Mehr als biographische Miniaturen
Es war auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2016, als Wiljo Heinen an seinem Stand die biographische Miniaturen Peter Michels über Künstler und Kollegen präsentierte. „Ich habe das Buch gerade aus der Druckerei geholt“, verkündete Wiljo stolz, „es ist sozusagen noch druckfrisch.“
Ein mutiges Unterfangen, dieses so schwergewichtige Buch in seinem kleinen, aber aufrechten Verlag herauszubringen. Schwergewichtig im doppelten Sinne: Der Versuch über Kunst und die Künstler einer kurzen, aber so hoffnungsvollen Zeit zu erzählen, die eine wirkliche Wende darstellte im Gegensatz zur Restauration des Vergangenem nach 1989, dieser Versuch läßt sich nicht in ein schmales Paperback pressen. Aber sein Inhalt macht es darüber hinaus zu einem schwergewichtigen Stolperstein, über den Dummschwätzer und Berufsdelegitimierer ins Straucheln kommen sollten.
Und nun ist über ein Jahr vergangen, bis ich hineingestiegen bin in diese Gespräche und Erinnerungen – Nichtigkeiten und Kleinkram hatten sich dazwischengestellt: C’est la vie … Aber Michels Buch ist zu wichtig, um es unbesprochen zu lassen.
Hier wird nicht DDR verramscht – da ein Waschpulver von Spee, dort ein altes Radio und eine Flasche „Blauer Würger“, nein, es ist nicht einmal ausschließlich ein Buch über DDR-Künstler, wenngleich die im Mittelpunkt stehen. Peter Michel war denen sein ganzes berufliches Leben lang eng verbunden, nicht zuletzt durch sein Wirken als Chefredakteur der Zeitschrift „Bildende Kunst“. In dieser Funktion entwickelten sich Kontakte und Freundschaften auch zu Kunstschaffenden in Österreich, der Sowjetunion, Italien oder Finnland. Mancher Gegenüber bleibt reserviert oder distanziert, mancher Faden ist im Laufe der Zeit abgerissen, meist aber bleiben die Verbindungen eng, freundschaftlich und die von Gleichgesinnten. Und davon spricht das Buch in seinen Miniaturen. Michel kaut keine zähe Kunstgeschichte und langweilt auch nicht mit lexikalischen Biographien; ein Zeitalter wird hier besichtigt.
Es geht mir wie Armin Stolper, der im Prolog gesteht, den oder jenen erst durch Michels Erzählung kennengelernt zu haben. Und ich ergänze für mich: Seine Erzählungen haben mir beim Lesen der Namen viele Erlebnisse und Begegnungen wieder aus dem Unterbewußtsein hervorgebracht, die inszeniertes Verdrängen verfinstert hatten. So die regelmäßigen Besuche der großen Kunstausstellungen der DDR in Dresden, so das begeisterte Schauen auf der Intergrafik am Fernsehturm. Aber auch die jährliche Begegnung mit neuesten Plastiken von DDR-Bildhauern im Geraer Küchengarten, und im gleichen Ort der so lichte und außergewöhnliche Eintritt in das Ensemble des Hauses der Kultur, an dem Bildhauer aus unterschiedlichen Generationen unter Jo Jastram gearbeitet hatten, dessen Einzigartigkeit ich eigentlich erst durch Michel begriffen habe. Bei anderen Lesern werden vielleicht andere Erinnerungen aufscheinen.
Mit mehr als 70 Personen, zumeist aus der DDR, kommt der Autor ins Gespräch, spricht über deren Werke, über ihr Leben und die Beziehungen zu ihnen. Schicksale werden offenbar, ohne in larmoyante Rückschau zu verfallen. Ja, da ist Herrmann Peters, der sich verzweifelt 1995 aus seiner Wohnung in den Tod stürzte. Nicht das einzige Nachwendeopfer, wie wir wissen. Da ist der großartige Dieter Rex, von dem es heißt: „Wo er seine Wurzeln hatte, war seine Heimat nicht mehr.“ Trotzig Renata Ahrens zu ihrem Porträtfoto: „So grimmig wie ich aussehe, ist mir auch!“ – Ein sehr aufrechtes Buch hat der Verlag in die Welt gebracht. Vergangenheitsbewältigung im besten Sinne ohne Schönfärberei. Ich denke, wir können offen auch über Fehler sprechen, ohne uns auf irgendwelche Zwänge herauszureden. Wir sind einen Weg gegangen, den Menschen gemacht haben, nicht Lehrbücher. Und Menschen sind nicht fehlerfrei, wenn uns Sozialisten freilich die Fehler der Sozialisten am bittersten ankommen.
Peter Michel: „Bald gehörten einige der Engherzigen, die stets selbst Toleranz gefordert hatten, zu den intolerantesten Akteuren einer gnadenlosen Kampagne gegen die ,Kunst des Staatssozialismus‘. Natürlich hatten sie recht mit ihrer harten Kritik an der immer wiederkehrenden Enge einer Kulturpolitik, die am Ende hilflos angesichts der realen Prozesse war. Aber sie bemerkten nicht, daß sie selbst mehr und mehr zu Dogmatikern neuen Typs wurden.“
Ich danke Peter Michel für seine „Sicht auf eine reiche Kunst, in der Künden und Können zusammengehörten, die gebraucht und geachtet wurde“. Künden und Können, gebraucht und geachtet werden – wieviel Utopie hatten wir doch eigentlich schon verwirklicht!
Peter Michel:
Künstler in der Zeitenwende
Biographische Miniaturen
Verlag Wiljo Heinen, Berlin und Böklund 2016, 368 Seiten
ISBN 978-3-95514-906-2
38,00 €
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