RotFuchs 205 – Februar 2015

Der Leipziger Lithograph Karl Pinkau
fotografierte Marx und Engels

Mein Großvater war SPD-Urgestein

Klaus Pinkau

Am 17. September 1967 erschien im damaligen SED-Zentralorgan Neues Deutschland ein Beitrag unter der Schlagzeile „Lenin, die Bolschewiki und Leipzig“ des Autors Karl Wiegel von der Abteilung Geschichte der Arbeiterbewegung des in der Messestadt angesiedelten Dimitroff-Museums. Darin war auch von bislang weniger bekannten Vorgängen die Rede. Lenin habe bei konspirativen Aufenthalten in Leipzig aus Sicherheitsgründen stets eine Wiener Adresse angegeben, um die Geheimpolizei zu täuschen. Damals hielt er – neben anderen Aktivitäten – im Leipziger Hotel Hochstein zwei Vorträge: „Über den revolutionären Aufstieg“ und zum Wirken von Leo Trotzki.

Bei meinem 1859 geborenen Großvater Karl Pinkau hatte übrigens der Setzer Blumenfeld, der die Leninsche „ISKRA“ (Der Funke) herstellte, Quartier bezogen. Ich halte es für möglich, daß mein Ahn – von Beruf Lithograph und Fotograf, der damals vielbeachtete Aufnahmen von Karl Marx und Friedrich Engels gemacht hat –, an dessen Arbeit unmittelbar beteiligt gewesen ist. 1912 ließ Lenin in der Druckerei der Leipziger Volkszeitung eine Broschüre in deutscher Sprache herstellen. Ihr Titel lautete „Zur gegenwärtigen Sachlage in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands“.

Meine Großeltern wohnten damals in der Hohenzollernstraße, aus der später die Tauchaer Straße wurde. Karl Pinkau war mit der Beschaffung illegaler Quartiere für die russischen Genossen beauftragt. Bei ihm verkehrten neben vielen anderen Prominenten jener Zeit auch Clara Zetkin und Wilhelm Liebknecht. Sein Bruder versteckte Jahrzehnte später – während der faschistischen Diktatur Hitlers – die Original-Fotoplatten mit den Porträts führender SPD-Mitglieder, um deren Existenz zu sichern.

An eine Episode aus meiner Kindheit kann ich mich noch lebhaft erinnern: Kurz vor Weihnachten baute mein Vater Jahr für Jahr eine kleine Märklin-Eisenbahn auf und sagte uns, ohne dabei auf großes Verständnis zu stoßen, er habe sie „von einem Liebknecht“ geschenkt bekommen.

Doch zurück zu früher Geschehenem: In der Zeit des Bismarckschen Sozialistengesetzes war Karl Pinkau für den Vertrieb des „Vorwärts“ verantwortlich. Zusammen mit Wilhelm Liebknecht wurde er in dieser Zeit aus Leipzig verbannt, so daß er im nahegelegenen Borsdorf seine Zelte aufschlagen mußte. In der vom Stadtschreiber fein säuberlich zu Papier gebrachten, 16 Seiten umfassenden Anklageschrift gegen ihn hieß es, zu Karl Pinkaus Untaten gehöre die Verbreitung der Bebelschen Schrift „Die Frau und der Sozialismus“, von der er etwa 100 Exemplare an der Ecke Harkorthstraße vertrieben habe.

Gemeinsam mit Wilhelm Liebknecht, Hermann Rauh und anderen Genossen trug mein Großvater auch für den Versand illegaler Literatur Verantwortung. Nach Angaben meines Vaters soll er überdies an Tagungen der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAPR) in Rußland und der Schweiz teilgenommen haben.

Die SPD entsandte Karl Pinkau als einen ihrer Vertreter zum Gründungskongreß der Zweiten Internationale nach Paris. Seine Delegiertenkarte soll sich unter den Requisiten der Friedrich-Ebert-Stiftung befinden. Ich erinnere mich noch gut daran, daß einer meiner Lehrer an der SED-Bezirksparteischule seinerzeit den Auftrag hatte, sie käuflich zu erwerben. Das Vorhaben scheiterte aber, wie es hieß, an fehlenden finanziellen Mitteln.

Eine Reihe von Unterlagen und Fotos führender SPD-Genossen habe ich 1960 dem Leipziger Dimitroff-Museum übergeben. Unter diesen Dokumenten befanden sich auch der gesamte Schriftverkehr meines Großvaters zu den Reichstagswahlen, Schmähbriefe bürgerlicher Parteiführer sowie Aufnahmen Clara Zetkins, die von Karl Pinkau in deren Jugendjahren gemacht worden waren. Dieser gehörte der Leipziger Stadtverordnetenversammlung (1894–1898/1902–1908), dem Sächsischen Landtag (1893–1895) und während mehrerer Legislaturperioden dem Deutschen Reichstag an. Zwischen 1920 und seinem 1922 nach einer unglücklich verlaufenen Operation eingetretenen Tod war Karl Pinkau auch noch Mitglied des ersten Reichstags der Weimarer Republik. Übrigens findet sein Name auch in der „Geschichte der SED“ Erwähnung.