Was an die Stelle der DDR-Genossenschaften
und Staatsgüter getreten ist
Neue Eigentumsformen
in der Landwirtschaft
Im jetzt als „neue Bundesländer“ bezeichneten einstigen Staatsgebiet der DDR ging es 1991 um die Frage: Wie gestaltet man eine vormals genossenschaftliche oder staatliche Landwirtschaft im Sinne des Kapitalismus um? Vor dieser Problematik standen die vormaligen LPG-Mitglieder sowie die Mitarbeiter der Volkseigenen Güter, aber auch andere Berufsgruppen, die sich mit Landwirtschaft befaßten. Etwa 1,5 Millionen Menschen waren betroffen.
In so manchem Dorf ging es hoch her, denn nun mußten auf einmal Eigentumsfragen geklärt werden, was oft sehr kompliziert war. Natürlich wurden dabei auch alte Rechnungen beglichen, und so mancher LPG-Obere verlor seinen Posten.
Nach mehreren Jahren hatte sich dann eine agrarische Mischstruktur mit folgenden Säulen herausgebildet:
- einem genossenschaftlichen Sektor, der etwa 60 % der Landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) bewirtschaftet. Ein Teil davon besteht inzwischen aus agrarkapitalistischen Unternehmen;
- einem Sektor bäuerlicher Familienbetriebe, die auch als Wiedereinrichter bezeichnet werden. Das sind z. T. auf Spargel, Erdbeeren und andere Erzeugnisse spezialisierte Betriebe, aber auch Tierzüchter. Hinzu kommen sogenannte Reiterhöfe. Es gibt überdies Halter exotischer Tiere wie Wasserbüffel, Elche, Bisons, Damhirsche, Strauße und Rentiere;
- einem Bereich agrarwissenschaftlicher Institute, vorwiegend auf privater, aber auch auf staatlicher Basis;
- als Nischenproduzenten bezeichnete Halter kleiner Schaf-, Ziegen- oder Exotenbestände.
Die Finanzierung der Agrarproduktion erfolgt hauptsächlich durch private Geldinstitute und Genossenschaftsbanken. Eine staatliche Bauernbank, wie sie in der DDR bestand, gibt es nicht. Deutsche und internationale Landmaschinenkonzerne versorgen die ostdeutschen Agrarbetriebe mit modernen Landmaschinen und Geräten.
Hinzu kommt noch eine große Zahl von Firmen und Einrichtungen, die speziell für die Landwirtschaft arbeiten. Ohne all das ist heutzutage keine effektive Agrarproduktion mehr möglich. Vorstellungen, man könnte im Osten wieder zu relativ kleinen bäuerlichen Familienbetrieben zurückkehren, erwiesen sich unter den Bedingungen des hochentwickelten Kapitalismus der BRD als irreal.
Es gibt überdies auch vereinzelte Gruppen von Aussteigern, die sich zu gemeinschaftlichem Handeln zusammengetan haben. Das sind oftmals ganze Familien. Deren Marktleistung ist minimal, ihre Erzeugnisse sind eigentlich nur für den eigenen Bedarf bestimmt.
Wie sich zeigt, sichert allein eine moderne Agrarproduktion die Ernährung des Volkes.
Es sei mir noch eine Reminiszenz gestattet: Während früher über viele Einzelprobleme dieses Bereichs der Volkswirtschaft in den Sekretariaten der SED-Kreisleitungen beraten wurde und entsprechende Beschlüsse an die staatlichen Organe oder gesellschaftlichen Einrichtungen gingen, verhält es sich heute damit ganz anders. Akteure sind jetzt die in den jeweiligen Vertretungskörperschaften etablierten Parteien. Dabei hängt vieles vom lokalen und regionalen Kräfteverhältnis ab. Bei uns im Kreisparlament Herzberg/Elster – wir gehören zum Land Brandenburg – ist die CDU mit 19 Abgeordneten vertreten, während Die Linke und die SPD jeweils über neun Mandate verfügen. Außerdem gibt es weitere Gruppierungen. Wer in solchen Parlamenten Vorlagen zu Agrarfragen einbringt, muß versuchen, bei anderen Fraktionen Unterstützer zu finden.
Die Anforderungen an das Handeln der Landwirtschaft haben enorm zugenommen. Viele Institutionen beteiligen sich zwar an der Diskussion darüber, doch Lasten und Risiken tragen die einzelnen Akteure selbst. Ich weiß, wovon ich rede, habe ich doch zu DDR-Zeiten große Pflanzen- und Tierproduktionsbetriebe wie deren Wirkungsweise über lange Zeit kennengelernt. Wenn man so manchem Agrarkapitalisten freie Hand ließe, dann fehlte es gewiß nicht an Ungesetzlichkeiten und Verstößen gegen den Naturschutz. Je mehr Grund und Boden sie besitzen, desto heftiger werden die Ellenbogen eingesetzt. Die staatlichen Organe machen solchen Mitbürgern entweder keine Vorschriften oder halten sich bei der Kontrolle zurück.
Um noch mal auf unseren Kreis zurückzukommen. Da hatte z. B. die LPG Pflanzenproduktion Herzberg-West eine LN von rund 7000 Hektar. Nach 1990 organisierten sich auf dieser Fläche wiederum drei Genossenschaften. Das Land geriet also nicht in die Hände einzelner Agrarkapitalisten, sondern blieb Eigentum von Bauern.
Natürlich hat sich die Betriebs- und Eigentumsstruktur sehr verändert. Es gibt praktisch weder Klein- noch Mittel-, noch Großbauern.
In einer Ortschaft des Kreises wirtschaftet ein Wiedereinrichter. Der Hof umfaßt 138 Hektar LN. Im Stall des Rinderzüchters stehen 170 Tiere, davon 50 Mutterkühe. Pro Jahr werden 35 Stück Vieh geschlachtet und im eigenen Hofladen vermarktet.
Wir wissen, daß 138 Hektar LN früher als Großgrundbesitz galten und im Zuge der Bodenreform enteignet wurden. Die Grenze lag bei 100 Hektar. Heutzutage reicht diese Fläche gerade einmal aus, um einigermaßen gewinnbringend produzieren zu können. Die großen Agrarbetriebe mit Tausenden Hektar sind da bedeutend marktsicherer.
Der Wiedereinrichter des von mir erwähnten Hofes ist inzwischen aus Altersgründen abgetreten. Doch die Familie hat Glück: Der älteste Sohn trat die Nachfolge an. Der scheidende Bauer meinte: „Nach der Wende gab die Genossenschaft Stolzenhain Flächen zurück. Damit haben wir begonnen und dann aufgestockt. Wer sich nicht spezialisiert, um den Marktbedingungen gerecht zu werden, kann sich nicht behaupten.“
Noch funktioniert das geschilderte System der privaten bäuerlichen Familienbetriebe. Wenn aber die Treuhandnachfolgerin BVVG im Land Brandenburg Äcker und Wälder aus ihrem Bestand verkauft, wird es sogar für die großen Komplexe, die teilweise 2000 bis 3000 Hektar bearbeiten, sehr eng. Derzeit hat die BVVG in diesem Bundesland noch etwa 70 000 Hektar LN und rund 7000 Hektar Wald in Besitz. Bis 2025 will sie die derzeit verpachteten Flächen restlos veräußert haben.
Die Zukunft der Agrarbetriebe aller Typen ist in den „neuen Bundesländern“ also keineswegs rosig. Der Wind aus Brüssel und Berlin weht äußerst böig.
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