Können Eloquenz und Schlagfertigkeit
einen Klassenstandpunkt ersetzen?
NEIN zum JEIN
Mit seinen Erklärungen zum Ukrainekonflikt hat Gregor Gysi die Partei auf Linie gebracht und zugleich ein Haltesignal für Linke außer acht gelassen. Denn wesentlich anders als Verlautbarungen aus dem offiziellen Berlin hörte sich das, was er dazu meinte, auch nicht gerade an. Dabei hätte sich ja Gelegenheit geboten, den aggressiven Expansionismus der USA, der EU und nicht zuletzt auch der BRD bloßzustellen sowie die durchaus rußlandfreundliche Stimmung – vor allem in Ostdeutschland – zu antiimperialistischer Profilschärfung zu nutzen. Doch offensichtlich haben sich bestimmte Spitzenpolitiker der PDL nicht nur verbal von jeglicher Klassenposition verabschiedet.
Gregor Gysi beklagt das Versagen der Diplomatie, als ob dies Ursache des ganzen Konflikts wäre. Doch das Gegenteil ist bekanntlich der Fall. Die imperialistische Diplomatie war – aus ihrer Sicht – durchaus erfolgreich. Leute wie BRD-Außenminister Steinmeier und sein Washingtoner Amtskollege Kerry haben die Ukraine auf den Status einer Halbkolonie heruntergedrückt und die Anführer der Swoboda-Faschisten durch gemeinsame Auftritte und Fototermine salonfähig gemacht. In dieser Situation mußte Rußland die Notbremse ziehen. Es entzog die Krim nicht nur den Kiewer Nachfolgern Banderas, sondern auch der NATO und der U.S. Navy. Bedeutende Teile der ostukrainischen Bevölkerung leisteten dem Zugriff der aus Faschisten formierten Nationalgarde und dann der regulären Armee erfolgreich Widerstand. Vielerorts wurden Lenindenkmäler erfolgreich verteidigt.
Das hätte Die Linke erfreuen und zu mo-ralischer Unterstützung anregen sollen. Statt dessen gab es in ihren Reihen Politiker, die Rußland unisono mit Sprechern bürgerlicher Parteien des Völkerrechtsbruchs bezichtigten, weil Moskau das Selbstbestimmungsrecht der Krimbevölkerung respektiert hatte.
Gysi begab sich nach Moskau, um den Russen seinen Standpunkt darzulegen. Darin besaß er bereits Erfahrung. Seinerzeit hatte er Gorbatschow, den er als Freund bezeichnete, besucht und war mit leeren Händen zurückgekehrt. Sein jüngster Rußlandaufenthalt verlief ähnlich. Der eloquenteste und schlagfertigste Politiker, über den die PDL verfügt, konnte bei den Russen nur wenig ausrichten. In Moskau trat er nicht so sehr als sozialistischer Oppositionsführer, sondern eher wie ein Pendler zwischen zwei Welten auf. Er vertrat Pressemeldungen zufolge Ansichten, die sich – in bestimmten Fragen – kaum von denen der etablierten Parteien und der sie lenkenden Interessengruppen abhoben. Allein deren Blindheit auf dem rechten Auge teilte der Antifaschist Gregor Gysi natürlich nicht. Doch die dem internationalen Recht gemäße Rückführung der Krim zu Rußland bezeichnete er gegenüber Gesprächspartnern als Verstoß gegen das Völkerrecht.
Von Putin wurde der selbsternannte Unterhändler nicht empfangen. Seine Gespräche fanden auf einer Höflichkeitsebene statt.
Dabei verfehlte Gysis Reise keineswegs ihren Zweck, könnte er sich doch bei einer Stabilisierung der Lage darauf berufen, seinen Beitrag dazu geleistet zu haben.
In einer Fernsehrunde bekundete der PDL-Fraktionsvorsitzende Verständnis für Ängste von Polen und Balten vor Rußland. Ähnliche Äußerungen vernahm man auch von Elmar Bock (CDU) und Werner Schulz (Bündnis 90/Die Grünen). Gysi hätte zumindest deren Behauptungen hinterfragen sollen.
Aufschlußreich ist auch die Erklärung leitender Funktionäre der Linkspartei, eine künftige Koalition mit der SPD und den Grünen werde „nicht an der Außenpolitik scheitern“. Partei-Rechtsaußen Stefan Liebich vom Forum Demokratischer Sozialismus, der überdies PDL-Obmann im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages ist, nimmt übrigens längst an vertraulichen Kontaktgesprächen mit SPD und Grünen teil. Er wolle „Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht ausschließen“, ließ Liebich, der auch zur elitären „Atlantik-Brücke“ gehört, inzwischen wissen.
Bekanntlich hatte die Bundestagsfraktion der Partei Die Linke im April erstmals nicht mehr geschlossen gegen militärische Auslandsoperationen der Armee des deutschen Imperialismus gestimmt. Zu jenen vier PDL-Mandatsträgern, welche der Beteiligung einer bundesdeutschen Fregatte an den Aktivitäten eines US-Kriegsschiffes im Mittelmeer zustimmten, hatte auch Liebich gehört. Von Gregor Gysi war Stimmenthaltung angeraten worden. Die meisten der anwesenden PDL-Abgeordneten entschieden sich jedoch in voller Übereinstimmung mit dem Erfurter Programm ihrer Partei für ein klares Nein.
Ein halbes Ja und ein halbes Nein sind in der deutschen Sprache übrigens nicht vorgesehen, ein JEIN gibt es nicht. Sie verlangt an Stelle des linguistischen Hakenschlagens eindeutige Optionen.
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