RotFuchs 198 – Juli 2014

Wie „seriöse“ BRD-Blätter Obama weißwaschen
und Putin anschwärzen

Mutige Bachelor-Arbeit aus München

Ulrich Guhl

Zu einer Zeit schlimmster BRD-Hetze gegen Rußland unterzog ich mich einem Experiment: In einem typischen Berliner Zeitungsladen schaute ich mir bei unterschiedlichsten Printausgaben der Konzernblätter Überschriften und Texte an, die irgendwie mit Putin oder den Russen zu tun hatten. Dabei tauschte ich gedanklich das Wort „Russen“ gegen „Juden“ aus. Ich bekam eine Gänsehaut! Plötzlich bemerkte ich, daß nicht wenige Schlagzeilen und Sätze – allen voran bei Erzeugnissen aus dem Hause Springer – eine erschreckende Ähnlichkeit mit der Sprache der Nazi-Medien hatten. Gerade die Aufmachungen von BZ und „Bild“ erinnerten nicht selten an Titelseiten der „Stürmer“-Ausgaben des in Nürnberg gehenkten Julius Streicher.

2012 veröffentlichte Mirjam Zwingli von der Hochschule für angewandte Sprachen an der Fachhochschule des Sprachen- & Dolmetscher-Instituts München ihre Bachelor-Arbeit unter dem Titel „Tendenziöse Attributierung in deutschen Printmedien: Putin vs. Obama – eine linguistische Analyse“. Die Verfasserin untersucht anhand der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) – einem konservativen Blatt des Großkapitals – und der eher als gemäßigt liberal geltenden „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) die tendenziöse Berichterstattung über den US-Präsidenten und dessen russischen Widerpart. Beide Blätter gelten in der BRD als häufig zitierte Qualitäts- und Leitmedien. Beispielthema ist für Mirjam Zwingli der NATO-Raketenschirm in Europa. Sie untersuchte 109 Artikel der SZ, die zwischen 2007 und 2012 erschienen, und 80 der FAZ aus dem Zeitraum von 2000–2012 auf drei Ebenen: Wort, Satz und Text.

Auf der Ebene „Wort“ wird der Raketenschirm von FAZ und SZ mit Vokabeln wie Schutzschild, Schutzprojekt, Chancen, Gemeinschaft, Sicherheit, Idee, Vorteil, gewähren, umarmen, modern, schützen, ermöglichen, sinnvoll und  intelligent bedacht. Obama begleiten Worte wie hoffnungsvoll, redlich, begeistert, Vision, Traum, Wahrheit, Glaubwürdigkeit, Wunsch, Perspektiven und Überzeugung. Alles ist in unserem Denken positiv besetzt. Begriffe wie „Schutzschild“ sollen Gefühle der Geborgenheit wecken. Obama erscheint als selbstloser, nur dem Frieden verpflichteter Visionär. Es soll der Eindruck entstehen, als ginge es beim Raketenschirm und in Obamas Außenpolitik ausschließlich um die Schaffung einer friedlichen, schönen Welt voller Harmonie. Zweifel am Sinn des Projekts oder den Motiven der Person werden von vornherein ausgeschlossen. Alle Worte sind bewußt so gewählt, daß kaum noch Auslegungs-Spielräume bleiben.

Putin hingegen erscheint als der böse Störer. In der FAZ und in der SZ besitzt er schlechte Karten. So fallen hier Worte wie Macho, Sowjetrhetorik, Drohgebärden, KGB-Mann, Zorn, Kalter Krieger, Kampfrhetorik, Gasprom-Imperialismus, Machtmensch, Knüppel-Demokratie, drohen, angreifen, berechnend, antiwestlich oder konfrontativ. Die Worte sollen beim Leser negative Gefühle auslösen. Gedanken an Größenwahn werden eingeprägt, wobei man Putin mit Begriffen wie „Großmachtgehabe“ immer wieder karikiert. Aber auch Angst und Haß vermittelt man.

Ähnlich sieht das Ergebnis der Untersuchung in bezug auf ganze Sätze aus. Hier wird für die Politik der USA durchweg Verständnis aufgebracht. „Priorität hat für Washington verständlicherweise der vorgelagerte Abwehrschirm“, heißt es in der FAZ, während man in der SZ liest: „Dieses Druckmittel hat Obama nicht aus der Hand gegeben – zu Recht, denn der bereitwilligen Kooperation Moskaus kann er sich nicht sicher sein.“ Selbst wenn es sich absolut nicht vermeiden läßt, Putins Politik auch positive Züge zu bescheinigen, wird dies sofort durch negative Adverbien abgewertet: „SPD-Chef Beck lobte sogar die Offenheit und Ehrlichkeit Putins.“ Der russische Präsident soll als Betrüger und gefährlicher Irrer erscheinen: „Rußlands Führung hat nur darauf gewartet, daß neues Treibgut vorbeischwimmt, an dem sie sich festhalten kann“ oder: „Lange hätte es nicht mehr gedauert, und Rußland würde den USA vermutlich sogar anlasten, daß in Moskau seit Wochen die Sonne nicht mehr scheint.“ Man spürt, wie witzig sich der Journalist der SZ bei der Formulierung dieses Satzes vorgekommen sein muß.

Die Schilderung der Themenanalyse ganzer Artikel in Mirjam Zwinglis Arbeit würde den Rahmen dieser Darstellung sprengen. Die Autorin weist auf wunderbar schlüssige Art die manipulative Ausrichtung einiger ausgewählter Texte beider Zeitungen nach, wobei sie sich nicht allein aus linguistischer Sicht mit diesen befaßt. Sie scheut sich nicht, den Fakten der jeweiligen Thematik nachzugehen, um Lügen und Halbwahrheiten zum Raketenschirm sowie zur Politik der USA und Rußlands in beiden Blättern aufzudecken. Es amüsiert geradezu, wie oft sich die „Qualitätsjournalisten“ der beiden „Leitmedien“ selbst ein argumentatives Bein stellen – vor allem, wenn man bedenkt, daß sie sich eigentlich für perfekte Rechercheure halten.

Die Bachelor-Arbeit der Absolventin hätte es verdient, in guten Buchläden Eingang zu finden. Auch die Auswahl des Themas durch Mirjam Zwingli verdient Respekt, braucht man dazu doch heute schon einigen Mut.

Seit Jahren, ganz besonders aber in letzter Zeit, erleben wir in Sendern und Blättern einen permanenten politischen Aufruf zum Völkerhaß, der an die Zeit des Nazismus erinnert. Das nimmt nicht wunder, war doch die alte BRD dadurch geprägt, daß etwa zwei Millionen Mitglieder der Hitlerpartei nach 1945 zur Gründergeneration in Politik, Verwaltung, Justiz, Polizei und Bundeswehr, aber auch in den Medien gehörten.

Mirjam Zwingli zitiert Brigadegeneral a. D. Heinz Loquai, der mutig den Kosovo-Krieg brandmarkte und dafür durch SPD-„Verteidigungsminister“ Scharping entlassen wurde: „Krieg beginnt nicht erst, wenn geschossen wird und Bomben fallen. Zunächst wird immer eine Sprache für den Krieg erfunden, eine Sprache … des Gut gegen Böse … Sobald eine solche Sprache erfunden ist, übernehmen alle dieses Vokabular, ohne die Folgen zu bedenken.“

Es lohnt sich, die im Internet einsehbare Bachelor-Arbeit zu lesen. Dabei kann es auch nicht von Schaden sein, Victor Klemperers berühmtes Werk LTI (Die Sprache des Dritten Reiches) wieder einmal zur Hand zu nehmen. Und vielleicht wäre es nicht einmal verfrüht, eine Lingua Quartum Imperii – die Sprache des Vierten Reiches – gedanklich in Betracht zu ziehen.