Renaissance für Paul Dessaus Musik
Wenn ein Künstler der DDR eine hohe staatliche Auszeichnung erhalten hatte, war er nach dem Anschluß seines sozialistischen Staates an die BRD für die nunmehr auch im Osten Herrschenden nicht mehr tragbar. Man mußte Pfarrer mit bestimmten politischen Ambitionen gewesen oder angeblich verfolgt worden sein, um hofiert zu werden oder sogar einen wichtigen Posten zugeschanzt zu bekommen, für den man eigentlich mehrere Nummern zu klein war.
Der gebürtige Hamburger Paul Dessau (1894 bis 1979) wurde von der DDR für seine Kunst wohl zu häufig dekoriert, denn bis heute wird er gern übergangen und sein Werk wegen des Bekenntnisses zum Sozialismus abqualifiziert. Da spielt es keine Rolle, daß er des öfteren mit kulturpolitischen Instanzen der DDR in Konflikt geriet – wegen seiner Musik, der Zwölftontechnik und seines Eintretens für die Werke anderer Fehlinterpretierter.
Schon in frühen Jahren beschäftigte sich Paul Dessau mit Tönen und Klängen. Er nahm Geigenunterricht, schlug dann aber die Laufbahn eines Dirigenten ein. 1912 wurde er als Korrepetitor am Stadttheater Hamburg und wenige Jahre später an der Kölner Oper engagiert, wo er einige Zeit mit Otto Klemperer zusammenarbeitete.
Dessau schuf auch selbst Musik. In den 20er Jahren lernte er Bertolt Brecht kennen und kreierte einige Konzertwerke für Arbeiter-Kinderchöre. 1933 emigrierte Paul Dessau nach Paris, zumal die Nazis seine Kompositionen als minderwertig einstuften und ihm das Arbeiten verboten. In der Zeit des Exils beschäftigte er sich mit der Zwölftonmusik, entwickelte unter einem Pseudonym verschiedene politische Marschlieder – darunter die legendäre „Thälmannkolonne“ – und war Schöpfer der musikalischen Untermalung für Bert Brechts Schauspiel „Furcht und Elend des Dritten Reiches“.
Da der Künstler bereits 1928 Disneys Frühwerk „Alice im Cartoonland“ vertonte, konnte er nach der Flucht aus Frankreich in Hollywood Fuß fassen und für dortige Filmstudios als Komponist und Arrangeur arbeiten. 1946 trat er der KP der USA bei. Zwei Jahre später kehrte er nach Deutschland zurück. Hier entwickelte er – abermals mit Brecht – Opern wie das anfangs von der DDR-Partei- und Staatsführung kritisch betrachtete „Verhör des Lukullus“. Er schuf die Klänge zu „Mutter Courage“ (1949) – jenem gewaltigen Stück, welches am Deutschen Theater seine Premiere erlebte –, und zum „Kaukasischen Kreidekreis“.
Nach Brechts plötzlichem Tod im Jahre 1956 wandte sich Dessau erneut der Zwölftonmusik zu und lenkte so die Bewunderung der jungen Avantgarde auf sich. Während er Mitglied der Akademie der Künste der DDR wurde und sogar lange Zeit deren Vizepräsident war, unterrichtete er weiter an der Zeuthener Grundschule, um die Idee der Musikerziehung in einem sozialistischen Staat zu unterstreichen.
Nun hat es Brilliant Classics (Edel) „gewagt“, eine Sammlung von Paul Dessaus Musik herauszubringen. Die Firma, die fast den kompletten Katalog von Eterna (DDR) übernahm, daraus fleißig veröffentlicht und mit der Wiederauflage bekannter und begehrter Klassik-LPs, eingespielt von DDR-Künstlern, bei Sammlern und Liebhabern auf sich aufmerksam macht, präsentiert nun eine 12-CD-Box mit einstmals bekannten Sinfonien, Klaviermusik, Liedern und den vier Opern „Die Verurteilung des Lukullus“, „Puntila“, „Einstein“ und „Leonce und Lena“.
So gibt es eine Wiederbegegnung mit wundervollen Künstlern der DDR, die bis heute unvergeßlich sind: Gisela May, Theo Adam, Peter Schreier, der Staatskapelle Berlin und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig, um nur einige zu nennen.
Endlich kann man sich wieder ganz auf die Musik Paul Dessaus einlassen und besonders beim Hören der Sinfonien begeistert sein. So ist die Orchestermusik No. 3 „Lenin“ einfach großartig. Sie läßt den Hörer nicht mehr los, zumal einzelne Momente sehr anrührend sind, sich verknappt auftun und so die Erinnerung an einen ganz besonderen Menschen aufrechterhalten. Wer sich nun der Tonsprache Dessaus weiter nähert und ganz hineinfinden möchte, sollte zunächst die Musik von „Mutter Courage und ihre Kinder“ konzentriert aufnehmen und sich an den von der überragenden DDR-Künstlerin Gisela May gesungenen Liedern erfreuen, sie fest in sein Herz einschließen. CD 11 und 12 enthalten Dessaus letzte Oper „Einstein“ aus dem Jahre 1974, die ein Dranbleiben erforderlich macht. Denn alles beginnt recht plakativ und spärlich. Doch schon beim Erkennen einiger Bach-Zitate ändert sich die Substanz. Die sparsame Instrumentierung wird zum Fanal, die immer kräftiger werdenden Akkorde beginnen zu leuchten, alles erscheint aufregend, vielsagend und hörenswert.
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