Erfahrungen und Erkenntnisse eines DDR-Blockpolitikers
Mehr als 40 Jahre Mitglied der NDPD
Ohne Rückblick auf in der Vergangenheit selbst Erlebtes und Gestaltetes sind Vorstellungen über eine friedliche Zukunft in einer sich rasch verändernden Welt nicht möglich.
40 Jahre Mitgliedschaft in der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NDPD) waren vier Jahrzehnte reifender Erfahrungen und Erkenntnisse bei der Block- und Bündnispolitik mit der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), der Christlich-Demokratischen Union (CDU), der Liberaldemokratischen Partei Deutschlands (LDPD) und der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands (DBD). Nach dem 2. Weltkrieg und dem „Sturz“ ins Unbekannte war ich Beteiligter an einem politischen Experiment besonderer Art mit seinen Qualitäten, Unwägbarkeiten und Illusionen. Dieses „Experiment“ – eine 40jährige „Langzeitstudie“ des Aufbaus des Sozialismus in der DDR – hat sich als Tatsache und visionärer Ausblick erwiesen, aber auch Öffnungen und Grenzen gezeigt.
Die hier geäußerten Gedanken beruhen auf meinen Lebenserfahrungen. Sie sind keine Schönfärberei, um einigen zu gefallen oder nach dem Munde zu reden. Es sind Schlußfolgerungen aus einer Zeit, in der ich mitreden konnte, ob erwünscht oder manchmal auch nicht, und die ich keineswegs missen möchte. Sie beweisen, was möglich ist, wenn mit Vernunft und klarem Blick, dynamisch und praktisch-dialektisch gedacht und gehandelt wird. Wo ehrliche Partner sich gefunden hatten, blieben gemeinsame Erfolge nicht aus, Grenzen wurden nicht nur rechtzeitig erkannt, sondern auch überwunden. Es war eine Zeit, die in dieser Farbigkeit und Tiefe der Problematik wohl so nicht wiederkommen wird.
Das Zusammenwirken zwischen Mitgliedern der Blockparteien verlief nicht immer konfliktlos und auf Augenhöhe. Die allzu prononcierte Dominanz einer Partei, gleich welcher, schadet ihrer Führungsposition. Partner sind keine Erfüllungsgehilfen, sondern verantwortliche Gestalter in voller Mitverantwortung! Im Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien und Massenorganisationen fanden die politischen Kräfte unter Beachtung der besonderen Rolle der SED zusammen, wenn auch manche Beratung ohne einstimmig gefaßte Beschlüsse ausging. Die Beziehungen zwischen den Verantwortlichen der Parteien waren freundlich, aber nicht immer freundschaftlich und kameradschaftlich.
Meine Aufgabe als politischer Leiter eines Kreisverbandes – er nannte sich später Kreissekretär – war es, Mitglieder zu gewinnen und die Arbeit zu organisieren. Das „Tauziehen“ um für geeignet gehaltene Personen zwischen NDPD, LDPD und CDU verlief nicht immer ohne „blaue Flecken“. Dabei ging es vor allem um die Besetzung leitender Positionen in Staat und Gesellschaft. Ich wurde von meinem Landesvorstand daran gemessen, wie sich der Einfluß der NDPD im Kreis entwickelte. Wir erlebten einen Prozeß des Umdenkens zur Gestaltung einer neuen, völlig anderen Gesellschaftsordnung und hatten dafür keinerlei „Vorbereitungszeit“. Ich habe in dieser frühen Phase der DDR etwa 100 Mitglieder für meine Partei geworben.
Es gab natürlich auch Leute, die der SED gewissermaßen in gebückter Haltung gegenübertraten, was allerdings bei uns im Bezirk Karl-Marx-Stadt untypisch war. Meine Parteifreunde verhielten sich kritisch und waren manchmal auch unbequem. Ich betrachtete die Entwicklung und Festigung von Bündnissen als ein schweres, aber erstrebenswertes Unterfangen. Entscheidend war dabei das vertrauensvolle Handeln aller Beteiligten ohne Tabus bei inhaltlichen Fragen.
Ein paar Bemerkungen zu mir selbst: Ich kam direkt aus dem Kloster und überquerte 1949 „schwarz“ die Zonengrenze gen Osten, wo meine Eltern und Verwandten lebten. Mein Vater konnte sich in Reichenbach als Gastwirt des „Waldhauses zur Postsäule“ eine neue berufliche Existenz aufbauen.
Im Dezember 1949 wurde ich Mitglied der NDPD. In der Partei fand ich tolerante Partner und Freunde. Sie akzeptierten meinen katholischen Glauben.
Leitende Funktionäre der Partei wie Vinzenz Müller, unser Politischer Geschäftsführer, und der sächsische Landesvorsitzende Wilhelm Adam, die in sowjetischer Kriegsgefangenschaft zum Nationalkomitee Freies Deutschland gestoßen waren, inspirierten mich ebenso wie Dr. Lothar Bolz. Der NDPD-Parteivorsitzende hatte vor seiner Emigration verfolgte Antifaschisten als Anwalt vertreten. 1953 besuchte ich den 2. Halbjahreslehrgang an der Hochschule für Nationale Politik in Waldsieversdorf. Ob als Mitarbeiter im NDPD-Bezirksvorstand Karl-Marx-Stadt, persönlicher Referent seines Politischen Geschäftsführers, stellvertretender Bürgermeister eines Stadtbezirks, stellvertretender Vorsitzender des Bezirksfriedensrates oder Vorsitzender des Bezirksausschusses der Volkssolidarität – stets war ich bemüht, mein Bestes zu geben. Dabei fanden mein medizinisches Fachschulstudium als Arbeitshygieniker/Inspektor für Arbeitshygiene sowie meine philosophischen Interessen und das Studium an der Leipziger Karl-Marx-Universität nicht immer den „Segen“ der Partei. Als aber am Ende alles erfolgreich verlief und auch meine wissenschaftliche Arbeit Beachtung fand, änderte sich die Situation. Alles in allem war die Tätigkeit in der NDPD für mich also eine Lebensschule, zu der „Streicheleinheiten“ wie „Backpfeifen“ gehörten.
Die Personalpolitik in der DDR beruhte ganz wesentlich auf der Beachtung und Gewährleistung der führenden Rolle der SED. Als unverzichtbare Bündnispartner unterstützten die Blockparteien sie öffentlich und intern, wenn auch mit bisweilen unterschiedlichen Positionen. Sie wurden in die Verantwortung einbezogen, wobei die Entscheidungskompetenz in Schlüsselfragen der Ideologie, der Wirtschaft sowie im Sicherheitsbereich in Händen der SED lag. Charakter und Modalitäten der Wahlen, zu denen die Kandidaten der Nationalen Front gemeinsam antraten, sicherten deren führende Rolle. Bei Personalentscheidungen wurden Wissen und Können der Blockfreunde berücksichtigt. Deren Arbeits- und Leitungswirksamkeit hing in der Praxis davon ab, in welchem Maße man ihnen vertraute und wie man sie einsetzte.
Daran, daß die DDR vier Jahrzehnte lang bestand, hatten die Blockparteien und deren kompetente Persönlichkeiten einen nicht unwesentlichen Anteil.
1990 entließ ich als amtierender Vorsitzender des Stadtvorstandes Karl-Marx-Stadt die NDPD kurz vor dem 3. Oktober schweren Herzens in die Geschichte.
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