Burkina Faso nach dem Sturz des Diktators Compaoré
Massenprotest erzwang Übergangslösung
Drei Tage waren Hunderttausende Bürger der zur Diktatur verkommenen, einst glanzvollen westafrikanischen Republik Burkina Faso (früher: Obervolta) unablässig auf den Straßen der Hauptstadt Ouagadougou, um ihrer Forderung nach Rücktritt des Präsidenten Blaise Compaoré Nachdruck zu verleihen. Auch der Terror von Eliteeinheiten des Diktators, die 30 Demonstranten ermordeten, vermochte sie nicht einzuschüchtern. Erfolglos flüchtete sich Compaoré in den Ausnahmezustand und löste die Regierung auf, bevor er zunächst in das gleichfalls von einem durch Paris installierten Tyrannen „regierte“ Nachbarland Elfenbeinküste und später nach Marokko zu fliehen vermochte.
Wie aber kam es zu dieser außergewöhnlich schlagkräftigen, vor allem durch die Gewerkschaften getragenen und von der Coordination contre la vie chère (Koordination gegen das teure Leben – CCVC) geführten Protestbewegung in einem westafrikanischen Land?
Burkina Faso ist seit langem für machtvolle Streiks seiner gut organisierten Arbeiterklasse und nahezu einmalige Manifestationen bekannt. 1998, 2006 und 2008 sorgten sie bereits international für Schlagzeilen. Doch erst seit 2011 begann das autokratische Compaoré-Regime in allen Fugen zu krachen. Am 22. Februar jenes Jahres setzten – als Reaktion auf die Ermordung eines Schülers durch die Polizei – Protestaktionen von zuvor ungekannter Stärke ein. Obwohl der Tyrann alles unternahm, um sie im Blut zu ersticken, hielten sie während eines ganzen Monats an.
Bald darauf erfuhr man von sozial motivierten Meutereien der Soldaten fast aller Garnisonen des Landes. Zu Tode erschrocken, setzte sich Compaoré zunächst aus der Hauptstadt ab, kehrte dann aber mit Unterstützung französischer Truppen dorthin zurück, um sofort sämtliche Kommandopositionen der Armee in andere Hände zu legen.
Im August 2013 versicherte der Diktator, eine Straßendemonstration werde in Burkina Faso niemals zu Gesetzesänderungen führen. Genau 15 Monate später wurde er von einer der größten Protestwellen, die es jemals in Frankreichs früheren Westafrika-Kolonien gegeben hatte, endgültig aus dem Amt gejagt. Am 21. Oktober 2014 hatte er noch eine Sondersitzung seines Kabinetts einberufen. Es ging dabei um eine Verfassungsänderung, die dem angeschlagenen Präsidenten seinen Posten auch weiterhin sichern sollte. Es war beabsichtigt, über den Vorschlag neun Tage später im Parlament abstimmen zu lassen.
„Blaiso“, wie ihn ein populäres Satiremagazin der Opposition nannte, brachte das Faß damit zum Überlaufen. Die Oppositionsparteien riefen für den 28. Oktober zu Massenprotesten auf. Am Tag darauf sollte eine von der CCVC einberufene Manifestation für eine allen Kindern des Volkes zugängliche demokratische Schule stattfinden. Doch schon die zweite CCVC-Forderung lautete: Sofortiger Rücktritt Compaorés nach 27 Jahren Machtmißbrauch! Aber der angeschlagene Diktator stellte sich weiterhin taub. Am Vorabend der Abstimmung über die von ihm begehrten „unbegrenzten Vollmachten“ kam es in der Metropole des Landes zu schweren Auseinandersetzungen. Die wütende Menge besetzte das Parlament, verhinderte die Debatte über eine Verfassungsänderung und setzte das Gebäude in Brand.
Compaoré erklärte nun, er habe „die Botschaft des Volkes verstanden“ und ziehe seinen Vorschlag zurück. Es folgte die Flucht.
Wie aber war dieser Mann eigentlich an die Staatsspitze Burkina Fasos gelangt? Am 15. Oktober 1987 hatten vom Ausland gesteuerte Verschwörer seinen Vorgänger Thomas Sankara ermordet. Der, den man einen afrikanischen Che Guevara nannte, unternahm seit 1983 gemeinsam mit seinem damaligen Waffen- und Weggefährten Blaise Compaoré große Anstrengungen, die neokoloniale Diktatur Obervoltas, das er in Burkina Faso zurückbenannte, auf einen nationaldemokratischen Weg zu führen. Entschlossen nahm Thomas Sankara den Kampf gegen den Internationalen Währungsfonds und die einstige Kolonialmacht auf. Er verteidigte soziale Positionen, setzte sich für die Gleichberechtigung der Frauen ein, verstaatlichte die Naturreichtümer seines Landes und investierte beachtliche Mittel in das Gesundheitswesen. Beispielhaft waren seine Bemühungen um die Nahrungsgüter-Souveränität Burkina Fasos. (Der Afrikanist Dr. Wolfgang Semmler berichtete darüber im RF 181, Extra lll.)
Doch Sankara stieß nicht nur auf den erbitterten Widerstand der alten Eliten und Frankreichs, sondern traf auch selbst nicht immer richtige Entscheidungen. So stützte er sich z. B. nicht auf die einflußreiche Gewerkschaftsbewegung des Landes.
Nach der gewaltsamen Ausschaltung dieses Präsidenten riß Compaoré die Macht an sich. Er zerstörte sämtliche Errungenschaften aus der Ära seines Vorgängers und zögerte auch nicht, etliche Widersacher ermorden zu lassen. Inzwischen nimmt Burkina Faso auf der Entwicklungsskala der UNO den 181. Platz unter 188 Mitgliedsstaaten ein. Die durchschnittliche Lebenserwartung seiner Bürger beträgt 57 Jahre, 63 % der Bevölkerung vegetieren in bitterster Armut.
Das westafrikanische Land besitzt indes für die USA und die NATO besonders hohe strategische Bedeutung. Die U.S. Army und die französische Armee unterhalten dort Militärstützpunkte von regionalem Gewicht. Wie die „Washington Post“ wissen ließ, überwacht die NSA von Burkina Faso aus die gesamte subsaharische Region.
Unterdessen hat sich die Lage verändert. Wie es heißt, habe man in Burkina Faso den Weg eines „friedlichen Übergangs“ beschritten. Der Versuch Isaac Zidas, eines Stabsoffiziers der Leibgarde des Expräsidenten, allein an dessen Stelle zu treten, wurde von den Massen vereitelt. Sie waren auf der Hut. Auch die Oppositionsparteien blieben wachsam. So kam ein Kompromiß zustande. Die immer noch mächtigen Militärs sowie Zivilpolitiker verschiedener Richtungen, aber auch Kräfte des CCVC einigten sich darauf, den 72jährigen Michel Kafando – einen langjährigen UNO-Botschafter und zeitweiligen Außenminister Burkina Fasos – als Interimspräsidenten einzusetzen. Zida wurde Chef einer Übergangsregierung.
Der erzielte Konsens darf indes nicht über die Brisanz der Lage hinwegtäuschen. Spaniens führende Tageszeitung „El País“ suchte ihre Leser durch die Bemerkung zu beruhigen, man solle nicht den Verdacht hegen, Burkina Fasos Interimspräsident sei progressiv oder gar revolutionär gesinnt. Er habe sich ideologisch von den Positionen Thomas Sankaras entfernt und werde „wegen seiner Ehrlichkeit bewundert“.
Im November 2015 sollen in Burkina Faso Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattfinden. Derzeit gilt eine „Charta des Übergangs“.
Linke Kräfte reagierten kritisch auf die „Zwischenlösung“. So gab die Zeitschrift „Jeune Afrique“ den Standpunkt eines Studenten wieder: „Wurde Compaoré etwa gestürzt, um ihn durch eine ähnliche Figur zu ersetzen?“, fragte dieser.
Die Afrikanische Union und die Wirtschaftsgemeinschaft der Staaten Westafrikas unterstützen den derzeitigen Prozeß in Burkina Faso, dessen Ausgang allein davon abhängen dürfte, ob sich die für ihre Wachsamkeit bekannten Volksmassen an der Nase herumführen lassen oder die Augen einmal mehr offenhalten.
Frankreichs Präsident François Hollande beglückwünschte den neuen Führer Burkina Fasos, der erklärt hat, er wolle Korruption und Straflosigkeit den Kampf ansagen.
RF, gestützt auf „Solidaire“, Brüssel, und „Avante!“, Lissabon
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