RotFuchs 194 – März 2014

Zum Charakter und zur Rolle
der Europäischen Linkspartei

Nichts für Marxisten

Tibor Zenker

Die 2004 ins Leben gerufene „Partei der Europäischen Linken“ (EL) ist in den kommunistischen und Arbeiterparteien Europas und darüber hinaus umstritten – und dies nicht gerade zu Unrecht. Anlaß zu Kritik geben organisatorisch-strukturelle, inhaltlich-ideologische sowie strategische Belange, wobei zwischen diesen ein Zusammenhang besteht.

Die EL ist eine „europäische“, d. h. eine EU-Partei, die sich gemäß der „Verordnung Nr. 2004/2003 des EU-Parlaments und des Rates von 4. November 2003 über die Regelungen für politische Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung“ gebildet hat. Das bedeutet, „sie beachtet insbesondere in ihrem Programm und in ihrer Tätigkeit die Grundsätze, auf denen die Europäische Union beruht“ (Artikel 3c). Ähnlich ist es mit der Finanzierung: Die EU-Parteien erhalten Mittel aus dem EU-Gesamthaushaltsplan, wenn sie einen entsprechenden Antrag stellen und dieser bewilligt wird. Hierbei werden das politische Programm und die Satzung nach diesen und weiteren juristischen und finanztransparenten Kriterien begutachtet. Kurzum: Die EL unterwirft sich dem Regelwerk und der grundsätzlichen Ausrichtung der EU und hat sich dazu zu bekennen, andernfalls verliert sie ihren Status als EU-Partei und/oder die finanziellen Zuwendungen der EU, die rund 75 Prozent des EL-Budgets ausmachen.

Es drängt sich die Frage auf, wie „alternativ“ und „kritisch“ die EL sein darf, wenn ihre Tätigkeit und Existenz direkt von der EU bezahlt werden. Tatsache ist, daß die EU mit der Verordnung einen Rahmen – besser wohl ein Korsett – geschaffen hat, mit dem sie hörige Parteien erhält, die gegen den politischen und ökonomischen Status quo nicht ernstlich aufbegehren (können), schon gar nicht gegen das EU-System, sind doch diese Parteien selbst dessen integraler Bestandteil. Die EU hält sich konservative, liberale, grüne und sozialdemokratische Regierungsparteien – staats- und EU-tragend, außerdem rechte und rechtsextreme Parteien, die als Speerspitzen des Monopolkapitals agieren und gleichzeitig die (durchaus berechtigte) EU-Kritik auffangen sollen, sowie eine loyale „Links“-Opposition, die im Krisenfall auch regierungstauglich werden, den vorgegebenen Rahmen aber natürlich nicht verlassen kann.

Eine solche Scheinopposition, die wohl ein bißchen moralisieren darf, ansonsten aber handzahm zu bleiben hat, ist nutzlos! Der soziale Protest, der Widerstand gegen die EU und den Imperialismus, aufkeimende Klassenkämpfe oder gar revolutionäre Intentionen sollen damit im Sinne der EU domestiziert werden. Insofern ist die EL eine Absicherung für den Fall, daß die alte Sozialdemokratie (wie gegenwärtig in Griechenland) endlich so weit zusammenbricht, wie es ihr gebührt – die neue Sozialdemokratie der EL steht als Auffangbecken für die Wähler schon bereit.

Die EL kann unter diesen Bedingungen gar nichts anderes als Reformismus und Illusionen anbieten. Beides beinhalteten die maßgeblichen nationalen Gründungsparteien der EL – die italienische Rifundazione oder die deutsche PDS, heute „Die Linke“ natürlich schon von vornherein, während auf kommunistische Parteien, die zu dieser Formation stoßen, die EL-Programmatik rückwirkend Einfluß haben soll: Marxismus (von Leninismus gar nicht zu reden), Klassenkampf und Antiimperialismus, das Bekenntnis zu den positiven Errungenschaften des „Frühsozialismus“ in der UdSSR und Europa, die konsequente Solidarität mit Kuba sowie das Ziel der sozialistischen Revolution haben in der EL keinen Platz und sind dort auch unerwünscht.

Bislang hat sich dieser im Kern geradezu antikommunistischen Dogmatik und Repression der EL nur eine Partei wieder entzogen, nämlich die seinerzeitige Ungarische Kommunistische Arbeiterpartei, die 2009 aus der EL ausgetreten ist: Sie hatte das Rückgrat, ihre langsame Entwaffnung umzukehren; sie lehnte es ab, daß seitens der EL die sozialistische Vergangenheit Ungarns und anderer Länder mit dem bürgerlichen Kampfbegriff des „Stalinismus“ diffamiert wird, und sie wollte sich auch das Werkzeug des Marxismus-Leninismus nicht von der EL aus den Händen schlagen lassen. Seither gibt es auch in anderen EL-Mitglieds- oder Beobachterparteien unüberhörbare Stimmen, welche die Verortung ihrer Parteien überdenken möchten.

Zurück zur EL-Programmatik. Daß die Grundsätze einer revolutionären Partei und erst recht natürlich etwaige Wahlprogramme auch immer Übergangsforderungen und Reformziele definieren, versteht sich von selbst und ist auch richtig so. Ebenso richtig ist es für eine revolutionäre Partei, sich zu Bündnissen mit anderen Parteien, Organisationen und Bewegungen zu bekennen. Aber beides kann nicht zum Selbstzweck und schon gar nicht zum alleinigen Selbstverständnis werden. Reformziele und Bündnispolitik müssen immer in eine revolutionäre Gesamtstrategie eingebettet sein. Bei der EL ist das freilich nicht der Fall: Es handelt sich um bloßen Reformismus, der behelfsmäßig mit der nebulösen Forderung nach einer „solidarischen Gesellschaft“ überdacht wird. In ihr soll die Logik des Kapitalismus auf irgendeine Weise durchbrochen sein. Erreicht wird dies mit „demokratischen Mitteln“ (des bürgerlichen Staates) und auf „transformatorischem“ Wege. Die ideologische Beliebigkeit als angeblicher „Pluralismus“ ist nichts als eine Entideologisierung, und diese soll die EL-Parteien zudem zu gern gesehenen Mosaiksteinchen irgendwelcher herbeiphantasierter „bunter Bewegungen“ machen oder sie selbst zu einer „Bewegung der Bewegungen“, wobei die Arbeiterbewegung, wenn überhaupt, da nur am Rande eine Rolle spielen darf.

Ein solcher Platz, wie ihn die EL ausfüllt, ist gewiß nicht der einer kommunistischen Partei, sofern sie ihren Namen nicht nur als bloßes Etikett ohne Inhaltsgewähr betrachtet.

Kommunistische Parteien, die ihren Namen verdienen und ihn mit Stolz, Aufrichtigkeit und Zuversicht tragen, die sich zur Arbeiterklasse, zum Klassenkampf, zur Revolution, zum Sozialismus und wahrlich nicht zuletzt zur Ablehnung der EU als imperialistisches Bündnis bekennen, sind in der EL oder an deren Rand nicht gut aufgehoben.

Der Autor ist stellvertretender Vorsitzender der neugegründeten Partei der Arbeit Österreichs.

Gekürzt aus „Theorie & Praxis“, München