RotFuchs 231 – April 2017

Nationalismus

Wolf D. Hartmann

Was die Welt uns Deutschen verdankt, braucht nicht besonders betont zu werden. Die Menschheit weiß, was im Land der Denker und Dichter alles erfunden wurde, von der Atomwaffe bis zum Zyklon B. Deutscher zu sein ist etwas ganz anderes als etwa ein Afrikaner oder Zypriot. Man ist stolz, Deutscher zu sein, auch ohne selbst je etwas Neues gedacht oder gedichtet zu haben, außer in der eigenen Toilette vielleicht den tropfenden chinesischen Wasserhahn. Wir fühlen uns anderen natürlich überlegen, allein weil wir jetzt schon viermal Weltmeister im Fußball waren.

Karikatur: Gertrud Zucker

Nationales Denken gewinnt überall erstaunlich mehr Zulauf als eine zweite Renaissance Europas für das 21. Jahrhundert. Haß auf andere Nationen, die Globalisierung, die Europäische Union und ihre Vertreter fruchten und wachsen. Da kann man auch schon mal wieder richtig nationalradikal brüllen. Ob Lüge oder Wahrheit spielt ohnehin keine so wichtige Rolle wie die eigene Überzeugung. Im überall sicht- und hörbaren „Kommunikationsinfarkt“ bekommt doch keiner mehr mit, was gelogen und was wahr ist.

Millionenfach schwenken viele Nationalisten, besonders in den USA, Frankreich, Polen, Ungarn oder den Niederlanden und selbstredend auch bei uns ihre Gesinnungstextilien. Zurück zur eigenen Nation! Wir zuerst! Schluß mit lustig bei Einwanderungen! Baut neue Grenzen und Mauern! Stoppt die Globalisierung und den freien Welthandel. Vielerorts trifft man erneut herablassende Blicke auf andere Nationen. Vor allem, wenn sich der Blick aus westlicher Richtung gen Osten richtet.

Im nationalistischen Denken und Handeln fühlen sich die Verfechter wie berauscht. Das ist im doppelten Sinne richtig: Betrunkene behaupten überall und immer, ihre Fahne sei die beste, egal wie groß der Kater nach solchen Abstürzen ist. Und natürlich gebärden sich die Nationalisten am heftigsten und wildesten, wenn ihr Nationalismus nicht akzeptiert, sondern enttäuscht wird.

Da kann man schon von oben herab auf Russen, Asiaten, Farbige, Latinos und Schlitzäugige schauen, ohne das groß auszusprechen. Nationalistische Verachtung läßt sich auch nonverbal ausdrücken. Aber bei passender Gelegenheit kann man mit Sendungsbewußtsein den anderen Nationen schon zeigen, wo es langgehen müßte. Die ganze Welt sollte zu den westlichen Nationen aufblicken und ihnen nacheifern, statt eigene Werte und Vorstellungen zu entwickeln.

Aus:

Wolf D. Hartmann und Gertrud Zucker

Wa(h)re westliche Werte. Kleines Satire-Lexikon

Illustrationen: Gertrud Zucker
Regia-Verlag, Cottbus 2017, 72 Seiten
ISBN: 978-386929364-6

10,00 Euro