RotFuchs 196 – Mai 2014

Was eine siebenfache Mutter bedenken sollte

Offener Brief an Ursula von der Leyen

Günther Trummer

Frauen, besonders Mütter, gar Mütter mit mehreren Kindern, werden weltweit als Symbol des Friedens, der Sicherheit und der Geborgenheit wahrgenommen. So stieß es bei vielen Menschen auf Verwunderung, auch Ablehnung, daß die neue Koalitionsregierung eine Frau und Ärztin für das Verteidigungsministerium als Chefin verpflichtete. Nebenbei: Es ruft Skepsis hervor, wenn ein Politiker für alle Ministerien geeignet erscheint und Fachkenntnisse offenbar überflüssig sind. Am Dilettantismus, mit dem wir häufig regiert werden, zeigt sich das. So hätten Sie sowohl als Ministerin für Familie oder auch als Ministerin für Arbeit und Soziales dazu beitragen können, daß Art. 3 (1) (3) GG endlich durchgesetzt wird. Nach Ihrem Amtseid sind Sie sogar dazu verpflichtet. Ihren Vorstellungen entsprechend soll ja die Rentenangleichung Ost/West im Jahre 2020 vollzogen sein. Ich bin dann 90 wie Ihr Vater! Krebsoperiert und mit einer schweren Herzinsuffizienz belastet, stehen die Chancen also gut für Sie, meine und die Rente vieler anderer Bezieher im Osten einzusparen. Unsere derzeitigen und ehemaligen Spitzenpolitiker erhalten hingegen eine fulminante Altersvorsorge, ohne je einen Cent dafür eingezahlt zu haben. Das ist schlechthin skandalös!

Doch zurück zu Ihrer jetzigen Tätigkeit. Sie wollen die Bundeswehr familienfreundlicher machen, Versetzungen einschränken, lange An- und Abfahrtswege sowie Pendelstrecken reduzieren … Im übernächsten Satz kündigen Sie verstärkte Auslandseinsätze an. Die Bundeswehr müsse dort eingreifen, wo Mord und Terror herrschten. Wer aber beurteilt das? Wie Ihre Vorgänger wollen auch Sie aus den Soldaten der Bundeswehr, den „Bürgern in Uniform“, bezahlte Söldner machen. Sie provozieren die Tatsache, daß deutsche Soldaten in fremden Ländern und auf fremden Kontinenten Zivilisten töten, auch kleine Kinder von siebenfachen Müttern, sowie selbst getötet werden oder schwer traumatisiert nach Hause kommen.

Ich habe den 2. Weltkrieg noch unmittelbar erlebt. Beide Großmütter sind bei Bombenangriffen ums Leben gekommen, der Bruder meiner Frau ist am Ladogasee bei der Belagerung Leningrads durch die Faschisten gefallen. Er war 20. Mein Vater ist wegen Dystrophie II vorzeitig aus der Gefangenschaft entlassen worden, viele meiner näheren Verwandten wurden in Dresden und Chemnitz zum Teil total ausgebombt. Das Kind unserer Nachbarn verblutete auf der Straße, Tiefflieger hatten ihm die Beine abgeschossen, regelrecht abgetrennt; im Straßengraben lag ein ganz junger Soldat, ihm quollen die Därme aus dem Bauch, er brüllte wie ein Tier, dann wimmerte er nur noch –daraufhin trat Ruhe ein – für den jungen Soldaten endgültig.

Weit über 50 Millionen Tote im 2. Weltkrieg, also etwa die gesamte Bevölkerung Großbritanniens oder Frankreichs – reicht das noch nicht? Krieg löst keine Probleme, er schafft nur immer wieder neue; er kennt keine Sieger, nur Verlierer, bis auf wenige Kriegsgewinnler. Und das ist schändlich! Daher wohl auch der Begriff „Verteidigungsministerium“. Sie verteidigen die Maximalprofite der Rüstungsindustrie und die Dividenden ihrer Aktionäre! Die Tatsache, daß Deutschland den dritten Platz in der weltweiten Rangfolge beim Export von Waffen und Kriegsgerät einnimmt, ist bezeichnend. Nun beziehen Sie sich auch noch auf Afrika! Die derzeit zum Teil chaotischen Zustände in manchem afrikanischen Land sind Ergebnis einer verbrecherischen Politik europäischer Kolonialmächte. Es wurden Grenzen gezogen, nur den Interessen der ausbeutenden Konzerne untergeordnet, Ethnien getrennt oder zusammengezwungen, ohne deren Traditionen zu berücksichtigen, Kulturen kurzerhand vernichtet. Verhängnisvoll und verantwortlich für den Hunger auf dem afrikanischen Kontinent ist die Zerstörung der Agrarwirtschaft, der Zwang zu Monokulturen.

Die seinerzeitige Niederwerfung und Ausrottung der Hottentotten durch die Armee der kaiserlich-deutschen „Schutztruppen“ sowie die Vertreibung der Hereros, die zum Verdursten bei lebendigem Leib in die Kalahari-Wüste geschickt wurden, sind erschütternde Tatsachen. Wenn wir von Afrika sprechen, sollten wir uns an Albert Schweitzers Lambarene und seiner Philosophie von der „ Ehrfurcht vor dem Leben“ ein Beispiel nehmen, nicht aber an Lettow-Vorbeck oder Carl Peters. Was haben deutsche Truppen heute im ehemaligen Französisch-Westafrika zu suchen?

Auch die großspurigen und nationalistischen Töne des Bundespräsidenten rechtfertigen Ihr Handeln nicht. Solche Äußerungen passen schlecht in die schuldbeladene jüngere deutsche Geschichte. Bei Gustav Heinemann, Richard von Weizsäcker oder „Bruder Johannes“ Rau wären sie nicht vorstellbar gewesen! Sie widersprechen auch Ihren Ansprüchen, denen der Frau Bundeskanzlerin oder des Herrn Bundespräsidenten, Demokraten, Christen und Humanisten sein zu wollen.