RotFuchs 206 – März 2015

Als man DDR-Bürger noch für Außerirdische hielt

Phantasiepapiere für „Aliens“

Klaus Steiniger

Wer die DDR aufgrund seines Alters nur noch in ihrer vom Niedergang geprägten Endphase erlebt hat oder gar erst nach der Zerschlagung und Einverleibung durch die BRD geboren wurde, muß manche Zeitzeugenberichte Älterer über bestimmte Geschehnisse zwangsläufig für Märchenstunden halten. Wie beleidigend die NATO-Mächte, aber auch unter der Fuchtel der USA lavierende Regierungen anderer Staaten noch Jahrzehnte nach Gründung der DDR mit deren Bürgern umgesprungen sind, muß bei Ahnungslosen den Eindruck erwecken, der Erzählende habe sich die Geschichte gerade aus den Fingern gesogen.

Das in Berlin installierte Allied Travel Board (Alliiertes Reise-Amt) stellte damals „Ersatzvisa“ aus, die nicht in DDR-Pässe gestempelt werden durften.

Zu welchen Wort- und Begriffsverrenkungen es bei einem solchen Unterfangen kam, will ich anhand einer hier reproduzierten „Kostbarkeit“ aus meinem persönlichen Archiv verdeutlichen. Das wertvolle Stück wurde am 18. April 1973 aus Anlaß meiner ersten längeren Japan-Reise nicht etwa von Nippons diplomatischer Vertretung am Rhein, sondern durch Tokios Botschaft an der Prager Moldau ausgestellt.

„Dieses Reisedokument ist einem Alien (Englisch: Ausländer, Fremder) allein im Hinblick auf die Erleichterung seiner Reise nach Japan ausgestellt worden.“ Diese sprachliche Pirouette, der Quadratur des Kreises gleichend, tanzte der japanische Botschafter in der Tschechoslowakischen Republik per Stempel und Namenszug.

Die offenbar einem in der Retorte gezeugten Homunculus ausgehändigte Klappkarte habe „in keiner Weise etwas mit der Nationalität des Inhabers“ zu tun, geht der Tanz weiter. Und dort, wo bei den Angaben zur Person des Reisenden nach dem Land (Country) gefragt wird, hat ein Mitarbeiter der japanischen Botschaft in Prag handschriftlich noch die Worte „oder Region“ hinzugefügt.

Bemerkung: Die antikommunistische Gänsehaut der westlichen Rechtsstaatsfanatiker brachte diese auf derart groteske Weise mit den Normen des Völkerrechts und eines zivilisierten zwischenstaatlichen Umgangs in Kollision. Offenbar hielt man DDR-Bürger in jener Etappe des Kalten Krieges für nur mit Außerirdischen vergleichbare Unpersonen.

Nachbemerkung: Es versteht sich von selbst, daß ich später – als alle Realitätsferne nichts geholfen hatte und deshalb aufgegeben worden war – angesichts voller diplomatischer Beziehungen auch zwischen Berlin und Tokio mit Pässen der DDR in den fernöstlichen Inselstaat gereist bin.