Paradigmenwechsel in der
Außen- und Sicherheitspolitik der BRD
„Neue Macht, neue Verantwortung“. Diese Überschrift trägt ein Papier, in dem die Elemente einer qualitativ veränderten Außen- und Sicherheitspolitik der BRD formuliert sind. Den politischen und militärischen Verantwortungsträgern lag es bereits im Oktober 2013 vor. Der Öffentlichkeit wurde es erst bekannt, als Bundespräsident Gauck in seiner Eröffnungsrede auf der Münchener Sicherheitskonferenz am 31. Januar 2014 wesentliche Aussagen daraus vortrug.
Das Papier wurde von der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ (SWP) – einem „Think Tank“ der Bundesregierung – und dem „German Marshall Fund of the United States“ (GMF) ausgearbeitet. Auf 48 Seiten findet man trotz einer wohl beabsichtigten sprachlichen Verschleierung in aller Deutlichkeit die nunmehr herrschenden neuen Auffassungen zu den folgenden vier Schwerpunkten: Deutschland und die internationale Ordnung; Deutschland und Europa; Deutschland und seine strategischen Beziehungen; Deutschland und die internationale Sicherheit.
Man könnte es auch kurz formulieren: „Deutschland, Deutschland über alles (oder: allen)!“
Der Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung, Markus Kaim, der an der Ausarbeitung des Papiers maßgeblich beteiligt war, faßte den Inhalt in einem Beitrag in der „Neuen Zürcher Zeitung“ vom 11. März so zusammen: Es gehe um eine aktive und entschlossene Außenpolitik, um neue Prioritäten, die von der Nachfrage aus anderen Märkten und dem Zugang zu internationalen Handelswegen und Rohstoffen bestimmt würden. Das Ziel bestehe darin, die jetzige Ordnung zu erhalten, zu schützen und weiterzuentwickeln.
Bereits in der Einleitung des Papiers ist zu erfahren, daß Deutschland künftig öfter und entschiedener „führen“ müsse. Das ergebe sich auch daraus, daß das Engagement der USA selektiver und ihr Anspruch an Partner höher sein werde. Aus der deutlichen Entscheidung Washingtons, sich auf den asiatisch-pazifischen Raum zu konzentrieren, leite sich die neue Rolle Deutschlands in Europa, im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika ab. Irgendwie erinnert das an einen Slogan aus vergangenen Zeiten: „Germans to the front!“
Umschrieben wird das in dem Papier mit einer notwendigen maritimen Strategie, die ein aktives, auch militärisches Krisenmanagement erfordere.
Der Sprachstil des Papiers macht es dem Leser nicht leicht, aus glatten eingängigen Formulierungen den jeweiligen Kern zu erfassen. Nehmen wir ein Beispiel: „Die Strahlkraft des westlichen Modells beruht auch darauf, daß es zu Hause entschlossen verteidigt wird.“ Daraus kann man zunächst alles oder nichts entnehmen. Weiter hinten heißt es dann aber: „Deutsche Außenpolitik wird sich weiterhin der gesamten Palette der außenpolitischen Instrumente bedienen, von der Diplomatie über die Entwicklungs- und Kulturpolitik bis hin zum Einsatz militärischer Gewalt.“ Das ähnelt der Rhetorik des Kalten Krieges, als der militärische Faktor das bestimmende Element der Politik war.
Mein Fazit: Mit diesem Papier wurde ein Paradigmenwechsel in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik vollzogen. Er bedeutet: Weg von der bisher geübten Zurückhaltung und dem Bestreben, sich in die Gemeinschaft der Verbündeten einzuordnen, hin zu einer Vorreiterrolle nicht nur in der EU, sondern auch darüber hinaus. Wie die Völker unserer Nachbarstaaten diesen Wandel aufnehmen werden, bleibt abzuwarten. Man kann sich nicht vorstellen, daß sie schon vergessen haben, was Deutschland im vergangenen Jahrhundert in Europa und anderswo angerichtet hat.
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