RotFuchs 206 – März 2015

Olymp der Heuchler

Klaus Steiniger

Um es vorweg zu sagen: Der Olymp, auf dem die Götter der Antike thronten, war bisher in meinem Vokabular nur positiv besetzt – höher ging’s nimmer, jede Steigerung blieb ausgeschlossen. Das aber hing wohl mit meinem an Griechisch und Latein gekoppelten Besuch eines humanistischen Gymnasiums zusammen, der mich für die Dauer von acht Jahren an die Sprache Ciceros wie Cäsars band und fünf Jahre lang in Homers Reich von Ilias und Odyssee entführte. Als ich dann Mitte der 80er Jahre den Arbeitersohn und hochgebildeten Autodidakten Horst Sindermann, einen der eher seltenen Parteiführer und Staatsmänner der DDR mit Bodenhaftung, hinter dem 12 Jahre faschistisches Zuchthaus und KZ lagen, nach Athen begleitete, nützte mir das wie Altmittelhochdeutsch längst erloschene Idiom aus der hellenischen Vergangenheit nichts. Bei dem etwa zweistündigen Gespräch, zu dem KKE-Generalsekretär Harilaos Florakis – er hatte 18 Jahre auf der KZ-Insel Makronissos leiden müssen – die DDR-Volkskammerdelegation empfing, hätte ich ohne die Dolmetscherin wohl kaum ein Wort verstanden. Und dennoch fühlten wir uns angesichts der strategischen Klugheit und des taktischen Geschicks dieses bedeutenden hellenischen Parteiführers „wie auf dem Olymp“.

Szenenwechsel: Auch so manche politischen Tiefflieger unserer Tage haben sich erst unlängst bemüht, die Höhen eines ihnen völlig fremden Metiers zu erklimmen. Sie wurden dabei nicht vom Glanz der Götter verflossener Zeiten inspiriert, sondern begaben sich als Protagonisten eines Trauerspiels besonderer Art ins „Rampenlicht“ geistiger und politischer Finsternis.

Was nach dem ruchlosen Anschlag auf die buchstäblich über Nacht zum Big Business gewordene Pariser Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ (statt 60 000 erschienen auf einmal imaginäre 7 Millionen Exemplare!) geschah, war kaum weniger erschreckend als die Bluttaten im Redaktionsgebäude und einem nahegelegenen jüdischen Supermarkt. Ich meine dabei nicht vordergründig die Instinktlosigkeit einiger Gestalter des Blattes, das seit eh und je auf Rundumschläge gegen beliebige Konfessionen geeicht ist, den Propheten Mohammed einmal mehr der Lächerlichkeit preiszugeben und so fast die gesamte islamische Welt gegen sich aufzubringen. Mir geht es um die Gala perfider Heuchler aus etlicher Herren Länder, die auf der Woge des Geschehens in Paris ein groteskes Wellenreiten veranstalteten. Während Frankreichs als Marianne agierendes Rechtsaußenidol Marine Le Pen, deren Vater und Mentor zu den Auschwitz-Leugnern gehört, verständlicherweise zum rassistisch-chauvinistischen Halali bläst, hüllten sich andere Reaktionäre vorübergehend in die Toga von Verteidigern sonst von ihnen verachteter, nun aber angeblich durch Kollektivrache bedrohter Islam-Anhänger. Mit erstarrtem Ausländerhaß stellten sie temporäre Ausländerliebe zur Schau. Im Schatten solcher Maskerade zog die Geheimpolizei mehrerer NATO-Staaten im Interesse der „nationalen Sicherheit“ die Daumenschrauben der Überwachung und Diskriminierung „Verdächtiger“ weiter an.

Zwei vom Fernsehen und Zeitungen in aller Welt übertragene Bilderserien symbolisierten auf besonders gespenstische Art und Weise die Besteigung des Olymp der Heuchelei durch Spitzenleute der „politischen Klasse“, wie sich im Dienste der ökonomisch Herrschenden stehende Personengruppen zu bezeichnen pflegen.

Da sah man in einer Pariser Nebenstraße ein paar Dutzend eingehakte Staatschefs unter offensichtlich massivem Polizeischutz in den angeblich vordersten Reihen einer zur Verteidigung der Demokratie einberufenen Massendemonstration. Die vorgetäuschte Harmonie sollte Volksnähe suggerieren. In Wirklichkeit aber waren Hunderttausende Kundgebungsteilnehmer von den Akteuren der Show räumlich getrennt. In dieser Sternstunde des vor dem Tiefpunkt seiner politischen Karriere gerade noch einmal geretteten Antipathieträgers François Hollande wußte der französische Präsident solche „humanitären Lichtgestalten“ wie Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu, den Kindermörder von Gaza, und Kiews Milliardär Petro Poroschenko, den Ghettoisierer von zwei Millionen ostukrainischen Zivilisten, verläßlich an seiner Seite.

Doch noch verlogener als die gestellte Szene an der Seine war das Schauspiel am kurzfristig trikolorefarbenen Brandenburger Tor, wo ein hilfswilliger Moslemführer in perfektem Deutsch den Conferencier für die Repräsentanten der BRD gab. Diese produzierten sich teils in gewohnt schwülstiger Phrasendrescherei, teils in geübt geistlosen Allgemeinplätzen. Beide Akteure hängten sich an die „Charlie Hebdo“-Konjunktur, um fehlendes Eigenprofil zu kompensieren.

Die Tatsache, daß auch Zehntausende redliche Antifaschisten, tatsächliche Gegner deutsch-nationalistischer PEGIDA-Frömmelei und aufrechte Verfechter politischer wie religiöser Vielfalt in diese anrüchige Gesellschaft gerieten, machte das Maß des Peinlichen voll. In ihrer Gegenwart schwangen sich jene, welche die Stunde der Demagogen nutzten, in den Olymp der Heuchelei.

Fazit: Als in der politischen und sozialen Realität des imperialistischen deutschen Staates, Europas und der Welt orientierungsfähige Sozialisten, Kommunisten und Antiimperialisten unterschiedlicher Weltanschauungen stehen wir unverrückbar gegen Krieg und Kriegsgeschrei, Ausbeutung und Unterdrückung, für internationale Solidarität und Toleranz gegenüber Andersdenkenden demokratischer Gesinnung. Mit besonderer Entschiedenheit wenden wir uns gegen jegliche Formen der Islamfeindlichkeit, des Antisemitismus, der Diskriminierung von Sinti und Roma, des Ausländerhasses und des bundesdeutschen Größenwahns.