Warum es sich lohnt,
die marxistischen Klassiker zu Rate zu ziehen
Nichts ist praktischer als eine gute Theorie
Im Augustheft des RF erschien ein Beitrag unter der Überschrift „Schwarzbrot für Rindermägen“. Auch ich möchte dazu meine Meinung sagen.
Der „RotFuchs“ stellt sich ja nicht zuletzt die Aufgabe, die theoretische Debatte für einen neuen Anlauf zum Sozialismus zu unterstützen. Sie muß zur Aufarbeitung unserer Geschichte und zur konkreten Analyse der Klassenkampfsituation beitragen und auf Erkenntnissen des von Marx und Engels begründeten, durch Lenin weiterentwickelten wissenschaftlichen Sozialismus beruhen. Diesem Anspruch wird der Beitrag „Schwarzbrot für den Rindermägen“ im Augustheft aus meiner Sicht nicht gerecht. Der Autor hat eine Reihe von Einzelaspekten und Einzeltatsachen dargestellt und kritisiert. Schließlich kommt er zu dem Schluß: Die von ihm für notwendig gehaltenen Änderungen der ökonomischen Politik der DDR seien unterblieben, weil die Führung befürchtete, „daß dabei Probleme auftreten würden, die zeitweilig zu Spannungen führen könnten“, zumal die westlichen Medien daraus einen Propagandaschlager ersten Ranges gemacht hätten.
Ich kenne aus meiner praktischen Arbeit in der LPG die vom Autor angeführten Fakten, komme aber zu anderen Ergebnissen.
Die Preispolitik der DDR war ein Teil ihrer Planwirtschaft. Ihr lag ein strategisches, theoretisches Konzept zugrunde. Friedrich Engels schreibt dazu: „Die ökonomischen Verhältnisse einer gegebenen Gesellschaft stellen sich zunächst dar als Interessen.“ (MEW, Bd. 18, S. 274).
Preise sollten im Sozialismus drei Funktionen erfüllen:
- Eine Bewertungsfunktion: Die Betriebe sollten mit den Einkaufspreisen und den Kostenrechnungsprinzipien den Aufwand für ihre wirtschaftliche Tätigkeit bestimmen und auf dessen Senkung Einfluß nehmen.
- Eine Stimulierungsfunktion: Durch die Gegenüberstellung von Erlösen aus den Erzeugerpreisen und den Produktionskosten ergab sich der betriebliche Gewinn. Da vielfältige Regelungen für die Werktätigen mit dem Gewinn verbunden waren – nicht zuletzt die Jahresprämien – wurden sie motiviert, einen möglichst großen Beitrag für einen hohen Betriebsgewinn zu erbringen.
- Eine Umverteilungsfunktion: Die Differenz zwischen den Erzeugerpreisen und den Verbraucherpreisen wurde über den Staatshaushalt verrechnet. Diese Umverteilungsfunktion war eines der Instrumente, um die sozialistischen gesellschaftlichen Interessen mit den persönlichen Interessen (außerhalb der Produktionssphäre) in Übereinstimmung zu bringen. Dabei hatte die „zweite Lohntüte“ des DDR-Bürgers eine wichtige Funktion bei der Herausbildung einer sozialistischen Bedürfnisstruktur. Es war z. B. zu entscheiden, was ein Auto, eine Theaterkarte oder das Studium kosten sollten. Es galt den Grundsatz zu verwirklichen: Die Übereinstimmung von persönlichen und gesellschaftlichen Interessen sind die Haupttriebkraft beim Aufbau des Sozialismus.
Ich selbst könnte tausend Beispiele aufzählen, wie die Einheit der Preise in der Praxis auf Schwierigkeiten stieß. Dabei war noch gar nicht von Delikat-, Exquisit- und Intershopläden die Rede. Jeder kennt auch Geschichten von Korruption, Unterschlagung und „blauen Fliesen“.
Doch was ergibt sich daraus?
- „Die sogenannte, sozialistische Gesellschaft’ ist nach meiner Ansicht nicht ein ein für allemal fertiges Ding, sondern, wie alle andern Gesellschaftszustände, als in fortwährender Veränderung und Umbildung begriffen zu fassen.“ (Friedrich Engels in MEW, Bd. 37, S. 447) Die „Übergangsetappen zur kommunistischen Gesellschaft … das ist der schwierigste Stoff, den es gibt, weil die Bedingungen sich in einem fort ändern.“ (MEW, Bd. 38, S. 128)
- Konkrete Fakten können deshalb nur dann richtig interpretiert werden, wenn sie in den historischen Prozeß mit all seinen konkreten Bedingungen, Windungen, Zufälligkeiten, dem Entwicklungstand des Bewußtseins der Massen und ihrer politischen Führer eingeordnet werden. Denn es gilt: „Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben (wird). Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt.“ (MEW, Bd. 3, S. 35)
In der Landwirtschaft läßt sich das an der Entwicklung der staatlichen Aufkaufpreise für die „Pflichtablieferung“, die „freien Spitzen“ bis hin zu den Preisen zwischen den landwirtschaftlichen Kooperationspartnern und der Verarbeitungsindustrie anschaulich zeigen. Beim theoretischen Herangehen an das Preisproblem ist außerdem zu beachten: „Der Wert (der seinen Ausdruck im Preis findet – d. Autor) ist ein Verhältnis zwischen Personen, … ein unter dinglicher Hülle verstecktes Verhältnis. Nur vom Standpunkt des Systems der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse einer bestimmten historischen Gesellschaftsformation, … kann man begreifen, was der Wert ist“, stellte Lenin fest. (LW, Bd. 21, S. 49)
Unbestritten: Das Preissystem der DDR war unvollkommen , und die beabsichtigten Wirkungen wurden nicht immer erreicht. Es entsprach einem konkreten Entwicklungstand der „historischen Gesellschaftsformation“. Notwendig ist, diesen Entwicklungsstand genau im Blick zu haben und zu überlegen, in welcher Richtung sich die sozialistischen Produktionsverhältnisse entwickeln und wie deshalb das Preissystem vervollkommnet werden muß.
Häufig gibt es Streit über das Tempo gesellschaftlicher Veränderungen. Dem einen geht es zu langsam, dem anderen zu schnell. Von Zu-früh- und Zu-spät-Kommen ist die Rede. Doch „auch wenn eine Gesellschaft dem Naturgesetz ihrer Bewegung auf die Spur gekommen ist …; kann sie naturgemäße Entwicklungsphasen weder überspringen noch wegdekretieren. Aber sie kann die Geburtswehen abkürzen und mildern.“ (MEW, Bd. 23, S. 15/16)
Eine Debatte über das Preissystem sollte auch Überlegungen einschließen, wie die im Kapitalismus deformierten Konsumentenbedürfnisse zu verändern sind, damit alle Menschen sich verwirklichen können, die Erde aber noch bewohnbar bleibt.
Bei Debatten über ökonomische Probleme besteht die Gefahr, „ökonomistisch“ vorzugehen – gesellschaftliche Probleme mit betriebswirtschaftlichen Augen zu betrachten. „Die politische Ökonomie befaßt sich keineswegs mit der ,Produktion‘, sondern mit den gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen in der Produktion, mit der gesellschaftlichen Struktur der Produktion.“ (LW, Bd. 3, S. 51). Die Quintessenz dieser Überlegungen lautet: „Die historische Theorie von Marx ist nach meiner Meinung die Grundbedingung jeder zusammenhängenden und konsequenten revolutionären Taktik; um diese Taktik zu finden, braucht man nur die Theorie auf die ökonomischen und politischen Verhältnisse des betreffenden Landes anzuwenden.“(MEW, Bd. 36, S. 304) Oder wie Lenin es formuliert: „Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben.“ (LW, Bd. 5, S. 379)
Außerdem gilt: „Die Theorie wird in einem Volke immer nur so weit verwirklicht, als sie die Verwirklichung seiner Bedürfnisse ist … Es genügt nicht, daß der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muß sich selbst zum Gedanken drängen.“ (MEW, Bd. 1, S. 386) Ausgerüstet mit einer fundierten marxistisch-leninistischen Theorie muß eine massenverbundene Arbeiterpartei die Hand am Puls der Gesellschaft haben, um jenes Hauptkettenglied zu bestimmen, das es zu ergreifen gilt, um das alte System aus den Angeln zu heben und im Sozialismus/Kommunismus die nächste Entwicklungsetappe einzuleiten.
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