Hellmut Kapfenberger über das Verhältnis
beider deutscher Staaten zu Vietnam
Nicht Unterschiede,
sondern scharfe Kontraste
Der langjährige Korrespondent des ADN und des ND in Hanoi, Hellmut Kapfenberger, hat ein wertvolles Buch über die Geschichte der deutsch-vietnamesischen Beziehungen verfaßt, das unter dem etwas irritierenden Titel „Berlin – Bonn – Saigon – Hanoi“ im Verlag Wiljo Heinen erschienen ist. Nach einer Ho-Chi-Minh-Biographie hat der Autor seine zweite Vietnam gewidmete Publikation vorgelegt. Es handelt sich um den Rapport eines erfahrenen Journalisten, der Selbsterlebtes und Beobachtetes zu Papier brachte. Er war vor Ort, als die USA verkündeten, Vietnam „in die Steinzeit zurückzubomben“, als es den Sieg errang und dann erfolgreiche Schritte beim Neuaufbau unternahm.
Seine Darstellung der absolut konträren Positionen beider deutscher Staaten zu dem Geschehen in Südostasien ist von besonderem Gewicht. Die DDR war Teil jener Kräfte, welche von Beginn an auf seiten des vietnamesischen Volkes standen. Die BRD-Führung war Verbündeter der US-Aggressoren und des durch sie ausgehaltenen Saigoner Machtklüngels.
Das Buch enthält vieles, was nicht in Vergessenheit geraten darf. Dazu zählt die frühe Begegnung von Wilhelm Pieck und Ho Chi Minh, die Aufnahme staatlicher Beziehungen zwischen der DDR und der Demokratischen Republik Vietnam, das brüderliche Verhältnis beider zum Sozialismus strebender Staaten.
Als Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg seine Kolonialherrschaft in Indo-china zu erneuern versuchte und dafür auch unzählige Fremdenlegionäre – darunter viele deutsche – einsetzte, war es die DDR, die diese dazu aufforderte, die Seiten zu wechseln und in ihr Heimatland zurückzukehren. Damals wurden etliche von ihnen im Berliner Friedrichstadtpalast auf einem großen Meeting in Empfang genommen. Deutschen Sozialisten und Kommunisten, die aus der Fremdenlegion zu den vietnamesischen Befreiungskräften übergingen, setzt Hellmut Kapfenberger in der Person von Erwin Borchers ein Denkmal.
Die DDR unternahm alles in ihren Kräften Stehende und zuweilen auch mehr, um das vietnamesische Volk zu unterstützen. Die in Moritzburg und Dresden betreuten vietnamesischen Kinder symbolisieren das bis heute. Diese Solidaritätsaktionen gehören zu den historischen Leistungen der DDR, die man heute nur allzu gerne vergessen machen möchte. Die DDR erfüllte während des Krieges wie nach dem Sieg über die Aggressoren und der sozialistischen Vereinigung Vietnams ihre internationalistische Pflicht. Dazu zählten, wie Kapfenberger detailliert zu berichten weiß, die Entwicklung des Handels zum Vorteil beider Seiten, das Wirken im Gemeinsamen Wirtschaftsausschuß, die Errichtung von Betrieben und Werkstätten in Vietnam. Dabei wird auch die heute ebenfalls diffamierte Arbeitskräftekooperation ins rechte Licht gerückt.
Der Autor zeichnet ein bewegendes Bild der vielseitigen Beziehungen zwischen der DDR und Vietnam. Die im antifaschistischen und antikolonialen Kampf begründete Verbundenheit führender Repräsentanten beider Länder fand ihre Fortsetzung in der Zusammenarbeit der zwei Staaten. Das geschichtlich bedeutsame Treffen von Wilhelm Pieck und Ho Chi Minh, die sich 1957 in der DDR-Hauptstadt begegneten, ist unvergessen, auch wenn der Name des vietnamesischen Partei- und Staatsführers auf einem Ostberliner Straßenschild von den derzeitigen Siegern getilgt wurde.
Ausführlich berichtet Hellmut Kapfenberger über die von antiimperialistischen Kräften der BRD und Westberlins getragene Bewegung der Solidarität mit Vietnam, die machtvollen Demonstrationen von 1968 mit ihrem immer wieder skandierten Kampfruf „Ho, Ho, Ho Chi Minh“.
Andererseits stellt der Autor die politische Position der BRD-Führung in der Vietnam-Frage präzise dar. Adenauer bezeichnete die Aggressionstruppen Frankreichs in Vietnam und deren von Paris ins Feuer geschickte Fremdenlegionäre als „heldenhafte Verteidiger der freien Welt“. Die BRD unterstützte auch die 1964 beginnende US-Aggression gegen die DRV, die – ähnlich wie bei dem durch die SS in Szene gesetzten „Anschlag auf den Reichssender Gleiwitz“ – mit einer Lüge begonnen hatte: dem angeblichen „Zwischenfall im Golf von Tonking“. Damit wurde die Bombardierung von Zielen in Nordvietnam „begründet“. Bis fünf nach zwölf hielt Bonn an seinen diplomatischen Beziehungen mit dem bereits besiegten Saigoner Regime fest.
Kapfenbergers Buch enthält exakte Informationen über die Beteiligung von BRD-Unternehmen am Einsatz von Agent Orange, dessen furchtbare Folgen für Mensch und Natur auch heute noch vielerorts in Vietnam spürbar sind. Selbst Gedankenspiele über eine direkte militärische Beteiligung der BRD werden dokumentiert.
Die nicht nur unterschiedliche, sondern diametral entgegengesetzte Haltung beider deutscher Staaten wird den Lesern eindrucksvoll vor Augen geführt. Dieser Kontrast – so Kapfenberger – ist auch heute in Vietnam nicht vergessen. Tausende Bürger des südostasiatischen Staates, die sich in der DDR zur Ausbildung, im Rahmen der Arbeitskräftekooperation, zur medizinischen Behandlung oder zum Erfahrungsaustausch befanden, haben deren solidarische Haltung in guter Erinnerung. Andererseits erwiesen sich auch Spezialisten, Dienstreisende und Besucher aus der DDR in Vietnam als würdige Vertreter des sozialistischen deutschen Staates. So ist die mutige Haltung der Seeleute des MS Halberstadt, das in Haiphong bei einem US-Bombenbangriff schwer beschädigt wurde, ebenso unvergessen wie das besondere Engagement von DDR-Forstfachleuten.
Es ist nicht nur eine sprachliche Nuance, wenn die BRD-Regierung in üblicher Vereinnahmungsmanier 2010 vom „35. Jahrestag der Beziehungen zwischen Deutschland und Vietnam“ sprach, während in Hanoi korrekt vom „35. Jahrestag der diplomatischen Beziehungen zwischen der SRV und der BRD“ die Rede war.
Dazu, daß die Leistung und das Vermächtnis der DDR ebensowenig in Vergessenheit geraten wie der heldenhafte und siegreiche Kampf des vietnamesischen Volkes, hat Hellmut Kapfenbergers Buch einen wertvollen Beitrag geleistet.
Unser Autor war von 1971 bis 1974 als Diplomat in der DDR-Botschaft in Hanoi tätig.
Hellmut Kapfenberger:
Berlin, Bonn, Saigon, Hanoi
Zur Geschichte der deutsch-vietnamesischen Beziehungen
Verlag Wiljo Heinen, 2013, 510 S., zahlreiche Fotos
19,80 €
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