Mußte Europas Geschichte in
den 1. September 1939 münden?
So lautete die Überschrift über einem Aufsatz des Historikers Kurt Pätzold, der am 3. Mai 2010 in der „jungen Welt“ erschien.
Kennt die Geschichte Alternativen? Angesichts dessen, daß erfolgreiche Revolutionen selten, Konterrevolutionen und Restaurationen um so zahlreicher sind, ist das eine ernste Frage an den historischen Materialismus, der von Fortschritt in der Menschheitsgeschichte ausgeht. Nach zwei Weltkriegen und Faschismus, nach der Niederlage des realen Sozialismus in Europa finden viele Menschen darauf nur eine resignative Antwort. Dabei ist die Frage seit der Existenz von Atomwaffen zu einer Überlebensfrage der Menschheit geworden.
Dem Erreichen und der Erhaltung eines strategischen militärischen Gleichgewichts und letztlich der atomaren Abrüstung galten daher die Anstrengungen der Sowjetunion. Gibt es nach deren Auflösung nur fatales Verhängnis? Bei einem Blick auf das militärische Kräfteverhältnis in der Welt, gemessen an den Militäraufwendungen, scheint die Antwort zunächst „Ja“ zu lauten.
Mit dem angeblichen Ende des kalten Krieges gingen die weltweiten Militärausgaben zwar zunächst tatsächlich zurück, laut Berechnungen der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich aus dem Jahr 2013 von 1,45 Billionen (konstanten) US-Dollar 1990 auf 992 Milliarden US-Dollar 1996. Nach drei Jahren auf diesem Niveau stiegen sie ab dem Jahr 2000 wieder an und erreichten 2011 den Stand von rund 1,8 Billionen US-Dollar. Es folgten einige Jahre mit leichten Rückgängen, dann ging es 2015 wieder hinauf auf 1,68 Billionen US-Dollar. Mehr als die Hälfte davon entfallen auf die USA (fast 600 Milliarden US-Dollar) und die NATO-Staaten. Die VR China wandte etwa 219 Milliarden US-Dollar auf, Saudi-Arabien lag mit 87,2 Milliarden auf dem dritten Platz, Rußland folgte mit 66,4 Milliarden.
Entscheidender als die Zahlen ist die mit ihnen jeweils verbundene Politik: Die USA und ihre Verbündeten führten zahlreiche Kriege imperialistischen Charakters, setzten in Kiew eine aggressiv-antirussische Marionettenregierung ein und rüsteten insbesondere in Osteuropa und in Asien-Ozeanien weit überproportional auf. Das zielt klar auf China und Rußland. Die Idee, mit beiden Ländern über kollektive Sicherheit zu verhandeln, wird vom Westen nicht verfolgt, im Gegenteil: Sie werden als Hauptgegner bezeichnet.
Das weist Parallelen zu den 30er Jahren auf. Pätzold wies darauf hin, daß es damals gegen den deutschen Faschismus das Konzept kollektiver Sicherheit gab – allerdings fast nur in der Außenpolitik der Sowjetunion. In heutigen deutschen Schulbüchern werde dieses Konzept nicht erwähnt, sowjetische Außenpolitik vor 1939, vor dem „Hitler-Stalin-Pakt“ gab es demnach nicht. So läßt sich das Märchen erzählen, Großbritannien und Frankreich hätten in München 1938 gegenüber Hitler und Mussolini eine Beschwichtigungspolitik verfolgt, wollten den Frieden erhalten und hätten sich leider geirrt. Tatsächlich, so Pätzold, lehnten die Westmächte 1938 endgültig ein System kollektiver Sicherheit ab und wiesen mit dem Münchener Abkommen, mit dem sie die Tschechoslowakei den Nazis zum Fraß vorwarfen, denen zugleich den „Weg nach Osten“, d. h. zum Krieg gegen die Sowjetunion. In den Schulbüchern der DDR fehlten im Gegensatz zu den westdeutschen die Namen von Politikern nicht, die einen Weg suchten, der nicht zum 1. September 1939 geführt hätte, etwa der des 1934 ermordeten französischen Außenministers Jean Louis Barthou oder seines sowjetischen Amtskollegen Maxim Litwinow.
Wem die Verhältnisse als alternativlos erscheinen sollen, dem darf Geschichte nicht als eine solche von konkreten Alternativen dargestellt werden.
Am 2. August 2016 titelte das „Handelsblatt“: „Das neue Wettrüsten“. Die EU-Staaten stockten seit 2015 ihre Militäretats wieder auf, sie folgten einem „globalen Trend“. Einen Tag zuvor teilte die US-Verwaltung für atomare Sicherheit (NNSA) mit, die ingenieurtechnischen Arbeiten für die Herstellung modernisierter Sprengköpfe vom Typ B61-12 seien abgeschlossen. Die faktisch neuartige Atomwaffe werde 2020 in Serienproduktion gehen. Nach den beim NATO-Gipfel in Warschau im Juli 2016 beschlossenen Aufrüstungsschritten sprach Rußlands Präsident Wladimir Putin von „Deeskalation“.
Es gibt Alternativen.
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