Zeugnisse österreichischer Antifaschisten aus der Haft
„Mein Kopf wird euch auch nicht retten“
Noch zu Beginn der 70er Jahren wurde jene Geschichtsdarstellung über die „Opfer verlorener Zeiten“ mit staatlichen Subventionen vorangetrieben, die bei den edierten Justizdokumenten die Namen der Nazijuristen ebenso verschwinden ließ wie die in jedem Urteil auf die Mitwirkung der NS-Richter und NS-Staatsanwälte an der Hauptverhandlung und am Schuldspruch hinweisenden Namen. Über die Vielzahl der nach 1945 im Justizbereich verbliebenen Täter hat der Wiener Widerstandskämpfer, Kommunist und Jurist der Arbeiterklasse Eduard Rabofsky viele, aber offiziell nicht zur Kenntnis genommene Arbeiten veröffentlicht. Das 1963 vom Kommunisten Herbert Steiner gegründete Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) war bemüht, den von der „Moskauer Deklaration“ der Alliierten (Großbritannien, USA und Sowjetunion) vom 30. Oktober 1943 geforderten Beitrag zur Befreiung des Landes zu dokumentieren.
Der österreichische Nationalfeiertag (26. Oktober) erhielt in diesem Jahr durch die vom Präsidenten des Landesgerichts für Strafsachen Wien, Friedrich Forsthuber, ermöglichte Vorstellung des von Lisl Rizy und Willi Weinert gemeinsam herausgegeben Werkes „Mein Kopf wird euch auch nicht retten“ eine bis dahin so noch nicht begehbar gewesene ebenso historisch exakte wie emotionale Brücke zur Vergangenheit. Es ist Forsthubers Verdienst, mit einer solchen Veranstaltung das Verhältnis der Justiz zum Menschlichen hinterfragen zu lassen. In jahrelanger mühevoller und viel Empathie erforderlichen Arbeit haben die beiden Autoren ohne jede finanzielle oder organisatorische Unterstützung Korrespondenzen von ermordeten österreichischen Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern aus der Haft mit dazugehörigen Behördendokumenten, die in ihrer Nacktheit die Unmenschlichkeit des Systems widerspiegeln, gesammelt. Biographien mit Fotos der Verurteilten und von Angehörigen ermöglichen einen augenscheinlichen Kontext. Die vier Bände lassen sich nicht lesen – sie sind vielmehr eine Fundgrube, sie sind ein würdiger Kranz zum Gedenken an österreichische Opfer des nationalen und internationalen Kampfes um die revolutionäre Umkehrung der Geschichte. Nicht zuletzt gibt das Werk Anstoß zum Nachdenken über die Frage, welche Bedeutung ihre Ziele heute noch haben.
Der am 26. Februar 1943 im Landesgericht geköpfte Wiener Straßenbahner Franz Mager schreibt aus der Todeszelle: „Trotzdem der Schein gegenwärtig gegen mich spricht, habe ich die Gewißheit, daß ich nicht für ewig als ein Verbrecher betrachtet werde und mein tragischer Tod als Schande für Euch angesehen wird. Ich habe kein Verbrechen gegen den Staat begangen. Ich bin auch kein Held oder Märtyrer, sondern ganz einfach, was ich immer war, ein einfacher, ganz einfacher Mensch, der sterben muß, weil er in diese Zeit nicht paßt. Ich bin ein Opfer der schrecklichen Zeit, wie so viele, viele Tausende vor und nach mir. Ich muß sterben, weil mir Solidarität in Fleisch und Blut übergegangen ist, weil mir die Rücksicht auf meine Mitmenschen, meine Berufskollegen höher stand als meine eigene Rettung. Ich bin aus einer Zeit gekommen, in der die Solidarität etwas gegolten hat, Ehrensache jedes anständigen Arbeiters war und als die erste und wichtigste Voraussetzung des gemeinsamen Kampfes und Sieges für eine bessere, glückliche Weltordnung war. Ich hoffe, daß diese Solidarität, Nächstenliebe, Kameradschaft oder wie immer man das eine, beste Gefühl nennen mag, daß es Euch zugute kommen wird und ihr eingebettet in den Schoß der Familie und der größeren Gemeinschaft Euer Fortkommen finden werdet.“
Für die am 17. Mai 1943 im Wiener Landesgericht geköpfte 33jährige kommunistische Schneiderin Hedwig Urach ist in der Todeszelle der marxistische Humanismus Trost. Ihr Blick ist von der Hoffnung auf eine neue Welt mit neuen Menschen getragen, wenn sie am 9. Mai 1932 an ihre Lieben schreibt: „… daß ich trotz aller menschlichen Enttäuschungen, die mir sogar in der Todeszelle nicht erspart geblieben sind, doch zu diesem Glauben an die Schönheit und Freude mich bekenne, als das Herrlichste einer kommenden Generation.“
Auch der aus Tirol stammende römisch-katholische Priester, Religionslehrer und Marianist Jakob Gapp wurde ein Opfer der Faschisten. 1939 aus dem besetzten Österreich in das römisch-katholische Spanien geflüchtet, wurde er im November 1942 von dort an den deutschen Sicherheitsdienst ausgeliefert. Gapp gab keine Tat zu, aber er bekannte sich – obwohl er wußte, welchen Preis er dafür würde zahlen müssen – zu seiner gegen den Krieg und den Faschismus gerichteten Überzeugung. Das genügte dem Volksgerichtshof zu seiner Verurteilung als Gesinnungstäter: „Wer so die Stimme des Blutes in sich verrät, wer alles daransetzt, Deutschland seine Freunde zu entfremden und Deutschlands Feinden zu helfen, weil ihr Sieg für unser Volk weniger schlimm sei als unser Sieg – ein solcher Deutscher hat für immer, für unser Geschlecht und die Reihe der deutschen Geschlechter nach uns, seine Ehre verwirkt; und er muß deshalb als verräterischer Helfer unserer Kriegsfeinde (§ 91b StGB) mit dem Tode bestraft werden.“ Ohne jedes Beweisverfahren und ohne Zeugen wurde Gapp vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 13. August 1943 in Berlin Plötzensee hingerichtet. Aus der Todeszelle schreibt Gapp am Tag seiner Hinrichtung dem Superior der Gesellschaft Mariae: „… ich erneuere meine Gelübde und opfere mich durch die Hände der lieben Himmelsmutter dem lieben Gott auf. […] Grüßen Sie alle Mitbrüder; ich werde die grüßen, die ,drüben‘ sind. Alles geht vorüber, nur der Himmel nicht.“
„Non omnis moriar“ – Ich werde nicht vollends sterben! In Hörweite des Fallbeils nehmen der Straßenbahner Franz Mager und die Schneiderin Hedwig Urach in ergreifender Weise ihren persönlichen Tod nicht als Ende ihrer Biographie an. Sie denken ohne jede Resignation als historische Materialisten über den Tod hinaus, weil sie von der Hoffnung getragen sind, daß ihr Kampf um eine menschliche Gesellschaft, die sie aber nicht mehr erleben werden, fortgeführt wird. Dieses materialistisch revolutionäre Todesverständnis hat Jakob Gapp nicht, aber er hat, indem er die Nachfolge von Jesus konkret lebt, seinem Leben einen revolutionären Inhalt gegeben. In vielen Dokumenten dieses fundamentalen Werkes von Rizy und Weinert wird offenkundig, wie Menschen verschiedener Weltanschauung nicht voneinander getrennt sind, wenn sie in ihrem Handeln tatsächlich von solidarischer Mitmenschlichkeit geleitet werden. Möge ihre Parteinahme Vorbild in unserer barbarischen Welt sein!
Lisl Rizy/Willi Weinert (Hg.):
Mein Kopf wird euch auch nicht retten.
Korrespondenzen österreichischer Widerstandskämpfer
und Widerstandskämpferinnen aus der Haft
Stern-Verlag, Wien 2016, 4 Bände, 2225 Seiten
ca. 1100 Fotos und Abbildungen (großteils farbig)
ISBN 978-3-9502478-4-8
78,00 €
Marie Fischer an ihre Tochter Erika, 2. August 1942:
Ich habe viel Zeit zum Denken und philosophiere mir so Verschiedenes vor. Ich denke nie an mich und meine Lage, ich denke immer nur im Gesamten. Es wäre so schön, wenn wieder Frieden wäre und wenn alle Menschen gut zueinander wären. Wenn wir wieder Menschen wären. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Auch Du mußt tapfer durchhalten. Bei allem Leid, was noch über uns kommen mag, liebe Erika, denke nie an dein Leid, denke immer nur an das Leid aller. Nur dann kannst Du tapfer durchhalten und dabei ein guter Mensch werden. […] Mir hat der Ermittlungsrichter gesagt, ich soll meine mütterlichen Gefühle unterdrücken. Ich weiß nicht, meiner Meinung nach geht dies überhaupt nicht, und bin überzeugt, wenn andere in solche Situation kommen, daß sie auch nicht ihre Eltern- und Gattengefühle unterdrücken können. Oder bin ich zu sehr Mensch?
Nachricht 373 von 2043
- « Anfang
- Zurück
- ...
- Als die Nazipolizei aus mir
einen Antifaschisten machte - Über die unterschiedliche „Bewältigung“ des Faschismus in Ost und West
- Zuschrift an die Lokalpresse zur Friedensdemonstration am 8. Oktober
- „Mein Kopf wird euch auch nicht retten“
- Spanienfreiwillige aus Baden
- Bündnis mit der Zukunft
- Julij Kwizinski –
Zum Gedenken an den Freund - ...
- Vorwärts
- Ende »