Wie der Leistungssport Zug um Zug
dem Kommerz geopfert wurde
Olympia als Big Business
Der Leistungssport – ein von der Gesellschaft hoch bewerteter Teil des kulturellen Lebens – erfährt einen Umbruch, der seinen Charakter grundlegend verändert. Die sportliche Repräsentation eines Landes durch Förderung seiner Talente,die sich im Einklang von Amateursport und beruflicher Ausbildung entwickeln, wird dem Zugriff der kapitalistischen Marktwirtschaft geopfert. Sie erschließt sich Schritt für Schritt den Leistungssport als Profitquelle. Eine solche Entwicklung sah schon Karl Marx voraus, als er darauf verwies, daß das Kapital – einmal auf den Plan getreten – einen gesellschaftlichen Bereich nach dem anderen seinen Verwertungsbedingungen unterwerfen wird.
Die Olympischen Spiele der Neuzeit waren von Beginn an ausdrücklich als Wettkämpfe der Amateursportler gedacht. Sie schlossen jede Art von Geschäftemacherei mit dem Sport oder den Spielen aus, was Baron de Coubertin bereits vor einem Jahrhundert als größte Gefahr erkannte. Das olympische Amateurprinzip war, von Ausnahmen abgesehen, internationale Praxis im Wettkampfsport.
Wie es gewirkt hat, zeigte das Beispiel der DDR: Ein kleines Land, das bis auf den zweiten Rang bei Olympischen Spielen vordringen und sogar die USA hinter sich lassen konnte. Von den 940 bei den Spielen sowie Welt- und Europameisterschaften erfolgreichsten Sportlern der DDR-Geschichte (ohne GST, Motorsport und Angeln) hatten 496 (52,8 %) einen Hoch- oder Fachschulabschluß, 204 waren Diplomsportlehrer, 52 promovierten, und 444 schlossen eine Berufsausbildung ab. Sport hatte in der DDR Verfassungsrang und erfuhr hohe gesellschaftliche Wertschätzung, was zum wesentlichen Motiv für das persönliche Leistungsstreben der Sportler wurde.
Der Leitlinie Coubertins folgte auch das IOC unter seinen Präsidenten Edström, Brundage und Killanin bis 1980. Eine neue Situation entstand in den 70er Jahren durch die weltweite Verbreitung des Fernsehens mit der Direktübertragung von Sportwettkämpfen in die Wohnzimmer der Zuschauer. Dorthin konnte man jetzt auch, in spannende Wettkampfberichte eingeblendet, Werbung transportieren und so für die das Fernsehen beherrschenden Medienkonzerne ein höchst profitables Geschäftsfeld erschließen. Werbung ist eine vorrangige Waffe im Konkurrenzkampf, die man sich etwas kosten läßt. Nicht zu unterschätzen ist der finanzielle Anreiz für Veranstalter, Sportverbände und Sportler, den die bezahlte Werbung in Stadien, an Laufstrecken, Sportgeräten und Sportbekleidung bringt. Sie gelangt so auf die Bildschirme.
In der kapitalistischen Gesellschaft ist der Sport ein rechtsfreier Raum für den Zugriff des Kommerzes. Alle auf Leistung orientierten Teile werden – wo immer möglich – mit finanziellem Gewinn vermarktet. Was sich dafür nicht eignet, bleibt Privatangelegenheit Sport treibender Bürger und wird von den Medien zur Randnotiz degradiert.
Das Vermarktungsmodell Leistungssport sieht vor, daß Fernsehübertragungsrechte für hohe Summen beim Veranstalter – dazu gehört auch das IOC – eingekauft werden müssen. Diese Aufwendung wird durch teure Werbeeinblendungen mit hohem Gewinn refinanziert – ein Milliardengeschäft für Fernsehsender, Veranstalter und zunehmend auch für das Internet. Es gibt dabei nur ein Problem: Dieses Modell muß das ganze Jahr über ohne wesentliche Unterbrechungen funktionieren, wenn die angestrebte Profitrate ausgeschöpft werden soll. Die früheren Trainings- und Wettkampfsysteme, die sich überwiegend auf einen Jahreshöhepunkt ausrichteten, waren dafür nicht geeignet. Mit internationalen Serien-Weltcups, die im Wintersport jetzt schon im Sommer beginnen, wird diese Lücke Zug um Zug geschlossen. Über Monate hinweg sind jede Woche spannende Wettkämpfe gefordert. Olympische Spiele, Welt- und Europameisterschaften müssen mitten aus den Serien-Cups heraus bestritten werden. Ein solches System ist von Amateuren nicht zu bewältigen. Es bedarf der Berufssportler, die von Wettkampf zu Wettkampf geschickt werden und sich praktisch mit Haut und Haaren den Vermarktern verkaufen. Das war in einer ertragssichernden Größenordnung nicht zu erreichen, solange das olympische Amateurprinzip galt und die Sportler einen Ausschluß von den Spielen nicht riskieren wollten.
In Person von IOC-Präsident Samaranch war 1981 ein Vorkämpfer für die Vermarktungsstrategen an die Spitze des IOC gebracht worden. 1988 starteten im Tennis die ersten Profis bei Olympischen Spielen. Freie Bahn für den Berufssport! Das olympische Amateurprinzip war aufgehoben und der Startschuß gegeben, auch Olympia selbst zu vermarkten. Die Gewinnspanne des IOC für die Spiele 2004 und 2008 erreichte bereits über 4 Milliarden Euro. Als IOC-Präsident Rogge dem Kommerz keinen weiteren Vorschub leisten wollte, wurde mit Dr. Thomas Bach ein früherer Siemens-Konzernanwalt zum IOC-Präsidenten aufgebaut. Wer wohl brachte ihn mit welchem Ziel in Stellung?
Die Zeit, da Leistungssport eine Form der Repräsentation des kulturellen Lebens eines Landes war, ist beendet. Leistungssport wird als Beruf in das globale Marktgeschehen eingegliedert. Schrittmacher dabei ist Fußball. Eine Presseinformation besagt, daß 2014 die Proficlubs weltweit 3,62 Milliarden Euro für neue Spieler aus dem Ausland ausgegeben haben. Nicht zu übersehen sind die finanziellen Vorteile, die sich aus der Kommerzialisierung ergeben. Für die Ausrichter der Wettkämpfe, für die Medien, die durch den Kauf der Rechte ein Monopol erlangen, für Bau- und Ausrüstungsunternehmen, weil mehr und modernere Wettkampfstätten gebraucht werden, für Produzenten der Sportgeräte und für Dienstleister aller Art. Die technische Ausrüstung der Sommerspiele in Peking kostete bereits 1,1 Milliarden Euro. Das Geschäft machte Siemens. Internationale Sportföderationen sind an all dem beteiligt oder spekulieren darauf. Neue Disziplinen werden erfunden, die einen möglichst spektakulären Schaueffekt haben. Solche Zirkusnummern wie Ski-Cross, Freistil-Buckelpiste und Sprung- oder Snowboard-Halfpipe sind bereits im Programm der Winterspiele. Auch das Prinzip, wonach eine Sportart eine weltweite Verbreitung haben muß, um ins olympische Programm aufgenommen zu werden, gilt nicht mehr.
Einen Wandel erfahren auch leitende Gremien. Hier sind nicht mehr Fachleute des Sports gefragt, sondern Manager, Finanzstrategen, Rechtsanwälte und auch bekannte, aber überzählige Politiker mit guten Beziehungen zu Wirtschaft und Medien. Fachleute rücken in die zweite Reihe.
Sportler und Trainer werden unter Vertrag genommen, und ein Wechsel von Land zu Land wird zur Normalität. Dafür, und für einen Wechsel innerhalb des Landes, werden Ablösesummen ohne jede Begrenzung gezahlt. Im Vorteil sind die Proficlubs mit den reichsten Geldgebern.
Der Berufssportler steht vor der Alternative, unbegrenzt viel Geld zu verdienen oder ohne lebenssicherndes Konto und ohne festen Beruf seine Laufbahn zu beenden. Sein Einkommen ist nach oben nicht begrenzt, aber auch nach unten offen, sein arbeitsrechtlicher Status unsicher. Geld wird damit objektiv zu seiner dominierenden Motivation, die ihn durch die Wettkampfserien treibt.
Wir sehen, daß der Berufssport einem profitorientierten komplexen Geschäftsfeld dient und sich grundlegend vom Amateursport unterscheidet – eine Folge der Diktatur des Kapitals über die Gesellschaft und nur mit ihr zu überwinden.
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