zu wiederholen. Vielmehr sind zwei Aspekte strategisch zu verarbeiten:
Zum einen hat sich die internationale Lage durch die aggressive NATO-Politik unter Führung der USA gefährlich verschärft. Der mit einer Kriegslüge vollzogene Überfall auf Irak war der Beginn der Destabilisierung des arabischen Raumes. Am gefährlichsten ist die NATO-Osterweiterung als Ursache der Ukraine-Krise und mit dem Ziel der Einkreisung Rußlands und Chinas durch NATO-Raketen.
Zum zweiten folgt daraus, daß die Sicherheit der Bundesrepublik davon abhängt, sich dieser Eskalation zu entziehen. Das erfordert das Ausscheiden der BRD aus der militärischen Infrastruktur der NATO. Dies führt zu der Schlußfolgerung von Oskar Lafontaine; „Die Linke darf in den nächsten Jahren keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß die Voraussetzung ihrer Beteiligung an einer Bundesregierung eine Außenpolitik ist, die sich der vom US-Imperialismus zu verantwortenden militärischen Eskalation entzieht.“ (jW, 8. 1. 2015). Umgekehrt erfordert dies Widerstand gegen alle Bemühungen, sich der NATO-Struktur mit all ihren Vertragsverpflichtungen zu unterwerfen – mit welchen Vorbehalten auch immer. Daher besteht die strategische Hauptaufgabe der Partei angesichts der neuen zugespitzten Gefährdungen in der Aufrechterhaltung und konsequenten Realisierung ihrer friedenspolitischen Forderungen.
Unser Autor war Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR.
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