Wie der Münchener Bäcker Gustl Sandtner
zum proletarischen Kämpfer wurde
Mit der Lokomotive in die Revolution
Ende 1917 wurde der Matrose Augustin Sandtner vom Schlachtschiff „Seydlitz“ auf das kleinere Linienschiff „Prinzregent Luitpold“ versetzt. Dort sollte er den Dienst als Pantrygast und Offiziersbursche versehen. Der Grund für den Wechsel bestand offensichtlich darin, daß man ihn in dieser Funktion besser überwachen und kontrollieren konnte. Denn der 24jährige hatte auf der „Seydlitz“ begonnen, unter seinen Kameraden politisch zu agitieren und illegale Treffen zu organisieren. Doch auch auf dem neuen Schiff ließ er sich weder von Vorgesetzten noch von Spitzeln davon abhalten, Antikriegsschriften zu verteilen, die er sicher unter Matratzen in Offizierskammern versteckte. Mit diesem Material versorgten ihn Genossen der Spartakusgruppe, denen er sich angeschlossen hatte. Damit begann zugleich sein Leben als Revolutionär.
Geboren wurde Gustl, wie ihn Genossen und Freunde nannten, am 8. August 1893 in München. Seine Eltern verdienten als Marmorschleifer und Waschfrau ihr Geld, was so wenig war, daß der Sohn schon als Schulkind zum Einkommen der Familie beitragen mußte, indem er Brötchen und Milch zu den Reichen brachte. Direkte kapitalistische Ausbeutung lernte er als Bäckerlehrling mit zwölf- bis vierzehnstündiger Arbeitszeit kennen. Deshalb trat er mit 18 dem Verband der Bäcker und Konditoren bei.
Nach kurzer Wanderschaft holte ihn die Kriegsmarine zum Wehrdienst. Das Meer gefiel ihm so gut, daß er danach bei der Handelsmarine anheuerte, wo ihm Fernfahrten nach China, Japan und den USA vergönnt waren. Der Erste Weltkrieg brachte ihn 1914 wieder zur Flotte des Kaisers.
Am 7. November 1918 machten die Matrosen in Kiel Schluß mit dem Gemetzel. Die Revolution gegen Monarchie und Kapitalismus nahm ihren Anfang und breitete sich in Windeseile aus. Gustl war vom ersten Tag an als Mitglied des Matrosenrats aktiv dabei. Doch bald entschloß er sich, mit einigen Kameraden in seine Heimatstadt zu gehen, um dort die revolutionäre Entwicklung zu unterstützen. Es wird berichtet, daß die Matrosen unterwegs eine Lokomotive kaperten, sie mit roten Fahnen bestückten und so in der bayerischen Hauptstadt einfuhren. Schnell fand er Anschluß an die dortige Spartakusgruppe, wurde Mitglied im Arbeiter- und Soldatenrat und gehörte Anfang 1919 zu den ersten Kommunisten in Bayern.
Nachdem am 13. April 1919 die Münchener Arbeiter und Soldaten ihre Räterepublik ausgerufen hatten und revolutionäre Veränderungen der Gesellschaft begannen, setzte die SPD-Reichsregierung unter Friedrich Ebert und Gustav Noske ihren Repressionsapparat aus Freikorps und Reichswehrtruppen in Marsch, um den Volksaufstand in der bayerischen Landeshauptstadt im Blut zu ersticken. Die dortige Rote Armee, in die sich Gustl Sandtner ohne zu zögern eingereiht hatte, wehrte sich tapfer, unterlag aber der Übermacht. Die Konterrevolution wütete unbarmherzig. Sie brachte Hunderte Kämpfer der Räterepublik, aber auch völlig Unbeteiligte bestialisch um. So wurde neben vielen anderen auch Gustl Sandtner vor ein Standgericht gestellt und zum Tode durch Erschießen verurteilt. Er kam mit dem Leben davon, weil ihn die Konterrevolutionäre mit einem anderen Genossen verwechselten, der an seiner Stelle sterben mußte.
Nach sieben Monaten Kerkerhaft fand Gustl Arbeit in den Bayerischen Motorenwerken, wo er bald zum Vorsitzenden des Arbeiterrates gewählt wurde. Zugleich war er Mitglied der Bezirksleitung Südbayern der KPD. Es gehörte zu seinen Aufgaben, Betriebszellen der Partei zu schaffen und politische Arbeit auf dem Lande zu leisten. Als dann im März 1921 die Berliner SPD-Regierung ihre Bürgerkriegstruppen auch gegen den Arbeiteraufstand im mitteldeutschen Industriegebiet in Marsch setzte und die bayerische Regierung dorthin Unterstützungskräfte schicken wollte, organisierte Gustl Solidaritätsaktionen für die Klassenbrüder in Mansfeld und Leuna. Vor allem sabotierten er und seine Genossen die Truppentransporte in Richtung Norden. Dafür verurteilte ihn die bürgerliche Klassenjustiz zu dreieinhalb Jahren Festungshaft.
Ins zivile Leben zurückgekehrt, folgte Gustl Sandtner dem Ruf der Partei nach Berlin. Zuerst waren der rote Wedding und der Arbeiterbezirk Moabit seine politischen Wirkungsstätten, bis er nach einer Veränderung der kommunalen Verwaltungsstruktur der Reichshauptstadt die politische Führung des KPD-Unterbezirks Nord im Bezirk Berlin-Brandenburg-Lausitz-Grenzmark übernahm. In seiner letzten Funktion vor der Machtübernahme durch die Nazis leitete er ab Februar 1932 als Politischer Sekretär den Bezirk Schlesien.
Auch seine Frau Johanna Sandtner war politisch sehr aktiv. Sie gehörte der KPD-Reichstagsfraktion an und wurde überdies 1929 in das Berliner Abgeordnetenhaus gewählt. Kurz nach seiner Teilnahme an der illegalen Tagung des ZK der KPD am 7. Februar 1933 in Ziegenhals wurde Gustl durch die Faschisten verhaftet. Mehrere Jahre verbrachte er in einem schlesischen Zuchthaus, bis man ihn am 11. November 1936 in das KZ Sachsenhausen überstellte. Bald gehörte er dort zur illegalen Leitung der deutschen politischen Häftlinge, welche die Widerstandsarbeit organisierte. So berichtete Fritz Reuter, in der DDR u. a. Mitglied des ZK der SED und stellvertretender Vorsitzender des Komitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer, daß ihm Gustl Sandtner sehr geholfen habe, aus dem KZ zu entkommen. Eine wichtige politisch-ideologische Arbeit für die Zukunft leisteten Ernst Schneller, Mat-thias Thesen, Gustl Sandtner und andere Genossen, als sie im Frühjahr 1944 ein umfassendes Dokument über die Aufgaben der Partei und deren Beziehungen zum Nationalkomitee „Freies Deutschland“ erarbeiteten, das sie der illegalen KPD-Organisation in Deutschland übermittelten.
Im Sommer 1944 verhaftete die Lager-SS eine große Zahl politischer Häftlinge. Mehrere brachte sie in andere KZ, so nach Mauthausen, 24 deutsche und drei französische Kämpfer aber erschoß sie am 11. Oktober im sogenannten Industriehof, darunter Ernst Schneller, Matthias Thesen und Gustl Sandtner. Johanna Sandtner gelang die Flucht nach Österreich. Dort schloß sie sich der KPÖ und dem Widerstand an, wofür sie viele Monate lang eingekerkert wurde. Aber sie überlebte den Faschismus.
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