RotFuchs 198 – Juli 2014

Plädoyer für einen
antifaschistischen Schutzwall

Klaus Steiniger

Am 13. August 1961 verschlossen die Staaten des Warschauer Vertrages der USA-geführten NATO die Berliner Einfallstore in das antifaschistische, sozialistische Deutschland.

In jenen schicksalhaften Tagen, die über Krieg und Frieden in Europa entschieden, arbeitete ich nach dem fünf Jahre zuvor erfolgten Abschluß des Jurastudiums als Kreisstaatsanwalt in Güstrow. Jeden Tag kamen die Lageberichte des Volkspolizeikreisamtes auf meinen Tisch. In jenem Sommer enthielten sie stets Listen neuer Republikflüchtiger, wie wir ohne Genehmigung Ausreisende damals nannten. Die über Nacht Fortgegangenen waren – von sehr persönlichen Beweggründen einmal abgesehen – entweder den antikommunistischen Propagandalügen der BRD-Medien erlegen oder vom Sog des vor allem mit Marshallplan-Milliarden auf die Beine gebrachten westdeutschen Wirtschaftswunders erfaßt worden. Voller Sorge beobachteten wir das scharenweise Abwandern von Bauern, aber auch von Fachkräften vieler Bereiche, die auf DDR-Kosten ausgebildet worden waren. Bei offener Grenze ließ sich der Trend nicht stoppen.

In dieser Situation wurde von uns die Nachricht, daß in Berlin eine Mauer, wie sie auch die Mehrzahl der DDR-Bürger sofort nannte, errichtet worden war, mit Erleichterung aufgenommen. Nicht nur Genossen empfanden das als einen regelrechten Befreiungsschlag.

Die Helden jener Tage trugen Kampfgruppendreß, die Uniform der Nationalen Volksarmee oder die weiße Kluft von Maurern, welche die Plünderer der DDR kurzerhand aussperrten. Nun war Schluß mit dem Abräumen der oft noch knappen DDR-Warenbestände, die mit Hilfe eines manipulierten Um-tauschkurses für Spottpreise von Westberlinern eingesackt wurden. Endlich konnten auch die Ostberliner wieder in ihren Restaurants Plätze bekommen.

In der DDR zog innenpolitisch Ruhe ein. Da nahm man es hin, daß für die Schließung der Grenze durch ein auch in anderen Staaten – darunter den USA – nicht ungewöhnliches Mauerwerk etwas abgehobene Vokabeln eingeführt wurden. Aber nur disziplinierte Nachahmer vorgestanzter Formulierungen bedienten sich auch in ihrer Alltagssprache des wortgewaltigen Begriffs „Antifaschistischer Schutzwall“. In jener noch recht frühen Etappe der DDR-Geschichte, als Politiker verschiedener Ebenen Industrie- und Landwirtschaftsbetriebe, Fußballstadien und Hochschulen nach sich selbst benannten, gehörte verbale Bombastik zum rhetorischen Marschgepäck der führenden Partei. Doch die solide und verläßliche Sicherung der Staatsgrenze der DDR war in politischer und ökonomischer Hinsicht ein Segen, obwohl nicht verkannt werden sollte, daß etliche auseinandergerissene Familien darunter sehr zu leiden hatten, wobei spätere Lockerungen durchaus möglich gewesen wären. Aus historischer Sicht schufen die Maßnahmen des 13. August 1961 indes eine günstige Ausgangsposition für den weiteren Aufbau des Sozialismus in der DDR.

Ein wichtiger Aspekt ihrer Innenpolitik war die Verhinderung des Eindringens offen faschistischer Ideologie, das vom Westen her drohte. Während Nachfolgeorganisationen der Nazi-Verbände in der BRD sofort legalisiert wurden und bald auch zum Parteienfächer der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ gehörten, sorgte die Staatsmacht der DDR dafür, daß Leuten dieses Schlages auf ihrem Territorium keine Chance zur Entfaltung geboten wurde. Die Bonner Schirmherren der neuen Faschisten nannten das zynisch „verordneten Antifaschismus“.

Mit dem Anschluß der DDR an die BRD schwappte die braune Brühe sofort in den Osten hinüber, konnte sich die NPD in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern sogar auf Landtagsebene etablieren.

Damit wären wir beim eigentlichen Thema: der faschistischen Offensive im Europa unserer Tage.

Während ich nach der Grenzschließung in Zeitungsartikeln, Kommentaren und Interviews für Rundfunk und Fernsehen sowie bei sogenannten propagandistischen Großveranstaltungen die schwergewichtige Wortkombination Antifaschistischer Schutzwall vermied, verwende ich sie jetzt sehr bewußt: Die Entwicklung auf dem Kontinent und hierzulande erfordert dringend und zwingend einen wirksamen antifaschistischen Schutzwall gegen die ansteigende Nazi-Welle. Natürlich ist damit keine neue „Mauer“ gemeint, sondern eine intakte Verteidigungslinie gegen das weitere Vordringen faschistischer Kräfte.

Das Ergebnis der jüngsten Wahlen zum Europaparlament signalisiert den Ernst der Lage. Die massenhafte Stimmabgabe für faschistische oder faschistoide Parteien – in Verschleierung der Realität von den Medien neuerdings als „rechtspopulistisch“ verharmlost – muß alle Demokraten alarmieren. Dadurch vermochte sich in Strasbourg eine starke Fraktion rechtsextremistischer Mandatsträger aus verschiedenen europäischen Staaten – teils im Verbund mit der CDU-dominierten Europäischen Volkspartei – zu formieren. Deren Gefährlichkeit wird nicht dadurch eingeschränkt, daß sich die Akteure vorerst ohne SA-Stiefel, Totenkopf-Embleme oder sonstige Nazi-Insignien, die sie in manchen Herkunftsländern durchaus verwenden, der EU-Öffentlichkeit präsentieren.

In Ungarn stellen von den Jobbik-Faschisten unterstützte prononcierte Rechte der FIDESZ die Regierung, während in Frankreich der gleichgeartete FN Le Pens jede vierte Wählerstimme erhalten hat. Auch das Votum für extrem reaktionäre Parteien in Österreich, Großbritannien, Belgien, Dänemark, Griechenland, Holland, Italien und anderen europäischen Ländern muß Besorgnis hervorrufen.

Im Staat von Merkel und Gauck hat die jetzt von der Nadelstreifen-AfD flankierte NPD nicht um ihren legalen Status zu bangen, während sich die BRD-Justiz an einer beispiellosen Farce abarbeitet: dem angeblich gegen Nazi-Mörder gerichteten Münchner NSU-Prozeß, der sich als pseudo-antifaschistische Show erweist.

Während die bundesdeutsche Medien-Mafia in ihrer Berichterstattung über Aufmärsche ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS in den baltischen Mitgliedsstaaten des Brüsseler Paktsystems äußerste Zurückhaltung an den Tag legt, spielt sie unablässig die ukrainische Karte. Dabei verschweigt man bewußt die Tatsache, daß die durch einen faschistischen Putsch ans Ruder gebrachte Kiewer Kamarilla von Obamas Vizepräsident Biden, Merkels Außenminister Steinmeier und weiteren „westlichen Repräsentanten“ hofiert und installiert worden ist. Es handelt sich keineswegs nur um einen Austausch von Oligarchen an der Staatsspitze der Ukraine oder die Einsetzung eines langjährigen CIA-Agenten als „Premier“ der mit Nazis der Swoboda-Partei und des Rechten Sektors vollgestopften „Exekutive“. Weit mehr als das: Ein großes europäisches Land wurde auf einen äußerst gefährlichen Weg gestoßen. Die vom Kiewer Regime mit Hilfe „privater“ US-Killerkommandos in der Ostukraine begangenen Untaten rufen die Erinnerung an schlimme Geschehnisse in der Zeit der Naziokkupation wach.

Nachdem bereits die Bevölkerung der urrussischen Krim in voller Übereinstimmung mit dem Völkerrecht für die Rückkehr ins historische Vaterland optiert hatte, stellte auch die Proklamierung der demokratisch legitimierten Volksrepubliken Donezk und Lugansk einen Akt der Souveränität dar. Beim Widerstand der Ostukrainer handelt es sich um eine antifaschistische Abwehrschlacht, die in der Tradition des Großen Vaterländischen Krieges der Völker der Sowjetunion steht.

Überall in Europa muß den Braunen die rote Karte gezeigt werden. Ein Agieren zwischen den Fronten, wie es einige zu betreiben suchen, darf nicht stattfinden, eine Schuldzuweisung an beide Seiten spielt nur den Faschisten und deren imperialistischen Hintermännern in die Hände. Der Kampf gegen alte und neue Nazis muß ohne sektiererische Beschränktheit oder die Sicht einengende Scheuklappen geführt werden. Jeder aufrechte Antifaschist ist als Bundesgenosse willkommen. Nur so kann ein wirklicher Schutzwall gegen die Machenschaften des NATO-gestützten Kiewer Klüngels und anderer Kräfte gleichen Schlages entstehen, welcher den Ansturm der Nachahmer Hitlers, Mussolinis, Petains und Banderas aufzuhalten vermag.