RotFuchs 215 – Dezember 2015

Wie die „westliche Wertegemeinschaft“
mit den Flüchtlingsströmen verfährt

Nützlichkeitsrassismus heißt die Devise

Prof. Dr. Georg Grasnick

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hielt der USA-Imperialismus die Zeit für gekommen, seinen Anspruch auf globale Dominanz mit Neuordnung und Neuauf­teilung der Welt durchzusetzen. Zunächst wurde die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien (SFRJ) zerlegt. US-Präsident Bill Clinton meinte damals, kleine Staaten seien eher beherrschbar. Die BRD beteiligte sich am Überfall auf Rest-Jugo­slawien ebenso wie an dem seit 14 Jahren um geostrategische Interessen der USA und der NATO geführten Krieg in Afghanistan. Kanzlerin Merkel begeisterte sich seinerzeit für die Erklärung ihres Kriegsministers Struck, Deutschlands Sicherheit werde „am Hindukusch verteidigt“. Seit dem USA-Überfall vor 12 Jahren ist auch Irak Kriegsgebiet. BND-Experten übermittelten anfangs aus dem überfallenen Land Zielvorgaben für Luftschläge. Frau Merkel, damals noch Oppositionsführerin, bedauerte, daß die Bundeswehr nicht direkt zum Einsatz komme. Beim Krieg gegen Libyen saßen Bundeswehrexperten im NATO-Leitzentrum bei Neapel, um Ziele für US-Kampfmaschinen auszuwählen. Bei dem seit vier Jahren andauernden „Schreddern“ Syriens sind BND-Spezialisten vor der Küste des Landes im Einsatz, um den für einen „Regimewechsel“ ausgewählten Gegnern des legitimen Präsidenten Assad Informationen über Bewegungen und Ausrüstung der Regierungstruppen zu übermitteln.

Karikatur:
Amelie Holtfreter-Glienke

Die BRD ist Drehscheibe für den US-Drohnenkrieg. Ihre Rüstungsschmieden haben bei der Destabilisierung weiter Regionen des Nahen und des Mittleren Ostens im wörtlichen Sinne ein Bombengeschäft eingefahren. Bevorzugte Bezieher von Waffen und Waffensystemen aus der BRD in Krisengebieten waren Saudi-Arabien, mehrere Golfstaaten und die Türkei, welche zu den vorrangigen Förderern der IS-Terroristen von Beginn an gehören.

Mit der von den USA betriebenen „Neuordnung der Welt“ wurden chaotische Zustände in den am ärgsten betroffenen Staaten geschaffen. Millionen Menschen haben ihre Heimatländer verlassen, wobei die meisten von ihnen, nämlich die Ärmsten der Armen, in Lagern der Türkei, des Libanon und Jordaniens vegetieren.

Eine zum Teil materiell bessergestellte „Vorhut“ dieser Millionen hat inzwischen EU-Europa erreicht und dieses vor eine Jahrhundert-Herausforderung gestellt.

Die Dublin-Verordnung, nach der für den Asylantrag eines Migranten der Mitglieds­staat zuständig sei, „über den er nachweislich eingereist ist“, reicht den BRD-Grals­hütern der Menschenrechte jedoch nicht. Nach dieser Regelung waren Italien und Griechenland als zunächst für die Flüchtlingsankunft ausersehene Staaten total überfordert. Mit den Dimensionen des Zustroms hatten weder Brüssel noch Berlin gerechnet. Kanzlerin Merkel klagte anfangs, die BRD sei über die Entwicklung „sehr betroffen“. Doch ihr Innenminister de Maizière wußte Rat. Die Asylpolitik müsse weiter verschärft, und die Grenzen müßten durch Wiedereinführung strikter Kontrollen abgeschottet werden. Überdies bleibe der BRD immer noch die Möglichkeit, einen verliehenen Flüchtlingsstatus nach drei Jahren wieder aufzuheben.

Inzwischen soll es die Europäische Unions-Marinestreitkraft Mittelmeer (EUNavForMed) richten. Kriegsschiffe, Satelliten und Drohnen sind im Einsatz, um bisherige Hauptfluchtwege zu kappen, neue Fluchtrouten festzustellen und Schlepperbanden zu attackieren. Sogar reguläre Militäroperationen auf libyschem Territorium sind beabsichtigt. Die Bundesmarine ist mit zwei Schiffseinheiten und 1000 Mann beteiligt.

Einzelne Mitgliedsstaaten der Friedensnobelpreisträgerin EU, die sich im Lissabon-Vertrag als „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen“ feiert, hatten dem übermäßigen Flüchtlingsstrom eine spezielle Willkommenskultur zugedacht. Durch Beschluß des G-7-Gipfels von Elmau angefeuert, „strukturelle Grenzzonen und -anlagen“ zu schaffen, errichteten Ungarn, Spanien, Griechenland und Bulgarien zur Flüchtlingsabwehr Metallzäune und Stacheldrahtverhaue an ihren Grenzen.

Als die zur „Mama Merkel“, „Mutter Theresa“ und zur „Heiligen Johanna von Arabien“ avancierte Bundeskanzlerin erklärte, das EU-Tor sei „offen“ und hinzufügte, „Wir schaffen das“, traten die Widersprüche in der Berliner Koalition noch heftiger zutage. Durch neue Gesetze will man inzwischen „mit mehr Konsequenz gegen chancenlose Asylbewerber vorgehen“. Außer der pausenlos strapazierten Lüge von den „sicheren Herkunftsländern“, deren Bürger pauschal zurückgewiesen werden, betrachtet man auch die in primitiven Zeltlagern der Türkei, Jordaniens und des Libanon zusammen­gepferchten Armutsflüchtlinge als besonderes Ziel von Maßnahmen, die deren Aufbruch nach Norden verhindern sollen. Das Vorgehen an den BRD-Außengrenzen wird durch Schritte im Innern untersetzt. So lehnten die Behörden in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres fast 94 000 Asylanträge – etwa 60 % der einge­reichten – als „offensichtlich unbegründet“ ab. Einen besonderen Coup landete Merkels Innenminister, als er dem Chef der Bundesagentur für Arbeit überdies auch noch die Leitung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge „anvertraute“. Der ist in der „Auslese von Humankapital“ ja besonders erfahren. Bei seiner zweiten Behörde wird zwischen „schlecht und gut integrierbaren Flüchtlingen“ unterschieden. Bei der zweiten Kategorie handelt es sich um Personen, die „hervorragend in die deutsche Wirtschaftslandschaft passen“.

Die Landesregierungen von Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Sachsen-Anhalt haben inzwischen signalisiert, sie wollten nur solche Flüchtlinge aufnehmen, die „wirtschaftlich nützlich“ seien.

„Fachkräfte werden zunehmend rar“, schrieb „Der Spiegel“. „Beständig steigt die Zahl der offenen Stellen. Im Juli waren es nahezu 600 000.“ Konfliktforscher Zick vom Rat für Migration kommentierte diese Praxis mit den Worten: „Das ist Sklavenmarkt­mentalität.“ Wiederholt war auch von „Nützlichkeitsrassismus“ die Rede. Im Flüchtlingsdrama führt sich die „westliche Wertegemeinschaft“ selbst vor. Sie offenbart ihren menschenfeindlichen, allein auf Profit und Macht ausgerichteten Charakter. Der portugiesische UN-Flüchtlingskommissar António Guterres beklagt: „Es ist erschreckend, daß diejenigen, welche Konflikte beginnen, mehr und mehr straffrei davonkommen.“