Mord an der Grenze
Am 21. Februar 1951 töteten US-amerikanische Soldaten den VP-Wachtmeister Herbert Liebs am „Pferdsdorfer Köpfchen“ durch einen Schuß aus dem Hinterhalt, sorgfältig geplant. Ein Mord, der nie gesühnt wurde. Was geschah damals?
Anfang 1951 mehrten sich Übergriffe und Provokationen gegen Thüringer Grenzpolizisten durch amerikanische Constabulary (Angehörige einer von 1946 bis 1952 bestehenden Polizeitruppe der US Army) vom Standort Bad Hersfeld.1
Am 21. Februar, einem naßkalten und ungemütlichen Wintertag, befinden sich die VP-Wachtmeister Liebs und Schulze vom Grenzpolizeikommando Pferdsdorf auf ihrem routinemäßigen Kontrollgang entlang der Demarkationslinie (DL) zu Westdeutschland. Der 21jährige Liebs ist als Postenführer eingeteilt. Beide sind auf dem Rückweg nach Pferdsdorf, als sie plötzlich Motorengeräusche vernehmen. Durch ihre Ferngläser erkennen sie auf der Straße ein amerikanisches Fahrzeug, welches sich kurz darauf Richtung Willershausen entfernt. Streifenführer Liebs will sich Klarheit verschaffen, was das zu bedeuten hatte. Die Grenzpolizisten machen sich unverzüglich auf den Weg Richtung „Pferdsdorfer Köpfchen“. Gegen 17.40 Uhr erreichen beide einen parallel zur Willershäuser Straße verlaufenden Feldweg. Da die Straße von hier aus nicht einzusehen ist, beschließt der Streifenführer, einen günstigeren Beobachtungspunkt einzunehmen. Sie gehen unterhalb der Straßenböschung einige Meter in Richtung Pferdsdorf, um einen besseren Überblick zu erhalten. Die DL verläuft hier ungefähr in der Straßenmitte, so daß vom Rand der Chaussee eine bessere Sicht möglich ist. Als der Böschungsrand erreicht ist, sehen sie allerdings weder Fahrzeuge noch Personen.
Plötzlich fallen kurz hintereinander aus dem hessischen Gebiet heraus zwei Schüsse. Liebs geht mit den Worten „Mich hat’s erwischt“ zu Boden, der geschockte Schulze sucht Deckung hinter einem Baum. Von der mit Sträuchern und Bäumen bewachsenen hessischen Seite kommen mehrere mit Regenumhängen bekleidete Personen auf die Demarkationslinie zu. Schulze läuft ins Dorf, um Hilfe zu holen.
Auch in Pferdsdorf wurden die Schüsse wahrgenommen. Das wenige hundert Meter von der DL wohnende Lehrerehepaar Jahn horcht erschrocken auf, will nachschauen, was passiert ist und läuft Richtung Schlagbaum „Pferdsdorfer Köpfchen“ auf der Willershäuser Straße. VP-Wachtmeister Finholdt, der sich bei einem Freund unweit des „Köpfchens“ befindet, eilt nach den Schüssen unverzüglich Richtung Willershäuser Straße. Hier trifft er auf VP-Wachtmeister Schulze, der ihm kurz von dem Vorfall berichtet.
Sofort entschließen sich beide, den angeschossenen Liebs zu holen und in Sicherheit zu bringen. Finholdt sieht in einer Entfernung von ca. 150 bis 200 Metern sechs oder sieben amerikanische Soldaten, die sich ca. drei bis vier Meter auf der östlichen Seite der Demarkationslinie befinden. In unmittelbarer Nähe steht westlich der Linie ein Jeep mit laufendem Motor. Sie machen sich am verletzten Liebs zu schaffen, wollen ihn vermutlich in den Jeep laden, was Finholdt mit zwei gezielten Schüssen in Richtung der Soldaten und in Richtung Jeep zu verhindern weiß. Sofort lassen die Amerikaner von Herbert Liebs ab und flüchten in den Wald. Auch der Fahrer des Jeeps legt den Rückwärtsgang ein und fährt mit hoher Geschwindigkeit in die Deckung des Waldes. Kurz darauf kommen zwei vollbesetzte Jeeps wieder heraus und fahren Richtung Willershausen.
Finholdt trägt den schwer verletzten Kameraden die Böschung hinunter auf den Feldweg, der von westlicher Seite nicht einzusehen ist und eine gute Deckung bietet. Ein Abtransport ohne Hilfsmittel ist bei den Verletzungen und Bodenverhältnissen allerdings aussichtslos. Finholdt macht sich auf den Weg ins Dorf, um dort eine Trage zu beschaffen, während Schulze mit seinem Karabiner beim Verletzten bleibt.
Nach kurzer Zeit kehrt Finholdt mit einer eilig zusammengebauten Trage und drei weiteren Männern zur Unterstützung zurück. Gemeinsam transportieren sie Liebs auf dem Feldweg in Richtung Pferdsdorf. Gegen 18 Uhr erreichen sie das Haus des Lehrerehepaars am Ortseingang und bringen den Schwerverletzten in die Küche. Kurz darauf stirbt Herbert Liebs.
Der spätere Obduktionsbericht Dr. Voigts vom Institut für gerichtliche Medizin Jena benennt umfangreiche äußere und innere Schußverletzungen, die zum Tod führten.2
Ein Polizeiwachtmeister der Grenzaufsichtsstelle (GASt) Willershausen, der sich auf einem Streifengang westlich von Pferdsdorf befindet, hört um 17.44 Uhr einen Schuß aus Richtung des Ortes. Er sieht, wie von dort kurz darauf zwei Jeeps der Constabulary in schneller Fahrt kommen. Seine Beobachtungen meldet er telefonisch an das Zollgrenzkommissariat in Netra. In die von ihm gefertigte Tatortskizze zeichnet er auch die vermutete Stelle des Schützen ein. An dieser Stelle werden die Ermittler der Kripo Eisenach am nächsten Tag entscheidende Beweismittel finden. Am Abend erscheinen zwei Angehörige des Militärischen Nachrichtendienstes der US-Armee in der GASt und befragen die Anwesenden zum Vorfall. Den englisch geführten Gesprächen der Amerikaner entnimmt der Polizeiwachtmeister, daß eine Constabulary-Streife auf einen Volkspolizisten geschossen habe, der die DL überschritten habe.3 Diese Darstellung verbreiten die Amerikaner auch in der Öffentlichkeit. Es ist eine Lüge, welche die Tat vertuschen soll. 1963 wird sie durch eine andere ersetzt. Nun ist Herbert Liebs nicht mehr wegen Überschreitens der DL erschossen worden, sondern weil ein Constabulary Zielübungen auf ihn gemacht hat und sich dabei ein Schuß löste.4
Am Tag nach der Tat suchen die Ermittler der Kripo Eisenach am Tatort nach Spuren und Beweismittel, auch jenseits der DL.5 Zwei Patronenhülsen hinter einem Wacholderbusch verraten den Standort des Schützen. Schußbahn und Standort von Liebs können nun rekonstruiert werden.6 Es steht zweifelsfrei fest: Liebs befand sich auf dem Gebiet der DDR, der Schütze auf dem der BRD.
Am 26. Februar 1951 wird Herbert Liebs unter großer Anteilnahme der Bevölkerung in Zeulsdorf bei Gera beigesetzt.
- Sektionsbericht vom 22. 2. 1951 (BStU MfS AP 9392/56, S. 76 ff.)
- Schreiben BMF an OFD vom 23. 10. 1951 (HHSTAW 531.126)
- Meldung GASt Willershausen vom 22. 2. 1951 (BArch B 126/4, Bd. 2, S. 506)
- Schreiben BMdI an Auswärtiges Amt vom 7. 10. 1963 (HHSTAW 531/083, S. 23)
- Meldung GASt Willershausen vom 22. 2. 1951 (BArch B 126/4, Bd. 2, S. 508)
- Tatortskizze (BStU MfS AP 9392/56, S. 54 f.),
Tatortfotos (BStU MfS AP 9392/56, S. 58 ff.
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