Eine neue politische Kraft der Linken
veränderte Spaniens Parteienlandschaft
Podemos heißt „Wir können!“
Nach dem überwältigenden Wahlerfolg der zwar heterogenen, aber insgesamt linksgerichteten Syriza-Koalition in Griechenland scheint auch für Spanien eine neue Situation entstanden zu sein. Allerdings gibt es einen gravierenden Unterschied: Während der Sieg in Hellas bei Parlamentswahlen auf nationaler Ebene errungen wurde, waren 35 Millionen wahlberechtigte Spanier am 24. Mai „nur“ zum Votum bei Munizipal- und Regionalwahlen aufgerufen. Diese gelten allerdings als Stimmungsbarometer für die später anstehenden Cortes-Wahlen. Die Bürger des größeren iberischen Landes entschieden über die Zusammensetzung von 8122 Volksvertretungen – von kleinen Orten bis zu den Metropolen Madrid und Barcelona. Auch für 13 der 17 Regionalparlamente – so in Andalusien, im Baskenland, Galizien und Katalonien – fielen die Würfel.
Hatte es sich bisher stets um einen Schlagabtausch zwischen der in Francos Fußstapfen getretenen rechtskonservativen Volkspartei (PP) und der anfangs von Felipe Gonzalez geführten sozialdemokratischen PSOE gehandelt, so hatten diesmal auch zwei neue politische Kräfte ihren Hut in den Ring geworfen: Während die rechtsgerichtete Gruppierung „Ciudadanos“ (Bürger) einen Teil der Stimmen enttäuschter bisheriger PP-Anhänger aufzufangen vermochte, betrat mit Podemos eine nach links tendierende Formation der Protestbewegung breitester Volksmassen erstmals die spanische Wahlkampfarena.
Das Ergebnis entsprach den Prognosen: Die beiden bisherigen Hauptparteien PP und PSOE wurden hart abgestraft, die verzweifelte ökonomische Lage des überwiegenden Teils der spanischen Bevölkerung, aber auch ganze Serien von Korruptionsskandalen schlugen hier zu Buche. Es erfolgte eine Umverteilung der Wählerstimmen zwischen nunmehr vier politisch relevanten Parteien und Bewegungen, wobei keine von ihnen die absolute Mehrheit zu erringen vermochte. Die im Landesmaßstab noch regierende PP Rajoys verlor ihre Majorität in 11 bisher von ihr angeführten Regionen, darunter in Madrid und Barcelona. Obwohl sie mit 26,7 % landesweit noch den höchsten Stimmenanteil zu erringen vermochte, büßte die Hauptpartei der spanischen Reaktion innerhalb von vier Jahren 11 % ihrer Wählerschaft ein. Die PSOE kam auf 25 %, und die „Ciudadanos“ brachten es auf 6,55 %.
Die beiden „traditionellen“ Parteien konnten sich nicht einmal in einigen ihrer Hochburgen durchsetzen: In Madrid kam die dort bisher allein regierende PP gerade noch auf 33,97 %, während die Podemos einschließende Koalition „Ahora Madrid“ fast soviel, nämlich 32,14 % des Votums, zu erringen vermochte. Die PSOE, deren Votum in der Hauptstadt auf 15,63 % schrumpfte, mußte sich in ihrer Koalitionspolitik neu orientieren. In Spaniens zweitgrößter Stadt kam die Podemos einschließende Koalition „Barcelona en Comú“ auf 25,20 %, was den ersten Rang bedeutete. Die populäre Ada Golau – Anführerin des jahrelangen Kampfes gegen die Zwangsexmittierung von Mietschuldnern – stellt dort die Bürgermeisterin. Sie reduzierte ihr Gehalt sofort auf ein Viertel.
Podemos ging aus den landesweiten Protestmärschen vom 15. Mai 2011 zunächst als 15M-Bewegung hervor. Ihr historisches Manifest „Mover!“ (Sich bewegen!) faßte die Empörung der Volksmassen über die rabiate Kürzung der Sozialetats zusammen und sagte den angeblichen „Lösungsvorschlägen“ der EU den Kampf an.
Während die meisten Beobachter der spanischen Szene Podemos als linke Strömung mit Ähnlichkeiten zu Syriza verorten, lehnt deren charismatischer junger Führer Pablo Iglesias eine solche Einordnung ab. Für ihn handelt es sich um einen Konflikt zwischen Demokratie und Diktatur. Podemos fordere gleiche Chancen für alle, einen Wechsel in der Ausübung der politischen Macht und die Umverteilung des nationalen Reichtums.
Angesichts des Endes der traditionellen Zweiparteienherrschaft suchen Spaniens politische Kräfte nach neuen Partnern. Pablo Iglesias, mit dem die ins Wanken geratenen Sozialdemokraten der PSOE offenbar gerne koalieren würden, erklärte eindeutig, Podemos könne sich Abmachungen mit den Sozialisten zwar vorstellen, werde aber niemals in eine von ihnen angeführte Regierung eintreten. Gegenüber der Madrider Zeitung „El País“ stellte er fest, es gehe darum, die PP in all jenen Kommunen vom Regieren auszuschalten, in denen sie keine absolute Mehrheit zu erringen vermocht habe. Um Verhandlungen mit der PSOE fruchtbar verlaufen zu lassen, müsse diese Partei allerdings „einen Schwenk um 180 Grad vollziehen“.
PSOE-Generalsekretär Pedro Sanchez, dessen Partei das schlechteste Wahlresultat ihrer Geschichte eingefahren und 700 000 Stimmen verloren hat, sprach gegenüber „El País“ taktierend von einem „neuen Zeitalter für Spanien“, in dem der „Dialog im Vordergrund stehen“ müsse. Die PP scheide für die PSOE fortan als Partner aus. „Wir sind eine sozialdemokratische Partei und unterbreiten entsprechende Vorschläge“, erklärte er.
Spanien, Portugal und Griechenland teilten ähnliche Schicksale an der südeuropäischen Peripherie, stellte die Hamburger Monatsschrift „Sozialismus“ fest. Wenn auch Spanien mit 47 Millionen Landesbürgern und fast einem Zehntel des Bruttoinlandsprodukts der EU ins Wanken käme, entstünde für Brüssel eine alarmierende Situation.
Zu registrieren ist wie in Hellas die Tatsache, daß sich der Aufstieg der neuen Oppositionskraft nicht aus dem Lager der klassischen Linken vollzogen hat. Dabei hatten sich die Wahlaussichten der Isquierda Unida (IU) seit 2010 deutlich verbessert, ohne allerdings die Schwelle von 15 % jemals zu überschreiten. Unter diesen Umständen war von der seinerzeitigen IU-Führung beschlossen worden, in Andalusien eine Koalition mit der PSOE einzugehen. Der von ihr als positiv bewertete seinerzeitige Wechsel an der Spitze der Sozialdemokraten hatte auch unter Kommunisten gefährliche Illusionen genährt. Inzwischen unterstützen offensichtlich nicht wenige Anhänger und Kader der IU den Kurs von Podemos.
RF, gestützt auf „Granma“, Havanna, „El País“, Madrid, und „Sozialismus“, Hamburg
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