Mittelamerika – Leben mit der Gewalt
Die Gewalt in El Salvador beeinflußt mich nicht nur persönlich, sondern auch bei der Arbeit, in meinem Engagement und politisch. Persönlich ist es schwer, in diesem Land zu leben und Mutter zu sein. Pro Tag werden elf Personen ermordet. Und junge Menschen werden von der Polizei kriminalisiert und von den Banden oder anderen Strukturen der organisierten Kriminalität getötet. Mein Sohn muß sich mehrmals täglich bei mir melden und berichten, wo er ist und wie es ihm geht. Wenn er es einmal vergißt oder nicht abhebt, bekomme ich sofort Angst. Wir leben eingesperrt in unseren Kolonien mit großen Toren und privatem Sicherheitspersonal. Wir können uns nicht mehr frei im Land bewegen.
Immer werden die Banden dafür verantwortlich gemacht – aber nicht immer stecken sie auch wirklich dahinter. Auch auf politischer Ebene kann man die Mißstände nicht offen anprangern, die von der Polizei begangen werden, weil man nie genau weiß, wie sie darauf reagiert. Wie begegne ich dieser Gewalt? Das ist schwer zu beantworten. Ich bin mit dem Krieg aufgewachsen. Ich habe nie in wirklichem Frieden oder in Freiheit gelebt. Vielleicht fällt es mir deswegen leichter, das Fehlen von Freiheit und Bewegungsmöglichkeiten zu tolerieren. Auf der Arbeit haben wir einen Sicherheitsplan ausgearbeitet, den wir auch anwenden. Wir treffen die nötigen Vorkehrungen, damit wir auf die Risiken, unter denen wir leben müssen, vorbereitet sind. Das gleiche versuche ich mit meinem Sohn zu tun. Ich denke auch über die Möglichkeit nach, daß er das Land verläßt, auch wenn es mir das Herz brechen würde.
Was nötig wäre, um die Gewalt einzudämmen? Es fehlt am politischen Willen, es fehlt der Umgang mit den nicht verheilten Wunden aus dem Krieg. Und es müßten Psychologen, Soziologen und Pädagogen an der staatliche Sicherheitspolitik mitwirken, statt nur auf Repression zu setzen. Wir müssen auch eine Kultur des Friedens schaffen und den Menschen klarmachen, daß die Gewalt eine Strategie der Rechten ist, um zurück an die Macht zu gelangen, und eine Strategie von bestimmten Unternehmen, um die Konkurrenz auszuschalten.
Montserrat Arévalo, Geschäftsführerin der Frauenorganisation
„Mujeres Transformando“
Berta Cáceres bei einer Trauerfeier
Die Ermordung von Berta Cáceres war eindeutig ein politischer Mord. Sie war eine Anführerin des Widerstands gegen Staudammprojekte und trat für eine ganzheitliche Ökologie ein, die die Facetten des menschlichen Lebens miteinander verbinden sollte: die ethische und soziale Dimension und die Beziehung der Gesellschaft zur Natur. Wir stehen dem westlichen Entwicklungsmodell kritisch gegenüber, weil es weder befreiend noch gerecht, noch nachhaltig ist.
Der Mord war auch ein Mord an den indigenen Gemeinden und richtet sich gegen die Lenca-Bevölkerung. 500 Jahre nach der Kolonialisierung und fast 200 Jahre nach der Unabhängigkeit sind wir noch immer nicht in der Lage, indigene Werte und Weltanschauungen zu verstehen und anzunehmen. Wir schaffen es immer noch nicht, den indigenen Gruppen einen Platz in unserer Gesellschaft zu geben. Berta Cáceres hatte sich dagegen gewehrt, daß der Rio Gualcarque den Lenca entrissen und in private Hände gegeben wird.
Es war außerdem ein Mord an Utopien, in denen das Land, die Gewässer und die Wälder sowie die Verbindung von Menschen zur Natur dem vorherrschenden Entwicklungsmodell unserer Gesellschaft gegenüberstehen. Diese Anschauungen lehnen die Marktwirtschaft, den Despotismus der transnationalen Konzerne und ihre perversen Allianzen mit der Bourgeoisie ab, denn diese berauben uns unserer Wurzeln und opfern sie für einen globalisierten Lebensstandard.
Den Mördern von Berta Cáceres wird es aber nie gelingen, die Träume der Lenca-Gemeinde, der indigenen Gruppen und der sozialen Bewegungen zu zerstören, die sich für alternative Gesellschaftsformen einsetzen.
RF, gestützt auf einen Kommentar von „Radio Progreso“, Honduras,
und auf Berichte aus „presente“ (Bulletin der Christlichen Initiative Romero)
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