Mirka, die Unermüdliche
Vor 70 Jahren kam im reinsorbischen Nardt, zu dieser Zeit Elsterhorst genannt, ein Mädchen zur Welt, das in die Kämpfe der Zeit hineinzuwachsen hatte, in Krieg, Nachkrieg, Entnazifizierung, Demokratisierung, Aufbau der DDR, schließlich Anschluß der Republik an die BRD mit den Nachwehen bis heute.
Noch nicht lange her: Ein Adenauer-Stipendiat stellte in Bautzen sein Buch mit der Auflistung der Untaten der Domowina zu SED-Zeiten vor, mit dem „wissenschaftlichen Beweis“: Die SED und sorbische Mitmacher haben die Sorben gezwungen, in der sozialistischen DDR-Domowina mitzumachen und sie unter diesem Zwang der Germanisierung ausgeliefert. Darauf antwortete der langjährige Vorsitzende der Domowina Jurij Gross mit Fakten und Zahlen, die das Gegenteil bewiesen – er versuchte zu antworten. Das aus Anlaß der Buchvorstellung versammelte Publikum unterbrach ihn mit Geschrei und Gelächter. In dieses Gezeter hinein meldete sich eine Frauenstimme: „Ich stamme aus Nardt, meine Eltern, kleine Bauern, waren wie die überwiegende Mehrheit von Nardt Mitglied der Domowina. Uns hat niemand gezwungen. Das Dorf hat mit Enthusiasmus mitgemacht …“
Die eben noch in Hysterie Schwelgenden verstummten. Gegen Mirkas Lebensbericht wagten sie nicht aufzumucken. Ihrer Herkunft entsprechend wurde die Domowina zu ihrer kulturpolitischen Heimat. Aus dem Mädchen entwickelte sich die Aktivistin der Zeit, die sich unermüdlich für die Erhaltung des Sorbischen einsetzte. Sie wuchs als Mitarbeiterin in der Domowina zu der Mirka heran, wie wir sie kennen: unermüdlich und ebenso unerschrocken, wenn es um Wahrheit geht. Und nicht kleinzukriegen, wenn es gilt, die Bedürfnisse der Kleinen zu verteidigen: gegen die Einstellung des Bahnbetriebs von Bautzen nach Hoyerswerda und Weißenberg nach Löbau, gegen die Auflösung der sorbischen Institutionen, die zur Zeit der DDR für die Bewahrung der Rechte der sorbischen Bevölkerung gegründet worden waren – wie das Haus für Sorbische Volkskunst, die Sorbische Sprachschule, die sorbische Lehrerausbildung nach Bedürfnissen der Praxis.
Sie demonstrierte für ein staatliches sorbisches Nationalensemble, das die Bezeichnung Ensemble verdient. Mirka organisierte Proteste, viele – jüngst ihre aktive Teilnahme gegen das Abbaggern der Natur und sorbischer Kulturräume. Wer hätte sich im Biosphärenreservat Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft um den Anteil des Sorbischen in Geschichte und Gegenwart gekümmert, wenn sie nicht in Gemeinschaft mit Sieghard, ihrem Mann, das Radisko gegründet hätte?
Mirka ist Mirka geblieben, hat sich trotz „Wende“ nicht gewendet. Sie trägt hohen Anteil am Fortbestehen der organisierten Linken im Bautzener Land. Als sie aus der Mitgliedschaft gebeten wurde, den Vorsitz zu übernehmen, sprang sie ein. Über zwei Legislaturperioden führte sie den Kreisverband Bautzen erfolgreich. Sie brachte sich in die Arbeit der Europa-Fraktion ein, in Zusammenarbeit mit Hans Modrow.
Und sie kann zufrieden sein, wenn es um ihre Nachkommen geht. Der Zahn der Zeit nagt nicht zuletzt auch an der Zeit. Die Zeit wandelt sich, schneller als wahrgenommen. Für Mirka der eine Wunsch zum Geburtstag: Sie soll den Wandel miterleben! Wie sagt man in Nardt: Tebi k zbozu – Glück auf!
Aus: „Lausitzer Linksdruck“, Bautzen
Verspätete Gratulation
Zum ersten Mal begegnete ich Mirka Kosel am Beginn der 80er Jahre. An einem Herbsttag begleitete ich eine illustre Besucherin aus Portugal auf deren Informationsreise durch die DDR: Maria de Lurdes Pintassilgo – eine katholische Antifaschistin, die einige Monate Ministerpräsidentin gewesen war. In jener auf die Niederlage der Nelkenrevolution folgenden Periode des düsteren Wirkens solcher Regierungschefs wie des von der Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD in den Sattel gehobenen Rechtssozialisten Mário Soares war die kurze Amtszeit dieser klugen und aufgeschlossenen Frau ein Lichtblick. Als ich ihr vorschlug, einen Abstecher ins Sorbische zu unternehmen, war Frau Pintassilgo sofort Feuer und Flamme.
Bei der Domowina empfing uns eine sehr sympathische und beeindruckend argumentierende junge Frau zu einem ausführlichen Gespräch. Mirka Kosel, deren Mann Chefredakteur der sorbischen Tageszeitung „Nowa Doba“ war und heute zum Vorstand des RF-Fördervereins gehört, ist inzwischen 70 geworden.
Wenn auch verspätet, schließen wir uns den Glückwünschen ihrer vielen Freunde und Genossen aus der Partei Die Linke, vom „Linksdruck“ und aus den Reihen der Sorben von Herzen an.
Klaus Steiniger
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