RotFuchs 220 – Mai 2016

Vom Mut und der Beharrlichkeit der Klarsfelds

„Nazi! Nazi!“

RA Ralph Dobrawa

Die Überschrift dieses Beitrags war einst der Begleitruf, als Beate Klarsfeld am 7. November 1968 den damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger auf einem Parteitag der CDU in Berlin öffentlich ohrfeigte. Es sollte die berühmteste Ohrfeige in der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland werden. Zugleich aber war dieses Ereignis auch der Beginn des dann lebenslangen Engagements einer jungen Frau für die Verfolgung von Naziverbrechern in aller Welt. Ihr Mann Serge, Rechtsanwalt in Paris, den Beate Anfang der 60er Jahre dort kennengelernt hatte, stand ihr bis heute fest zur Seite. Der 1935 in Bukarest Geborene ist Sohn jüdischer Eltern. Sein Vater wurde im Herbst 1943 in Frankreich, wohin die Familie geflohen war, durch die Gestapo festgenommen, nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Serge entging den Häschern nur knapp.

Beate Klarsfeld ohrfeigt Kiesinger

Kiesingers Nazi-Karriere war in der BRD kein Geheimnis. Ins Licht der Öffentlichkeit gerückt wurde sie aber erst, als Beate Klarsfeld den Kanzler 1968 in der Westberliner Kongreßhalle ohrfeigte. Auf die Frage: „Warum haben Sie gerade Kiesinger geohrfeigt? Warum nicht Lübke? Es gibt doch noch eine Menge anderer Nazis in hohen Positionen“, antwortete sie schlicht: „Wenn man die Nazis aus dem öffentlichen Leben entfernen will, muß man mit dem einflußreichsten Mann im Staat anfangen …“

Diese sein Leben prägenden Umstände führten offensichtlich dazu, daß er sich später bei der Verfolgung faschistischer Gewaltverbrecher so engagierte und gemeinsam mit seiner Frau als „Nazijäger“ bekannt wurde. Den Klarsfelds ist es zu verdanken, daß Klaus Barbie, der Schlächter von Lyon, nach Frankreich ausgeliefert wurde und dort vor Gericht gestellt werden konnte. Auch der Gestapochef von Paris, Kurt Lischka, den das Landgericht Köln 1980 aburteilte, wurde von ihnen namhaft gemacht. Mehrere andere Nazis spürte das Ehepaar auf und machte deren Aufenthaltsort öffentlich, wobei mitunter keine Auslieferung durch die betreffenden Staaten erfolgte, so daß strafrechtliche Konsequenzen ausblieben.

Beate Klarsfeld

Beate Klarsfeld war bei den Präsidentschaftswahlen 2012 die PDL-Alternativkandidatin zu Pastor und Gedenkstättenverwalter Joachim Gauck, den die bürgerlichen Parteien ins Rennen schickten.

Jetzt sind die Lebenserinnerungen der Klarsfelds auch in deutscher Sprache erschienen. Dies geschah zu einer Zeit, in der massiv aufkeimender Neofaschismus in verschiedenen europäischen Ländern, der sich bisweilen mit der Vokabel rechtspopulistisch zu tarnen sucht, dringend zum Widerstand auffordert. Mit großer Spannung kann man lesen, an welchen Fronten Beate und Serge gekämpft haben. Man erfährt von der Jagd der Klarsfelds auf Lischka wie dessen Helfer Hagen und Heinrichson, bevor sich diese drei SS-Männer einige Zeit später vor dem Landgericht Köln verantworten mußten. Beate und Serge hatten versucht, Lischka aus Köln nach Frankreich zu entführen, um ihn dort vor Gericht zu bringen. Die Aktion war jedoch ein Schlag ins Wasser. Gegen Beate wurde sogar ein Haftbefehl erlassen, der sie ins Gefängnis Köln-Ossendorf brachte. Hier kam dann der legendäre Friedrich Karl Kaul zum Zuge, der sich als DDR-Anwalt an der Verteidigung beteiligen wollte. Dazu hatte er die persönliche Zustimmung Erich Honeckers eingeholt.

Die Dinge nahmen letzten Endes einen für die Klarsfelds günstigen Verlauf. Nachdem sie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf diese Problematik gelenkt hatten, kümmerten sie sich auch um den Verbleib anderer übler Faschisten wie Walter Rauff, der Gaswagen zur Ermordung von Menschen mittels Kohlenmonoxyd erfunden hatte. Auch die Jagd auf Josef Mengele, der als KZ-Arzt in Auschwitz pseudowissenschaftliche Experimente, vor allem an Zwillingen, vorgenommen hatte, beschäftigte das Ehepaar ebenso wie die Verfolgung von Alois Brunner, auf dessen Konto 1943/44 die Deportation von 24 000 Juden aus Frankreich gekommen war und der unter falschem Namen in Damaskus lebte. Schließlich rief die faschistische Vergangenheit des Österreichers Kurt Waldheim, der etliche Jahre Generalsekretär der Vereinten Nationen gewesen war, die Klarsfelds Mitte der 80er Jahre auf den Plan. Immer wieder organisierten sie auch Aktionen und Proteste vor Ort. Dabei gingen sie stets persönliche Risiken ein, wenn sie Länder bereisten, wo die Verhältnisse weder demokratisch noch rechtsstaatlich waren, so daß sie Gefahr liefen, selbst verhaftet oder drangsaliert zu werden. Solche Gefahren schreckten sie nie. Auch dafür gebührt ihnen Respekt. Sie haben viel dazu beigetragen, daß die oftmals schleppende Aufarbeitung der Nazivergangenheit in der BRD beschleunigt oder überhaupt erst in Gang gebracht wurde.

Noch heute engagieren sich beide Klarsfelds in der FFGJF, einer französischen Organisation von Söhnen und Töchtern einst Deportierter. Serge Klarsfeld stellt resümierend fest: „Nach Gerechtigkeit habe ich intensiv gesucht, zur historischen Wahrheit beigetragen. Als Rechtsanwalt war meine Rolle eher die eines Anklägers und in den Fällen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit die des Staatsanwalts. Als engagierter Anwalt hatte ich nur ein Ziel: die Sache jedes einzelnen Opfers der Shoah und ihrer Erben zu vertreten. Es ging mir darum, die Verurteilung ihrer Mörder zu erleben, die bis dahin von einer Gesellschaft geschützt wurden, in der sie Karriere machen konnten. Ich habe für eine internationale Strafjustiz gekämpft.“

Das Lebenswerk beider Klarsfelds wurde am 20. Juli 2014 durch Frankreichs Staatspräsidenten Hollande geehrt: Er ernannte sie zum Grandofficier und zum Commandeur der Ehrenlegion. Ein Jahr später mußte ihnen die BRD das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verleihen. Jahrelang hatte man sich dagegen gewehrt, die antifaschistischen Initiativen von Beate und Serge Klarsfeld anzuerkennen. Dabei spielte wohl auch die Tatsache eine Rolle, daß sie Unterstützung durch die DDR, die ihnen Dokumente und anderes Beweismaterial bereitstellte, annahmen und auch heute keine Veranlassung sehen, sich davon zu distanzieren.

Wer sich mit dem Widerstand gegen das langjährige Schweigen über die Nazivergangenheit so mancher in der BRD auseinandersetzen will, dem sei das spannende Erinnerungsbuch der Klarsfelds nachhaltig empfohlen. Der Leser wird dem zustimmen, was die renommierte französische Zeitung „Le Monde“ schrieb: „Ein der Gerechtigkeit geweihtes Leben. Ein packendes Dokument.“

Beate und Serge Klarsfeld:

Erinnerungen

Piper-Verlag, München/Berlin/Zürich 2015
624 Seiten, ISBN 978-3-492-05707-3

28,00 Euro