RotFuchs 222 – Juli 2016

Peter Gingold, lebenslang ein Mutmacher

Mathias Meyers

Peter Gingold in Aktion

Daß nichts bleibt, wie es ist, erläuterte der im In- und Ausland bekannte Kommunist und Antifaschist Peter Gingold seinen meist jugendlichen Zuhörern gerne anhand seiner eigenen Biographie. Als er am 8. März 1916 in Aschaffenburg als Sohn einer aus Polen emigrierten jüdischen Familie geboren wurde, existierte noch das deutsche Kaiserreich. Nach seiner Schulzeit begann Peter Gingold eine kaufmännische Lehre. Mit 14 Jahren wurde er Mitglied der Gewerkschaftsjugend, und 1931 trat er, inzwischen in Frankfurt am Main lebend, dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) bei. Gemeinsam organisierten sie Widerstandsaktionen gegen die immer massiver auftretenden faschistischen Verbände.

Mit seiner KJVD-Gruppe besuchte Peter Gingold eines Tages ein HJ-Lokal. Zuvor war mit der Hitler-Jugend vereinbart worden, daß jede der beiden Gruppen ein kurzes Referat zur Vorstellung ihres Programms halten könne. Der Redner der Kommunisten, der Norbert genannt wurde, entlarvte die soziale Demagogie der Nazis und vertrat überzeugend die antifaschistischen Positionen der kommunistischen Jugend. Auch ein Vertreter der HJ trat auf, doch die Resonanz beim jugendlichen Publikum war gering. Von da an verbot die HJ ihren Mitgliedern die Durchführung derartiger Versammlungen.

Peter Gingold traf „Norbert“ erst 1945 wieder – er hieß in Wirklichkeit Emil Carlebach und hatte 11 Jahre Haft, davon fast acht Jahre im KZ Buchenwald, hinter sich.

Peter Gingolds Eltern und seine vier Geschwister emigrierten im Sommer 1933 nach Paris. Peter folgte ihnen gegen Ende des Jahres. Neben der Sicherung des Lebensunterhaltes, ohne über eine dauerhafte Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis zu verfügen, engagierten sich die Geschwister Gingold in der antifaschistischen Aufklärungsarbeit. Peter fand Arbeit bei der antifaschistischen Zeitung „Pariser Tageblatt“, war weiter aktiv in einer kleinen Gruppe des KJVD sowie Mitbegründer der Freien Deutschen Jugend. Neben ihm waren an dieser Gründung u. a. Willy Brandt und Hermann Axen beteiligt.

1937 trat Peter Gingold der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei, die in der Folgezeit eine bedeutende Rolle im antifaschistischen Widerstand in Frankreich einnehmen sollte. Die politische Arbeit in Paris war zunächst auf die Aufklärung der Bevölkerung gerichtet. In kleinen Veranstaltungen informierte die Gruppe über den Kampf und die Verfolgung von Antifaschisten in Deutschland. Die Jugendlichen sammelten Geld für im Nachbarland Verfolgte und unterstützten die Kampagnen für die Freilassung von Ernst Thälmann.

In der Arbeit der Jugendgruppe lernte Peter Gingold auch Ettie Stein-Haller kennen. Die junge Frau war in Czernowitz, das zu Österreich-Ungarn und nach dem ersten Weltkrieg zu Rumänien gehörte, geboren worden und aufgewachsen. Anfang der 30er Jahre ging sie nach Paris, um Französisch zu studieren. Peter Gingold und Ettie Stein-Haller heirateten und kämpften fortan ihr Leben lang gemeinsam.

1940 – nach der Besetzung von Paris durch die faschistischen Truppen – organisierten sich beide Gingolds in der Résistance. Die nach Frankreich emigrierten deutschen Kommunisten und Antifaschisten gründeten die Travail Allemand (TA), die sich der französischen Widerstandsbewegung anschloß und einen bedeutenden Beitrag zur Befreiung Frankreichs leistete.

Peter wurde als „feindlicher Ausländer“ zeitweise interniert. Ettie organisierte geeignete Verstecke für seine Familie und Widerstandskämpfer, die gesucht wurden. Beide hatten die Aufgabe, Aufklärungsarbeit unter den deutschen Soldaten zu leisten. Flugblätter wurden gedruckt und heimlich verteilt, Verbindungen geknüpft, Informationen auf allen erdenklichen Wegen beschafft – eine politische Arbeit, die an jedem Tag das Leben kosten konnte. Durch einen in das Netz der TA eingeschleusten Spitzel war es den Besatzern möglich, Peter zu verhaften. Nach wochenlanger Haft und brutaler Folter gelang ihm die Flucht durch eine List. Im Kampf um sein Leben konnte er die Gestapo davon überzeugen, daß er ihnen einen Treffpunkt der Résistance verraten würde. Dafür müsse er aber dort selbst erscheinen, wenn der Schlag gegen den Widerstand gelingen sollte. In Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten ließ er sich in Paris zum Boulevard St. Martin 11 bringen, verschaffte sich Einlaß und schloß das Tor blitzschnell hinter sich zu. Auf diese Weise hatte er ausreichend Zeit, über mehrere Hinterhöfe zu entkommen. Er schloß sich erneut dem Widerstand an und war gemeinsam mit seiner Frau im August 1944 an der Befreiung von Paris beteiligt.

Den 8. Mai 1945 erlebte Peter Gingold in Turin, wohin er von der Résistance zur Unterstützung der italienischen Partisanen geschickt worden war. Nach dem Sieg über den deutschen Faschismus, den Peter stets als die Morgenröte der Menschheit bezeichnete, ging er zurück nach Frankfurt – Ettie folgte ihm kurze Zeit später aus Paris. Beide waren entschlossen, dazu beizutragen, ein antifaschistisches Deutschland aufzubauen. Sie wurden Gründungsmitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Wie schmerzlich war es für sie zu sehen, wie die alten Funktionsträger und Nutznießer des Faschismus nach und nach wieder in ihre Ämter und Funktionen kamen. Das Verbot ihrer Partei, der KPD, im Jahr 1956 war für sie die Quintessenz dieser Entwicklung. Die BRD entzog der Familie die Pässe und erklärte sie zu Staatenlosen, womit sie gehindert waren, das Land legal zu verlassen.

Die Lehren seines Kampfes gegen den Faschismus, die Notwendigkeit eines entschlossenen Zusammenstehens gegen rechte und faschistische Entwicklungen, vermittelte er als Zeitzeuge vor ungezählten Schulklassen und Jugendgruppen, auf Demonstrationen und Kundgebungen im ganzen Land. Wo auch immer er gebraucht wurde, war er zur Stelle.

Beide Gingolds waren seit der Neugründung der kommunistischen Partei, der DKP, im Jahr 1968 deren Mitglied. In der antifaschistischen und Friedensbewegung standen sie in der ersten Reihe. Als gegen ihre Tochter Sylvia ein Berufsverbot verhängt wurde, organisierten die Eltern mit vielen anderen Menschen Solidaritätsaktionen. Wertvolle Unterstützung kam vor allem aus Frankreich, wo beide nach wie vor großes Ansehen genossen.

Peter und Ettie Gingold haben einen un-schätzbaren Beitrag dazu geleistet, daß dem in Westdeutschland verbreiteten Antikommunismus Grenzen gesetzt werden konnten. Den herrschenden Verhältnissen entgegenzutreten, war das Credo ihres Handelns. Mit dieser Haltung erwarben sie sich die Achtung vieler, die ihnen bei ihren Auftritten in Schulen, in Jugend- und Gewerkschaftsgruppen, auf Demonstrationen und Kundgebungen zuhörten.

Peter Gingold blieb sich auch 1989, als die Konterrevolution ihren vorläufigen Sieg erringen konnte, selbst treu. Er sei nun eben, so sagte er, ein Reisender in Sachen Mutmachen. Das blieb er sein Leben lang – ob in der Gewerkschaftsjugendgruppe Anfang der 30er Jahre, im antifaschistischen Widerstand, im Friedenskampf oder bei seinem Einsatz gegen den sich in der BRD erneut regenden faschistischen Ungeist. Peter Gingold starb am 29. Oktober 2006. Zu seinem 100. Geburtstag erinnerte am 13. März 2016 in Frankfurt am Main eine Matinee mit 400 Gästen an das Leben und den Kampf dieses außergewöhnlichen Menschen.