Wie der „Bluthund“ im März 1919
Berliner Arbeiter massakrieren ließ
Noskes zweiter Amoklauf
Die Berliner „Mission“ Gustav Noskes war im Januar 1919 noch nicht beendet. Im März befahl der rechte Sozialdemokrat, der sich selbst als „Bluthund“ bezeichnet hatte, erneut den Einsatz der Armee.
Seit Ende Februar hatten Proletarier von Berliner Großbetrieben die Unterstützung des Generalstreiks ihrer mitteldeutschen Klassengenossen verlangt, welche die Enteignung der Konzerne und die Erweiterung der Rechte der Arbeiter- und Soldatenräte erreichen wollten. Deren Berliner Vollzugsrat zögerte jedoch einen Beschluß dazu immer wieder hinaus.
Am 3. März 1919 rief die KPD zum Generalstreik auf, warnte aber zugleich davor, sich zu bewaffneten Auseinandersetzungen provozieren zu lassen. Sie forderte die Wahl von Betriebsräten in sämtlichen Unternehmen, ein Ende der Willkürherrschaft der Soldateska, die volle Herstellung des Vereins- und Versammlungsrechts, die Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit, die Auflösung der Freikorps, die Bildung einer revolutionären Arbeiterwehr, die Freilassung sämtlicher politischer Gefangenen und die sofortige Aufnahme von Beziehungen zu Sowjetrußland.
Am Morgen des 3. März 1919 begann der Streik. Schon am Nachmittag beschloß die Versammlung der Großberliner Arbeiter- und Soldatenräte mit etwa 400 Stimmen, darunter jenen vieler Sozialdemokraten, bei etwa 120 Gegenstimmen und 200 Enthaltungen den Generalstreik. Die preußische Regierung verhängte daraufhin den Belagerungszustand und übertrug Reichswehrminister Gustav Noske die vollziehende Gewalt. Der SPD-Parteibuchträger erließ sofort Haftbefehle gegen sämtliche Mitglieder der Zentrale der KPD. Noch am Abend des gleichen Tages wurden auf seinen Befehl die Redaktionsräume der „Roten Fahne“ demoliert, die Druckerei der Zeitung wurde gesperrt. Schon in der Nacht zum 4. März verhaftete man mehr als 120 kommunistische Funktionäre.
In den Morgenstunden begann in Berlin der Einmarsch von über 30 000 Mann Noske-Truppen. Es kam zu ersten Gefechten mit Teilen der Republikanischen Soldatenwehr, der seit Januar 1919 auch die Reste der Volksmarinedivision unterstellt waren. Die Noske-Leute hatten Provokateure engagiert, die von der Soldatenwehr angegriffen wurden, als sie am Alexanderplatz plünderten und mehrere Polizeiwachen überrumpelten. Bei dieser handelte es sich um keine bewaffnete Formation der Kommunisten. Sie war vielmehr im November 1918 im Auftrag des Parteivorstandes der SPD durch den Stadtkommandanten Otto Wels gegründet worden. Sowohl die KPD als auch die USPD distanzierten sich von den Gewalttätigkeiten. Doch die bewaffneten Kämpfe waren nicht mehr aufzuhalten. Noske wurde so der gewünschte Vorwand geliefert, die Republikanische Soldatenwehr mit Waffengewalt auszuschalten.
Am 4. März legte der Generalstreik Produktion und Verkehr nahezu lahm. In der Nacht zum 5. März besetzten Angehörige des Freikorps Lüttwitz das Polizeipräsidium am Alexanderplatz. Bald darauf schossen diese von dort aus mit Maschinengewehren auf Einheiten der Republikanischen Soldatenwehr. Diese glaubten, es handle sich um aufgescheuchte Plünderer, und feuerten zurück. Als der Abteilungsführer der Soldatenwehr Rudolf Klöppel im Polizeipräsidium vermitteln wollte, wurde er abgewiesen und beim Verlassen des Gebäudes hinterrücks ermordet. Gleichzeitig flog aus der Kaserne der berittenen Polizei eine Handgranate in ein vollbesetztes Lastauto der Republikanischen Soldatenwehr. Sie brachte darauf ein Geschütz in Stellung und wollte das von Lüttwitz-Truppen besetzte Polizeipräsidium aus U-Bahn-Schächten heraus stürmen. Doch die schlecht geführten Truppen erlitten schwere Verluste. Die Noske-Leute ließen im Hof des Polizeipräsidiums Artillerie auffahren, deren Salven vorwiegend Arbeiterhäuser trafen. Aus sicherer Entfernung abgefeuert, durchschlugen zentnerschwere Geschosse die U-Bahn-Decke, Flugzeuge bombardierten u. a. das Marinehaus am Märkischen Ufer.
Erbittert über das brutale Vorgehen der von Noske eingesetzten Freikorps-Verbände beschloß die Vollversammlung der Arbeiter- und Soldatenräte, den Streik auf die Gas-, Wasser und Elektrizitätsbetriebe auszudehnen. Die SPD und die Freien Gewerkschaften zogen sich daraufhin aus der Einheitsfront der Streikenden zurück. Am 8. März brach dann auch die USPD den Ausstand ab. Reste der Soldatenwehr – einige Hundert Mann, darunter Matrosen und zu ihnen gestoßene Arbeiter – setzten den bewaffneten Widerstand gegen die Freikorps im Stadtteil Lichtenberg fort.
Noskes von Oberst Reinhard befehligte Truppen traten nun zum Angriff an, um die östlichen und nördlichen Arbeiterviertel zu besetzen und die Reste der „unzuverlässigen“ Berliner Standorttruppen, die im November an der Revolution beteiligt gewesen waren, zu entwaffnen. Eine schreckliche Mordtat geschah, als sich Angehörige der Volksmarinedivision unbewaffnet in einem Bürohaus der Innenstadt einfanden, um Entlassungspapiere und Abschlußlöhnung entgegenzunehmen. Dreißig von ihnen wurden grundlos herausgegriffen, in den Hof geführt, an die Mauer gestellt und erschossen. Sie waren aber nur ein Bruchteil der in Berlin Ermordeten. Noske schätzte deren Zahl selbst auf 1200. Er hatte den Befehl erteilt: „Jede Person, die mit Waffen in der Hand gegen Regierungstruppen kämpfend angetroffen wird, ist sofort zu erschießen.“
Anlaß für diesen folgenschweren Befehl vom 9. März sollte ein Massenmord gewesen sein, den Spartakisten angeblich tags zuvor in Lichtenberg verübt hatten. Über 150 Offiziere, Mannschaften und Beamte des Polizeipräsidiums, darunter auch Frauen, seien von den „Roten“ nach dessen Erstürmung und der Einnahme des Hauptpostamtes erschossen worden, meldeten die „Vossische Zeitung“, das „Berliner Tageblatt“, die „BZ am Mittag“ und der sozialdemokratische „Vorwärts“ unisono.
Nur drei Tage später brachte die „Vossische“ folgendes Dementi: „Nach den uns heute vorliegenden Feststellungen sind wir verpflichtet zu erklären, daß sich alle Nachrichten über die Massenerschießung von Schutzleuten und Kriminalbeamten bei der Eroberung des Lichtenberger Polizeipräsidiums als unwahr erwiesen haben. … Solche Gefangenenmorde können zunächst überhaupt nicht als einwandfrei festgestellt gelten. Daß aber dieser Anschein erweckt wurde, ist das schwere politische Vergehen der vorliegenden Berichterstattung über die Vorgänge in Lichtenberg.“
Noske störte die Richtigstellung nicht. Das Standrecht blieb weiter in Kraft. Die Kämpfe in Berlin endeten am 12. März mit der Einnahme Lichtenbergs. Tags darauf konnte Noske der Nationalversammlung in Weimar melden: „Es herrscht wieder Ruhe und Ordnung in Berlin.“
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