RotFuchs 216 – Januar 2016

Ein Insider zur Vermittlung falscher Eindrücke
aus lrak, Iran und Afghanistan

Medien als Erfüllungsgehilfen der Politik

Ulrich Tilgner

Die Berichterstattung über die Entwicklungen in diesen drei Staaten zeigt einen dramatischen – auch ethischen – Verfall der Medien. Die Nutzung neuer Technologien begünstigte die zunehmende Oberflächlichkeit in der Berichterstattung. Statt die Entwicklung des Scheiterns westlicher Politik darzustellen, wurde sie verharmlost und um Verständnis für sie geworben. Am Beispiel des Einsatzes der Bundeswehr werden der Wandel und die zunehmenden Defizite besonders deutlich. Statt vor Kampfeinsätzen zu warnen, die sich abzeichneten, wurde für diese geworben, indem man Soldaten zu Helfern in Uniform hochstilisierte.

Karikatur: Klaus Stuttmann

In Afghanistan wurde dies bereits Wochen nach dem Sturz der Taliban-Regierung im Herbst 2001 deutlich. Statt die Petersberger Konferenz (27.11. bis 05.12.2001) als das zu bezeichnen, was sie war – ein Treffen der Siegerparteien ohne Einbindung der Unterlegenen –, wurden die dort von Kriegsfürsten und prowestlichen Politikern gefaßten Beschlüsse als Neuanfang afghanischer Politik und als Beginn der Schaffung einer Zivilgesellschaft am Hindukusch dargestellt. Später deuteten die Medien in einer aus der Rückschau beispiellosen Naivität die Entsendung von Bundeswehreinheiten zu einer Art Hilfseinsatz um.

In dieses Muster passen die Berichte über die deutsche Rolle beim Neuaufbau der nicht mehr existierenden afghanischen Polizei. Aus einem Untertitel des Budgets stellte das Auswärtige Amt in den Anfangsjahren jeweils 12 Millionen Euro bereit, während die USA allein 2006 für deren Ausrüstung zwei Milliarden US-Dollar vorsahen, um sie zu einer Art Hilfstruppe der Streitkräfte umzubauen.

Spätestens von diesem Zeitpunkt an war es unentschuldbar, den deutschen Beitrag, der im Rahmen der Bemühungen der europäischen Polizei fortgesetzt wurde, nicht als gescheitert zu bezeichnen.

Am Beispiel Irans zeigt sich besonders deutlich, was es heißt, wenn Vorurteile übernommen werden. Statt die Bildung der Islamischen Republik auch als Reaktion auf westliche Politik zu verstehen, wurde seit 1979 vor allem von einer „Diktatur der Mullahs“ gesprochen. Auch die deutsche Presse ergriff Partei, als Saddam Hussein den Irak 1980 gegen Iran in den Krieg führte. Ich habe als Korrespondent fassungslos erlebt, wie Iran Propaganda-Interessen unterstellt wurden, als die ersten Überlebenden irakischer Giftgas-Angriffe zur Behandlung in europäische Kliniken geflogen wurden.

Über den achtjährigen Krieg und die mindestens eine Million Toten und mindestens ebenso vielen Verletzten wurde nicht ernsthaft berichtet. Während der Krieg gegen den Irak später mit der Suche nach geheimen irakischen Rüstungsprogrammen vorbereitet wurde, unterstellten Politiker und Medien dem Iran noch Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins ein aktives atomares Rüstungsprogramm. Zum einen existierte dieses mit großer Sicherheit nicht mehr, zum anderen wurde unterschlagen, daß es vor dem Hintergrund irakischer Bedrohung entstanden war.

Mit Sanktionen sollte die Islamische Republik Iran zum Einlenken gezwungen werden. Statt über die Wirkungslosigkeit von Sanktionen zu berichten, wurde deren Bedeutung maßlos übertrieben.

Die vergangenen Jahre haben die zunehmende Bedeutung der Medien als Erfüllungsgehilfen staatlicher Politik gegenüber dem Iran belegt. Gestützt auf fragwürdige Quellen – meist aus dem diplomatischen Umfeld der IAEA – wurden Berichte verbreitet, der Iran betreibe geheime atomare Rüstungsprogramme. Der verdeckte Krieg der USA und Israels gegenüber dem Iran mit Terroranschlägen, Cyber-War und der Finanzierung bewaffneter Oppositionsgruppen blieb in deutschen Medien indes weitgehend unerwähnt. Doch während sich an der iranischen Politik in den vergangenen Jahren nur Unwesentliches geändert hat, wurde die diplomatische Einigung als großer Erfolg gewertet, ohne darzustellen, daß die Ratifizierung des Abkommens durch US-Institutionen nicht gesichert war.

Für die deutschen Medien dürfte der Iran erst interessant werden, wenn die heimische Industrie ihre Exporte in das Land steigern kann. Ihre Berichterstattung hat zu einem derart verzerrten Bild über die Islamische Republik geführt, daß Iran-Reisende immer wieder überrascht erfahren haben, daß sich die Wirklichkeit vor Ort total von dem bei ihnen durch die Medien erzeugten Bild unterscheidet.

Medien-Berichterstattung war schon immer ein Reflex auf herrschende Verhältnisse. Nationale Interessen wurden gerade im Vorfeld von Kriegen als allgemeingültige empfunden. Obwohl nach dem Zweiten Weltkrieg ein Umdenken eingesetzt hatte, lassen sich die Medien seit der Jahrtausendwende wieder zunehmend vereinnahmen. Diese Tendenz hat sich mit der Militarisierung der Politik in den vergangenen 20 Jahren verstärkt.

Stromlinienförmigkeit und Oberflächlichkeit führen dazu, daß verhängnisvolle politische Fehler nicht mehr hinterfragt werden und die Berichterstattung in der Regel affirmativ verflacht. In der heutigen Zeit hat dies bedeutsame Konsequenzen. Ähnlich wie in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg kann sich das Gift eines unheilvollen Nationalismus schleichend verbreiten. Menschenleben in der Ferne verlieren an Bedeutung, womit der Tod anderer nicht nur billigend in Kauf genommen wird, sondern die Hemmschwellen für militärische Interventionen und Unbarmherzigkeit sinken, wenn Fremde betroffen sind.

Politiker können ihre Spuren verwischen, ohne daß dies wahrgenommen wird. Als bestes Beispiel dient mir der ehemalige deutsche Außenminister Joseph Fischer. Er beklagt in dem Beitrag „The Return of the Ugly German“ (Die Rückkehr des häßlichen Deutschen), daß die Bundesregierung ein deutsch-dominiertes Europa anstrebe. Damit lenkt er von den Entscheidungen während seiner eigenen Amtszeit (1998–2005) ab, während derer die Weichen für diese Politik gestellt wurden.

Ähnlich macht Fischer US-Prasident George W. Bush für das Scheitern westlicher Politik in Afghanistan verantwortlich. Dabei wurden die Grundlagen für deren Fiasko bereits auf dem Petersberg gelegt.

Der Verfasser dieses vom RF gekürzten Beitrags ist Journalist und Buchautor. Er arbeitete u.a. beim Süddeutschen Rundfunk, für die Nachrichtenagentur dpa sowie als Korrespondent der ARD und des ZDF im Nahen und Mittleren Osten. Im April 2008 beendete er seine Zusammenarbeit mit dem ZDF und war bis Anfang 2015 hauptsächlich für das Schweizer Fernsehen tätig.